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Dunkelheit in Turku

25. Februar 2011

Nicht viele Menschen lieben die Dunkelheit. Aber in Finnland gehört sie im Winter einfach dazu. Turku im Süden ist Europas Kulturhauptstadt 2011. Dort will man das schlechte Image der Dunkelheit aufpolieren: mit Kultur.

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"Pitchblack Nightlife" (Foto: Klaus Jansen/ DW)
"Pitchblack Nightlife"Bild: Klaus Jansen/ DW

Es ist dunkel. Stockdunkel. Absolut nichts ist zu sehen. Trotzdem herrscht gute Stimmung in einer kleinen Halle im finnischen Turku. Ein knappes Dutzend Kulturhauptstadt-Besucher aus Deutschland unterhält sich, lacht, und tanzt zu live gespielter Akkordeon-Musik. Ob wirklich getanzt wird und ob die Musik wirklich live ist kann dabei natürlich niemand mit Gewissheit sagen, außer die Tänzer und die Musikerin selbst. Die Phantasie ist gefragt, meint Paula Väinämö. Die Künstlerin hat zu "Pitchblack Nightlife" geladen, einem Projekt das die Dunkelheit in den Mittelpunkt stellt. Es gibt eine Bar, es gibt Tische und Stühle und eine Tanzfläche, aber das Licht fehlt komplett. "Weil es wirklich völlig dunkel ist öffnet sich ein völlig anderes Universum", meint Väinämö. "Man findet Kultur dort, aber auf eine völlig andere Art und Weise. Die Dunkelheit ist nicht leer, es gibt viele Farben, aber es sind andere Farben.

Blick von einer Brücke in Turku auf einen zugefrorenen Fluss (Foto: Klaus Jansen/ DW)
Wieder ein diesiger Tag ohne viel Licht in TurkuBild: Klaus Jansen/ DW

Was macht die Dunkelheit mit den Menschen?

Die Künstlerin, die selbst stark sehbehindert ist, hat ihr Tanzprojekt als Experiment angelegt: Was macht die Dunkelheit mit denen, die sie betreten? Wie reagieren die Menschen, wenn sie für eineinhalb Stunden zu Blinden unter Blinden werden? Die Rahmenbedingungen sind für alle gleich, aber die Reaktionen seien äußerst unterschiedlich, sagt Väinämö: "Einige Besucher glauben, dass sie nicht mehr existieren, wenn sie still sind, die werden also ziemlich laut, und reden die ganze Zeit." Andere wiederum fühlten sich im Dunklen einfach sicher und geborgen und genössen die Zeit. Wieder andere fürchteten sich und wollten so schnell wie möglich wieder ins Helle. Von den über 1000 Besuchern habe eigentlich jeder etwas anders auf die Dunkelheit reagiert. In der deutschen Gruppe in der pechschwarzen Halle wird zumindest geredet was das Zeug hält. Ein aktives Ankämpfen gegen das Dunkel.

Kämpfen gegen die Kaamos-Depression

Dieser Kampf ist den Menschen in Finnland wohlbekannt. Wenn die Winter lang und länger werden, wenn es immer noch nicht hell werden will, dann kann das eine große Herausforderung für die Psyche sein. Für die wochenlange Polarnacht im Norden des Landes gibt es einen speziellen finnischen Begriff: "Kaamos". Danach ist auch die Kaamos-Depression benannt, die für den Turkuer Psychologieprofessor Simo Saarijärvi ein Dauerthema ist. Er behandelt immer wieder Menschen mit diesem Krankheitsbild, und im Rahmen der Kulturhauptstadt 2011 hat er schon einige Vorlesungen zu diesem Thema gehalten.

In Finnland nehmen etwa 400.000 Menschen Anti-Depressiva, schätzt Saarijärvi: "Wir sind halt alle Säugetiere. Und unser Gehirn reagiert nun mal auf den Wechsel zwischen hell und dunkel. Die Tiere passen sich dem an und leben danach." Aber die Menschen in Finnland täten das häufig nicht. Saarijärvi zufolge ignorierten vor allem die Menschen im Süden Finnlands - in den großen Städten - die lange Dunkelheit einfach. Wer dann aber im Job weiter alles gebe und sich keine Pause gönne, der riskiere auf Dauer seine Gesundheit. Zwei Prozent der Finnen – sagt der Psychologe – haben eine ernsthafte Winterdepression entwickelt, und bis zu 30 Prozent der Bevölkerung haben im Winter depressive Tendenzen.

