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Tupfer, Zange, Kamera?

22. Januar 2010

Rund um die Uhr wird im Fernsehen über die Folgen des Erdbebens in Haiti berichtet. Zum ersten Mal haben dabei alle großen Sendeanstalten Journalisten in das Katastrophengebiet gesandt, die als Ärzte ausgebildet wurden.

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Bild: DW

Dr. Sanjay Gupta ist der Bekannteste. Der smarte Neurochirurg war vor einem Jahr auch schon als oberster Gesundheitsberater der Obama-Regierung im Gespräch. Gupta erklärte dann selbst, er wolle den Job nicht machen. Ob er damit der Absage aus dem Weißen Haus einfach nur zuvorkam, ist nicht bekannt. Jedenfalls erklärt er weiter der Nation auf CNN, was sie gegen Übergewicht, Schweinegrippe oder andere medizinische Bedrohungen und Probleme tun kann. Und er ist überall dort, wo es Verletzte gibt: So operierte er vor laufender Kamera 2003 bereits in einem Armee-Lazarett im Irak.

Fernschreiber Christina Bergmann

Jetzt ist Sanjay Gupta als Korrespondent nach Haiti geflogen – und hat bereits mehrmals medizinische Hilfe geleistet. Er untersuchte ein 15 Tage altes Mädchen, das eine Kopfverletzung hatte und verband die Wunde. Als bei einem 12jährigen Mädchen an Bord des Flugzeugträgers USS Vinson Betonfragmente aus dem Kopf operiert werden mussten, und kein Experte aufzutreiben war, bat das Militär Gupta um Hilfe. Der sagte zu. Denn selbstverständlich sei er zuallererst Arzt, erklärte er, und in zweiter Linie Journalist.

PR-Wettlauf der operierenden Journalisten

Ebenso selbstverständlich sendet CNN telegene Fotos von dem operierenden Gupta und erzählt dazu die Geschichte. Die Untersuchung des Neugeborenen fand gar vor laufender Kamera statt. Denn der Einsatz der Journalisten mit Doktortitel erfolgt nicht ohne Blick auf die Quote. Das geben die Fernsehverantwortlichen offen zu. Nach einem Bericht der Washington Post erklärt Paul Friedman, Vizepräsident von CBS, dass die Arbeit von Gupta auf dem Konkurrenzsender dazu geführt habe, auch die eigene Journalisten-Ärztin Jennifer Ashton, stärker ins Rampenlicht zu rücken. "Wir sind der Ansicht, dass wir das tun können, ohne uns zu prostituieren oder die Zuschauer in die Irre zu führen", wird Friedman zitiert.

So berichtet Dr. Ashton in grünem OP-Outfit, was auf dem Lazarettschiff USNS Comfort passiert, das vor der Küste Haitis liegt. Dr. Nancy Snyderman von NBC erzählt, wie sie selbst Verwundete versorgt und die Ärzte mit der Arbeit doch nicht nachkommen, weil immer mehr Schwerverletzte zu ihnen gebracht werden. Und Dr. Richard Besser von ABC lieferte eine hochschwangere junge Frau, der eine komplizierte Geburt bevorstand, in das israelische Feldlazarett in Port-au-Prince ein. Dort kam das Kind gesund zur Welt und auch die Mutter überlebte.

Eigennutz oder Allgemeinwohl?

Eine erfolgreiche Operation, ein gesundes Baby – mit jeder persönlichen Geschichte bekommt die Katastrophe ein Gesicht. Das ist es, was die Zuschauer an den Bildschirm fesselt. Die Journalisten haben daher auch keine Hemmungen, ganz nah ran zu gehen. Das persönliche Leid eines einzelnen Menschen wird zum nationalen TV-Erlebnis. Die Würde des Einzelnen ist nicht mehr wichtig.

Nun könnte man argumentieren, dass es keine Rolle spielt, aus welchen Gründen einem Menschen medizinische Hilfe geleistet wird, der sonst keinen Zugang dazu hätte. Dass es kein Problem ist, wenn ein Fernsehsender vom Leid der Menschen profitiert, wenn er ihnen gleichzeitig hilft. Aber es bleibt ein ungutes Gefühl. Und die Frage, ob denn nicht mehr gilt, was für den großen Journalist Hanns Joachim Friedrichs das A und O des Journalismus war: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache."

Autor: Christina Bergmann

Redaktion: Oliver Samson