Aufstand in der Wüste
6. April 2012Für den Westen war Mali lange Zeit ein demokratischer Vorzeigestaat der Region, doch seit zwei Wochen regiert im Land das Chaos. Begonnen hatte alles am 21. März, als sich Soldaten in der Hauptstadt Bamako versammelten, um gegen die schlechte Ausrüstung zu protestieren, mit der sie gegen überlegene Tuareg-Rebellen kämpfen sollten. Die Meuterei der Truppe mündete in einem Militärputsch, der die Regierung von Präsident Amadou Toumani Touré am 22. März stürzte. Inzwischen hat der neuen Machthaber, Hauptmann Amadou Sanogo, sich imit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS auf ein Abkommen verständigt, das die Rückkehr zu einer zivilen Regierung vorsieht.
Vorgesehen ist, dass Sanogo zurücktritt und die Macht an Parlamentspräsident Diouncounda Traore übergibt, der als Übergangspräsident fungieren wird und eine Parlamentswahl ansetzen soll. Für die Putschisten wird es eine Amnestie geben.
Für einen neuen Staat
Der Journalist und Nordafrikaexperte Alfred Hackensberger hat viele Jahre in Libyen gelebt und kennt die Lage in der Region aus eigener Anschauung. Er erklärt den Putsch in Bamako und den Aufstand im Norden mit der Entwicklung beim Nachbarn Libyen. Nach dem Ende des Regimes seien auch die in Gaddafis Armee dienenden Tuaregs wieder in ihre Heimat im Norden Malis zurückgekehrt. Ausgerüstet mit unzähligen erbeuteten Waffen hätten die Nomaden "die Gelegenheit wahrgenommen, eine Rebellion zu machen, weil sie genau wussten, dass sie der malischen Armee überlegen sind", so Hackensberger.
Die nomadisch lebenden Tuareg sind ein Berber-Volk und besiedeln ein Gebiet, das auf den Territorien von Mali, Niger, Algerien, Libyen und Burkina Faso liegt. Weil sie sich durch die Regierungen dieser Länder in ihren nomadischen Traditionen behindert sehen, kämpften die Tuareg immer wieder in verschiedenen Aufständen für ein eigenes autonomes Gebiet - bislang allerdings erfolglos.
Angst vor Fundamentalismus
In der aktuellen Rebellion im Norden Malis ist es ihnen gelungen, die Kontrolle über die drei nördlichen Provinzen des Landes zu erringen: Gao, Kidal und Timbuktu. Dieses Gebiet erklärten die Aufständischen am Freitag (06.04.2012) für unabhängig. Der neue Staat heiße Azawad, so die "Bewegung zur Befreiung des Azawad" (MNLA). Zuvor hatte ihr Anführer Bilal Ag Acherif bekannt gegeben, dass die Tuareg eine Waffenruhe halten würden. Für den Mali-Experten Hackensberger keine Überraschung, hätten die Rebellen doch alles erreicht: "Die Tuareg haben genau das Gebiet erobert, das sie beanspruchen für ihren Staat. Und sie haben vorher erklärt, dass sie nicht weiter vordringen wollen."
Eine zweite Tuareg-Organisation, die sich am Aufstand beteiligt, ist "Ansar Dine". Der islamistischen Gruppe werden Kontakte zur Al-Kaida-Organisation im Maghreb nachgesagt. Laut BBC habe "Ansar Dine" bereits eine strenge Form des islamischen Rechts in den eroberten Städten eingeführt. Diese Scharia sieht einen Schleierzwang für Frauen vor und drakonische Strafen für Gesetzesverstöße.
Alfred Hackensberger sieht den aktuellen Aufstand allerdings nicht religiös motiviert, denn die "Tuareg-Bewegung ist eigentlich eine säkulare Bewegung". Zwar gebe es auch hier in Teilen eine Rückbesinnung auf religiöse Traditionen, doch "der überwiegende Teil sind gemäßigte Muslime", so Hackensberger gegenüber der Deutschen Welle.
International isoliert
Ganz egal, wie die Machtkämpfe zwischen Militärs und Rebellen in den kommenden Tagen weitergehen, die Bevölkerung leidet schon jetzt unter den jüngsten Entwicklungen. Das Land ist derzeit international isoliert. Die USA haben die Direkthilfen an ihren bisherigen Verbündeten in Höhe von rund 13 Millionen US-Dollar ausgesetzt. Der aus dem Amt geputschten malischen Regierung von Präsident Touré sprach Washington seine Solidarität aus. Auch die in der Region immer noch stark engagierten Franzosen haben sämtliche Hilfsleistungen eingestellt. Auf europäischer Ebene forderte EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton die Putschisten auf, die "konstitutionelle Ordnung" so schnell wie möglich wieder herzustellen.
Ein neuer Krieg?
Anders als die europäischen Staaten denken die afrikanischen Nachbarn bereits laut über eine militärische Intervention in Mali nach. Die westafrikanische Wirtschaftsorganisation Ecowas, der 15 Staaten dieser Region angehören, arbeitet offenbar an Plänen für einen Militärschlag gegen die Tuareg-Rebellen im Norden des Landes. Berichten zufolge hat die Organisation rund 2000 Soldaten in Bereitschaft versetzt. Der französische Außenminister Alain Juppé sagte dazu, sein Land sei bereit, eine Ecowas-Eingreiftruppe logistisch zu unterstützen. Zu Beginn dieser Woche hatte die Ecowas bereits diplomatische und wirtschaftliche Sanktionen gegen das Land verhängt. Mali gehört schon heute zu den ärmsten Ländern der Welt und ist von Hilfsleistungen aus dem Ausland stark abhängig.