Tsipras verteilt Weihnachtsgeschenke
21. November 2017"Soziale Dividende" wird das Geldgeschenk genannt. Damit ist gemeint, dass sich die Staatseinnahmen im laufenden Jahr prächtig entwickeln und nun auch die Bedürftigen vom Wirtschaftsaufschwung in Hellas profitieren sollen. Die linksgeführte Athener Regierung verweist auf einen deutlichen Primärüberschuss im Haushalt. Das heißt, dass der Fiskus viel mehr einnimmt als er ausgibt - wenn Zinszahlungen nicht mitgerechnet werden. Damit bekommt Linkspremier Alexis Tsipras finanzpolitischen Spielraum, um pünktlich zur Weihnachtszeit Geldgeschenke an die sozial Schwachen zu verteilen. "Das entspricht unserer Ideologie, das ist unsere Seele", erklärt im Parlament der Fraktionssprecher der regierenden Linkspartei, Makis Balaouras.
Jorgos Tzogopoulos, Analyst bei der Athener Denkfabrik ELIAMEP, sieht das differenziert: Tsipras habe sich in den vergangenen Jahren verwandelt. Er sei nicht mehr der Linksaktivist, der Europa verändern will, sondern ein Haushaltspolitiker, der in einem von den Geldgebern vorgegebenen Rahmen agiert, meint der Politikwissenschaftler im Gespräch mit der DW. Er sagt aber auch: "In diesem Rahmen versucht Tsipras immerhin, Rücksicht auf diejenigen zu nehmen, die ganz unten sind. Das kommt bei Kleinverdienern und Rentnern gut an". Über drei Millionen Bedürftige profitieren von der sogenannten sozialen Dividende, die nach strengen Einkommenskriterien gewährt wird. Beispiel: Alleinverdiener mit einem Jahreseinkommen bis zu 9.000 Euro bekommen eine Einmalzahlung zwischen 250 und 450 Euro zum Jahresende, für ein verheiratetes Paar mit zwei Kindern sind es sogar bis zu 900 Euro.
Überschuss: Fiktion oder Wirklichkeit
Premier Tsipras macht deutlich, dass die Geldgeschenke fortgesetzt werden, sollten die Staatseinnahmen weiter ansteigen. Und er geht schonmal davon aus: Laut Regierungsangaben soll der Primärüberschuss im Staatshaushalt in diesem Jahr die Vorgabe von 1,75 Prozent der Wirtschaftsleistung deutlich übertreffen und 2018 aller Voraussicht nach sogar weiter steigen. "Der Ministerpräsident spielt wohl den Weihnachtsmann", spottet der konservative Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis im Parlament. Der wirtschaftsliberale Politiker glaubt, ein Haushaltsüberschuss sei nur deshalb zustande gekommen, weil der Staat Zahlungen einstellt und die Mittelklasse auch noch überbesteuert. Davon will Arbeitsministerin Efi Achtsioglou nichts wissen: "Der Überschuss kommt vor allem durch Entlastung der Sozialkassen zustande, und diese ist wiederum ist auf geringere Arbeitslosigkeit und erhöhte Sozialbeiträge zurückzuführen", sagt die Ministerin im Parlament. "Auch die Regelung von Altschulden habe zur Verbesserung der Staatsfinanzen beigetragen", berichtet sie.
Trotz heftiger Kritik haben alle Oppositionsparteien - mit Ausnahme der rechtsextremen Goldenen Morgenröte - im Parlament für die Einmalzahlungen an Bedürftige gestimmt. Darin zeige sich ein gewisses Richtungsdilemma des konservativen Oppositionsführers Kyriakos Mitsotakis, glaubt Politikwissenschaftler Tzogopoulos: "Das Sparprogramm wäre durch die Geldgeber für alle potentiellen Regierungschefs mehr oder weniger vorgegeben. In diesem Rahmen vermittelt Tsipras allerdings den Eindruck, dass er sich verstärkt um die sozial Schwachen kümmert, und die Frage lautet nun, ob Mitsotakis ein glaubwürdiges Gegenangebot parat hat."
Warten auf die Geldgeber
Schon einmal hat sich Tsipras besonders spendierfreudig zum Jahresende gezeigt: Im Dezember 2016 ließ der Linkspolitiker unter Hinweis auf den sich abzeichnenden Primärübeschuss 600 Millionen Euro an Kleinrentner verteilen. Schon damals sprach die konservative Opposition von einem Ablenkungsmanöver nach dem Prinzip "Linke Tasche, rechte Tasche". Auch die Geldgeber Griechenlands zeigten sich kaum begeistert über Geldgeschenke, die mit ihnen offenbar nicht abgesprochen waren. Ob sie in diesem Jahr Verständnis aufbringen, wird sich bald zeigen: In den nächsten Tagen werden die Kontrolleure der Gläubiger in Athen erwartet, um griechische Reformbemühungen erneut unter die Lupe zu nehmen.
Eine Entscheidung über die Auszahlung der nächsten Kredittranche an Athen wird allerdings nicht vor Januar 2018 erwartet. "Ich vermute, dass die Geldgeber mit den Einmalzahlungen für Hilfsbedürftige einverstanden sind; sonst sehe ich weitere Sparmaßnahmen auf uns zukommen", meint Analyst Tzogopoulos.
Überschattet wurde die Debatte im Parlament von schweren Überschwemmungen im Westen Athens. Einundzwanzig Menschen starben, eine weitere Person wird vermisst, viele Bewohner sind obdachlos. Auch hier will Tsipras eingreifen und verspricht Soforthilfen in Höhe von 5.000 Euro pro Haushalt. Vermutlich rechnet der Ministerpräsident damit, dass zumindest ein Teil der Kosten von der EU übernommen wird.