Tunesiens Ex-Regierungschef Larayedh in Haft
20. Dezember 2022Wenige Tage nach der umstrittenen Parlamentswahl in Tunesien ist der frühere Ministerpräsident Ali Larayedh inhaftiert worden. Zuvor habe die Polizei den Politiker mehrere Stunden lang verhört, teilte seine Partei, die islamistische Ennahda, mit. Die Befragung sei im Rahmen von Ermittlungen zur Ausreise tunesischer Dschihadisten nach Syrien und in den Irak erfolgt.
Fast 90 Prozent der Tunesier waren der Wahl am Sonntag gemäß einem Aufruf fast aller Oppositionsparteien ferngeblieben. Hintergrund sind Vorwürfe, Präsident Kais Saïed habe seine eigene Position zulasten der Demokratie mehr und mehr gestärkt - aber auch tiefe Enttäuschung über die politische Klasse in weiten Teilen der Bevölkerung.
"Systematisch im Visier"
Ennahda, die ebenfalls die Wahl boykottierte, warf Saïeds Regierung vor, ihre Parteispitze "systematisch ins Visier" zu nehmen. Larayedhs Festnahme sei ein "verzweifelter Versuch der Putschregierung und ihres Präsidenten, die Farce der Parlamentswahl zu vertuschen". Die Behörden wollten damit von Forderungen nach einem Rücktritt von Saïed ablenken, so die Oppositionspartei.
Saïed war Ende 2019 gewählt worden. Im Jahr 2021 entmachtete er unter Berufung auf Notstandsgesetze die Regierung und das Parlament. Kurz darauf leitete er eine Untersuchung zur Verantwortung früherer tunesischer Politiker im Zusammenhang mit der Ausreise tunesischer Dschihadisten ein. Er trieb zudem eine Verfassungsänderung voran, die ihm deutlich mehr Macht verlieh. Das neue Parlament kann infolge der Reform den Präsidenten nicht mehr absetzen, ein Misstrauensvotum gegen die Regierung ist praktisch unmöglich geworden.
Blick zurück im Zorn
Kritiker fürchten, die neue Verfassung könnte den Weg zurück zu einem autoritären Regierungssystem - wie unter dem langjährigen Staatschef Zine el-Abidine Ben Ali - ebnen. Dieser war im Januar 2011 zum Auftakt der Massenproteste des Arabischen Frühlings entmachtet worden. Nach seinem Sturz reisten internationalen Organisationen zufolge rund 6000 Dschihadisten nach Libyen, Syrien und in den Irak, um sich freiwillig als ausländische Kämpfer zu melden.
jj/sti (afp, ap)