Tumulte bei Verteilung von Lebensmitteln
24. Januar 2010Die Lage in Haiti nach dem verheerenden Erdbeben vom 12. Januar ist weiter angespannt. Trotz der internationalen Hilfe ist die Versorgung der Menschen in dem verarmten Karibikstaat immer noch schwierig. Auch am Sonntag (24.01.2010) kam es wieder zu Plünderungen und Gewalt. Auch bei der Verteilung von Hilfsgütern gibt es weiterhin Tumulte und Unruhe.
Bereits am Samstag mussten Soldaten der Vereinten Nationen Tränengas einsetzen, um eine Eskalation der Lage bei der Ausgabe von Nahrungsmitteln zu verhindern. Augenzeugen berichteten, Hunderte Menschen hätten zunächst ruhig angestanden, um Nahrungsmittel, Wasser und Radiogeräte zu erhalten. Dann habe es kleinere Rangeleien gegeben, schließlich habe sich die Menge auf die zu verteilenden Güter gestürzt. Der Zwischenfall ereignete sich den Angaben zufolge auf einem ehemaligen Militärflugplatz in der Hauptstadt Port-au-Prince.
Inzwischen stellte das UN-Welternährungsprogramm die Ausgabe von Lebensmitteln an mehreren Orten Haitis aus Sicherheitsgründen vorübergehend ein.
Erneut junger Mann aus Trümmern gerettet
Elf Tage nach dem Beben in Haiti konnte ein junger Mann aus den Trümmern gerettet werden. Er wurde am Samstag aus einem eingestürzten Lebensmittelladen geborgen. Er habe bei dem Beben unter einem Tisch Zuflucht gefunden, dort auf dem Rücken liegend ausgeharrt und mit Hilfe von Cola, Bier und Keksen überlebt, berichtete Wismond Exantus anschließend im Krankenhausbett.
Seine Angehörigen hatten die Einsatzkräfte zuvor immer wieder gedrängt, nach dem 25-Jährigen, der als Verkäufer in dem Lebensmittelgeschäft eines Hotels gearbeitet hatte, zu suchen. Insgesamt konnten inzwischen 133 Menschen lebend aus den Trümmern zahlloser zerstörter Gebäude geborgen werden. Die haitianische Regierung dementierte inzwischen, dass sie die Suche nach Verschütteten offiziell für eingestellt erklärt habe.
Zahl der Opfer steigt
Nach Angaben von Informationsministerin Marie-Laurence Jocelyn Lassegue stieg die Zahl der offiziell registrierten Erdbebentoten allein in Port-au-Prince auf 150.000. Es wird befürchtet, dass die Zahl der Opfer weiter steigt. Hilfsorganisationen rechnen mit bis zu 200.000 Toten. Durch das Beben der Stärke 7,0 seien in den drei am stärksten betroffenen Städten Port-au-Prince, Jacmel und Léogâne die Hälfte der Häuser zerstört worden.
Eine Million Obdachlose
Die Vereinten Nationen schätzen, dass etwa eine Million Menschen obdachlos sind und versuchen werden, in die Landesteile Haitis zu fliehen, die von den Folgen des Erdbebens weniger betroffen sind. In der Erdbebenzone existieren inzwischen Hunderte wilde Camps, in denen Tausende Menschen, die all ihr Hab und Gut verloren haben, ums Überleben kämpfen.
Die Regierung Haitis schicke jetzt verstärkt medizinische Dienste in diese Camps, um Verletzte zu suchen und sie angemessen medizinisch zu behandeln, sagte Lassègue zu Journalisten. Fachleute befürchten, dass auch zahlreiche Leichtverletzte an Wundinfektionen sterben könnten.
Haiti will Kinderhandel unterbinden
Am Wochenende gab es erste Anzeichen für eine leichte Entspannung der Lage. In Port-au-Prince öffneten erstmals seit dem Erdbeben einige Banken, Straßenhändler legten zwischen den Trümmern ihre Waren aus. Bereits am Freitag war der Hafen der Hauptstadt teilweise wieder geöffnet worden. Die Wiederaufnahme des Hafenbetriebs dürfte die Versorgung der Erdbebenopfer mit Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten verbessern.
Aus Sorge vor Kinderhandel verbot Haitis Regierung Adoptionen und verstärkte außerdem die Überwachung der Grenzen. Die UN-Truppen hätten die Krankenhäuser um strengere Kontrollen gebeten, teilte ein Sprecher der Vereinten Nationen mit. Er wollte die Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF über den vereinzelten Raub von Kindern in den vergangenen Tagen jedoch nicht bestätigen. Nach dem verheerenden Erdbeben waren Berichte über einen zunehmenden Kinderhandel im Armenhaus Amerikas publik geworden.
Spendengala "Hope for Haiti Now" bringt 58 Millionen Dollar
Die Bundesregierung stockt unterdessen ihre Hilfe für Haiti auf. Entwicklungsminister Dirk Niebel stellt weitere fünf Millionen Euro bereit, um den vielen Obdachlosen schnell eine Unterkunft zu bauen. Insgesamt erhöhte die Bundesregierung damit die Hilfe auf 15 Millionen Euro. Darüber hinaus ist die Regierung an den EU-Hilfen aus Brüssel mit rund 66 Millionen Euro beteiligt und unterstützt auch das von der Weltbank angekündigte Engagement in Höhe von insgesamt 100 Millionen US-Dollar (70 Millionen Euro).
Als Vorbereitung einer geplanten Geberkonferenz für den Wiederaufbau Haitis wollen von Montag an mehr als 20 Länder im kanadischen Montréal diskutieren. Zu dem Krisentreffen reisen unter anderem US-Außenministerin Hillary Clinton, ihr französischer Kollege Bernard Kouchner sowie Vertreter der Vereinten Nationen und internationaler Finanzinstitutionen an.
Mit einer gigantischen Benefizgala sammelten Dutzende Stars - vor allem aus den USA - bislang fast 58 Millionen Dollar (41 Millionen Euro). Die Fernsehshow, die weltweit übertragen wurde, kam live aus Los Angeles, New York und London. Stars wie Madonna, Stevie Wonder oder Shakira sangen für die Überlebenden der Naturkatastrophe. Schauspieler, darunter Clint Eastwood und Matt Damon, erzählten von einzelnen Schicksalen und baten um Spenden. Die Veranstalter meldeten, auch mehr als 24 Stunden nach der zweistündigen Benefizgala würde die Flut der Spenden nicht abreißen.
Autorin: Ursula Kissel (afp, ap, dpa)
Redaktion: Julia Elvers-Guyot