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Turkmenistan: Das vergoldete Lächeln des Turkmenbaschi

Mathias Bölinger9. Mai 2006

Ein bizarrer Personenkult, Schauprozesse gegen Beamte im Fernsehen und Engpässe in der Energieversorgung trotz riesiger Gasreserven: Turkmenistan ist ein absurdes Land.

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Turkmenbaschi-Statue in AschchabadBild: AP

Turkmenische Schulkinder lernen früh, was im Leben wichtig ist. Zum Beispiel im Mathematikunterricht. Eine Rechenaufgabe für Zweitklässler geht so: "Gulnara hat das Buch Ruchnama gelesen. Sie hat am ersten Tag sechs Seiten gelesen. Am zweiten Tag hat sie vier Seiten mehr als am ersten Tag gelesen. Wie viele Seiten Ruchnama hat Gulnara am zweiten Tag gelesen?“

Was die Kinder hier lernen ist nämlich nicht nur, dass 6+4=10 ist, sondern auch, was sie nach Meinung ihres Präsidenten vor allem tun sollen: Ruchnama lesen. Ruchnama heisst übersetzt "Buch des Geistes" und wurde vom turkmenischen Präsidenten Saparmurat Nijasow geschrieben. Nijasow nennt sich Turkmenbashi - das heisst "Oberhaupt aller Turkmenen" - und findet, dass Ruchnama auf einer Stufe mit dem Koran steht.

"Trage den Kopf höher Turkmene!"

Was die fleißige kleine Gulnara darin lesen kann, ist eine krude Mischung aus historischen und religiösen Mythen, und nationalistischen Beschwörungsformeln: "Trage den Kopf höher Turkmene! Mehr Selbstbewusstsein! So vieles ist dir gegeben. Und deshalb musst du auch viel geben. Nur der Turkmene macht den Turkmenen zum Turkmenen. Dir zur Hilfe, mein Bruder, mein Landsmann, habe ich mich an dieses Buch gesetzt."

Karte Zentralasien Turkmenistan Hauptstadt Asgabat Quelle: DW-WORLD

Dann hat der Präsident das Buch gleich noch auf alle Lehrpläne gesetzt: in den Schulen, in den Universitäten, ja sogar in den Führerscheinkursen. Außerdem hat er den September Ruchnama genannt. Turkmenistan hat nämlich einen neuen Kalender: Der April heißt jetzt Gurbansoltan – nach der Mutter des Herrschers - und der Januar ist nach dem Turkmenbashi selbst benannt. Auch der einzige Hafen des Landes am kaspischen Meer heißt Turkmenbaschi. Und mitten in der Hauptstadt steht eine überlebensgroße goldene Turkmenbaschi-Statue, die sich mit der Sonne dreht, damit nie ein Schatten auf dem Gesicht des Vaters der Nation liegt.

"Antisoziale Propaganda"

Der turkmenische Präsident Saparmurad Niyazov
Der Turkmenbashi unvergoldetBild: AP

Doch außer einem vergoldeten Lächeln und hochtrabenden Worten hat der Turkmenbaschi seinem Volk wenig zu geben. Zwar ist das Land einer der größten Gasexporteure der Welt, doch der größte Teil der Einnahmen versickert im Umfeld des Präsidenten. Im Herbst 2005 häuften sich Berichte, dass die Getreidevorräte nicht über den Winter reichen. Und sogar die Energieversorgung, die für die Turkmenen eigentlich kostenlos ist, fällt immer öfter aus. Eine Bewohnerin der Hauptstadt berichtet, sie sei seit zwei Wochen ohne Heizung. Die Bewohner hätten sich zuerst an die Hausverwaltung gewandt und, als das nichts nutzte, an die Stadtverwaltung. Die Stadtverwaltung habe versprochen, dass jemand kommt und sich darum kümmert. "Und sie sind gekommen", berichtet die Frau. "Sie haben uns gesagt, dass wir antisoziale Propaganda verbreiten, die gegen die staatliche Ordnung gerichtet ist. Und dass wir dafür vor Gericht kommen können. Jetzt frieren wir weiter."

Nijasows Buch Ruhnama
Ruchnama-Denkmal im Ruchnama-Park in AsgabadBild: AP

Im Februar hat der Turkmenbaschi seinem Volk dann noch die Rente gekürzt. Statt der bisher durchschnittlich 50 Euro soll es jetzt nur noch 40 geben und für alle, die erst im Laufe ihres Arbeitslebens nach Turkmenistan gekommen sind – das sind vor allem Russen – gibt es gar keine Rente mehr. Zeugen berichteten daraufhin von spontanen Protestaktionen. Zahlreiche Rentner hätten Selbstmord begangen.

"Der Präsident kann nicht jedem Verzeihen"

Der Präsident wiederum hat die Schuldigen für die Misere im Land schon gefunden. Er hat sich angewöhnt, Gespräche mit Ministern, Beamten und Abgeordneten im Fernsehen übertragen zu lassen. Vor laufender Kamera beschuldigt er sie dann der Korruption und droht, sie ins Gefängnis werfen zu lassen. Und wenn er seine Drohung dann wahr macht, dann hilft den in Ungnade gefallenen keine Reue, kein Flehen und kein Bitten. "Der Präsident kann nicht jedem verzeihen", beschied er der kürzlich geschassten Generalstaatsanwältin Kurmanbibi Atadschanowa. Kritik muss der Präsident von seinen Getreuen da natürlich nicht fürchten. Und auch das Ausland hält sich vornehm zurück. Der Turkmenbaschi hat einfach zu viel Gas.