Tunesiens Medien fürchten Repression
3. Mai 2022Mitte April wurde Shahrazad Okacha während einer Straßenkontrolle in Gewahrsam genommen. Einen Tag verbrachte sie in Haft. Während dieser Zeit untersuchten Beamte der Sicherheitsbehörden das Handy der tunesischen Journalistin. Okachas Vergehen: Sie hatte den tunesischen Innenminister in scharfen Worten auf Facebook kritisiert.
Kurz zuvor war die Journalistin bereits schon einmal verhaftet worden. Daraufhin hatte sie den Innenminister auf ihrem Facebook-Account aufgefordert, die Polizei besser zu kontrollieren. Die Beamten, so Okacha, hätten sie beleidigt, geschlagen und ihr das Kopftuch abgerissen.
"Von heute an", zitiert sie die internationale Nachrichtenplattform Tellerreport, "mache ich Innenminister Tawfiq Sharaf El-Din persönlich verantwortlich für meine physische und moralische Sicherheit wie auch die Sicherheit meiner Familie, meines Hauses und meines Autos, das seine Helfer ohne Erlaubnis durchsuchen wollten." Womöglich habe man eine Anklage gegen sie konstruieren wollen, so die für ihre scharfe Kritik bekannte Journalistin. Das sei aber nicht gelungen.
Sorge um Quellenschutz
"Um die Pressefreiheit steht es zunehmend schlechter", sagt Okacha nun im Gespräch mit der DW. "Wir sind dabei, in die Zeit vor 2011 zurückzukehren. Damals, in den Jahren autoritärer Herrschaft, wurden die Medien mit denselben Methoden gegängelt wie heute."
Laut Reporter ohne Grenzen hat sich seit der Wahl von 2019 das Klima deutlich verschlechtert. In der Rangliste der Pressefreiheit 2022 rutschte Tunesien von Platz 73 im vergangenen Jahr auf Rang 94.
Im vergangenen Sommer hatte der tunesische Präsident Kais Saied das Parlament entmachtet. Zwar hatte er versichert, die verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten sollten erhalten bleiben. Dennoch sind in den vergangenen Monaten vermehrt Gerichtsverfahren gegen Journalisten und Blogger eröffnet worden. Gegen diesen Kurs richtet sich zunehmend öffentlicher Widerstand.
Die autoritäre Linie des Staatspräsidenten bekam etwa der Journalist Khalifa Al Qasimi, Korrespondent des Radiosenders „Mosaique" in der 150 Kilometer südwestlich von Tunis gelegenen Stadt Kairouan, zu spüren. Er hatte über islamistischen Terrorismus berichtet. Daraufhin wurde er Mitte März verhaftet und aufgefordert, die Namen von Informanten preiszugeben. Al Qasimi weigerte sich. Nach einer Woche wurde er freigelassen.
Auch in ihrem Fall hätten die Sicherheitsbehörden versucht, ihre Quellen zu erfahren, sagt die Journalistin Shahrazad Okacha. Presse-, Meinungs- und Veröffentlichungsfreiheit seien bedroht. "Dabei gehören sie zu den Errungenschaften, für die Generationen von Journalisten unter der Regierungszeit der Präsidenten Ben Ali und Habib Bourguiba gekämpft haben."
Journalistenverband: Druck auf Medien steigt
Ähnlich sieht es auch der tunesische Journalistenverband. Die Anzeichen für steigenden Druck häuften sich, sagt Abderaouf Bali, Verbandsreferent für Rechts- und Berufsangelegenheiten.
"Es kommt vermehrt zu Gerichtsverfahren. Journalisten werden an ihrer Arbeit gehindert. So müssen sie bisweilen spezielle Genehmigungen für ihre Arbeit vorlegen, die vom Gesetz her nicht erforderlich sind. Andere wiederum werden dazu gedrängt, ihre Quellen preiszugeben."
Bali kritisiert zudem fehlenden Pluralismus in Talkshows, insbesondere denen des staatlichen Fernsehens. "Das Fernsehen hat sich zu einer Propaganda-Schau für die herrschende Autorität entwickelt. Das ist ein Verstoß gegen die grundlegende Aufgabe der der Medien."
Ähnlich sieht es auch die Journalistin Habiba Al-Obaidi vom tunesischen Journalistenverband. "Wir haben den Eindruck, dass das Fernsehen auf eine Linie gebracht und in eine Propaganda-Maschine des Staats verwandelt werden soll", erklärte sie kürzlich bei einer Kundgebung von Journalisten.
Journalist vor Militärgericht
Der Verband weist auf eine weitere Entwicklung hin: Die Anklage von Journalisten vor Militärgerichten. So etwa musste sich im Juni vergangenen Jahres der Blogger Salim al-Jabali vor einem Militärgericht verantworten, nachdem er mehrere satirisch-kritische Beiträge über den Staatspräsidenten sowie hochrangige Beamte veröffentlicht hatte. Im November vergangenen Jahres wurde er zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt.
Außerdem wurden wiederholt Reporter attackiert, als sie über politische Versammlungen und Kundgebungen berichteten. Die Gewerkschaft der Journalisten berichtete zuletzt von 23 Angriffen auf seine Mitglieder allein im März dieses Jahres. Für den Vormonat wurden 17 Angriffe registriert. Die Hälfe davon gehe auf Mitarbeiter der Justizbehörden zurück.
Anhänger des Präsidenten erklären hingegen, die Medien seien nicht objektiv und berichteten voreingenommen über dessen Politik. Journalisten würden die Leistungen der Regierung bewusst ignorieren und der Opposition mehr Raum als der Regierung geben.
Wachsender ökonomischer Druck
Als schwierig bezeichnen viele tunesische Journalisten zudem ihre wirtschaftliche Lage. Der Verdienst vieler Journalisten liege bei gerade 150 US-Dollar (knapp 143 Euro) pro Monat, war zuletzt in einer Umfrage zu lesen. Außerdem klagten die Befragten über prekäre Arbeitsbedingungen.
Inzwischen hat der tunesische Journalistenverband mit der Regierung zwar eine Vereinbarung getroffen, auf deren Grundlage die Rechte wie auch die Gehälter von Journalisten festgeschrieben werden sollen. Deren Umsetzung steht aber noch aus.
Um den Journalismus im Tunesien zu schützen, brauche es Reformen, sagt Abderaouf Bali vom tunesischen Journalistenverband. Der Staat müsse ernsthafte Reformen einzuleiten und die vornehmste Aufgabe der Medien respektieren - nämlich die, dem Bürger und nicht der herrschenden Autorität zu dienen. Gefordert seien nun alle: Staat, Medien, Gesellschaft.
Aus dem Arabischen adaptiert von Kersten Knipp.