Entspannen wie im Norden
Psychologie-Professor Sima Saarijärvi aus Turku lächelt in die Kamera (Foto: Klaus Jansen/ DW)
Sima Saarijärvi aus TurkuBild: Klaus Jansen/DW

Der Tipp des Psychologie-Professors: "Macht es wie die Säugetiere, gönnt euch mal eine Pause wenn es draußen wieder dunkler wird, und haltet es wie die Leute in Nord-Finnland." Denn die Kaamos-Symptome ließen sich viel häufiger im Süden des Landes beobachten. In Lappland, im Norden, nähmen es die Menschen einfach leichter: "Dort nehmen sie sich "Luppo-Zeit", eine Zeit der Entspannung." Einfach mal einen Gang zurückschalten, laut Simo Saarijärvi ein gutes Mittel gegen die Winterdepression.

Aber weil viele Finnen im Job so eingebunden sind, versuchen sie sich anders zu helfen: Mit viel Vitamin D, das in immer mehr finnischen Lebensmitteln dazu gemixt wird und von vielen auch in Pillenform geschluckt wird, und mit starken Bestrahlungslampen, die das Gemüt wieder aufhellen sollen. Auch Professor Saarijärvi setzt auf diese Lampen, ein gutes Mittel gegen dunkle Stimmung, wie er meint.

Mit Dunkelheit gegen schlechte Stimmung


Mit dem Gegenteil versucht es die Turkuer Künstlerin Paula Väinämo: Mit Dunkelheit gegen schlechte Stimmung. Denn sie glaubt fest daran, dass in der Dunkelheit auch viel Energie liegt: "Vielleicht kann man in der Dunkelheit einfach besser entspannen. Da sieht dich niemand, und niemand kann nachvollziehen was du gerade tust. Das ist eine entspannende Erfahrung." Die Dunkelheit zulassen und bewusst einsetzen, um wieder zu Kräften zu kommen. Und wieder auf das hören, was einem der eigene Körper sagt.

Das ist die künstlerische Botschaft hinter "Pitchblack Nightlife" in Turku. Und dieser Botschaft kann schließlich auch der Psychologie-Professor zustimmen. Simo Saarijärvi glaubt, das Projekt sei eine gute Sache: "Es versucht, die Dunkelheit als etwas Positives darzustellen."

Mittel gegen schlechte Laune: Karaoke-Sängerin auf einer Bühne (Foto: Steffi Lachnit/ DW)
Mittel gegen schlechte LauneBild: Klaus Jansen/DW

Die deutschen Besucher des finnischen Dunkelheit-Projekts ziehen gegen Ende ihres Besuchs kein ganz so positives Fazit: Dunkelheit wäre einfach nichts für sie, sagt eine Besucherin ins vermeintliche Nichts. Es sei eine interessante Erfahrung, mehr aber auch nicht.

Theater im Dunkeln

Nachtleben in Turku: Männer stehen am Tresen einer Bar (Foto: Steffi Lachnit/ DW)
Nachtleben in TurkuBild: DW

Die "Pitchblack-Projekte" werden zumindest im Laufe des Kulturhauptstadt-Jahres fortgesetzt mit Tänzen und Hörspielen im Dunkeln und zwei großen Herausforderungen: Einem Galerie-Besuch im Dunkeln und einem Theater im Dunkeln. So präsentiert sich die europäische Kulturhauptstadt Turku gerne: Ein bisschen verrückt und abwegig.

Die Koordinatorin der Dunkelheit-Projekte, Päivi Lönnberg, meint, das sei eben typisch für ihr Land. Die Turkuer Künstler hätten sich zusammengesetzt und überlegt: Was ist etwas wirklich Finnisches, das auch etwas Einzigartiges in der Welt ist, und dabei seien sie auf das Thema Dunkelheit gekommen. "Es geht darum, der Dunkelheit positive Aspekte abzugewinnen und auch für sich selber persönliche Strategien im Umgang mit der Dunkelheit zu entwickeln: So kann man die bösen Geister der Dunkelheit bekämpfen."

Autor: Klaus Jansen
Redaktion: Conny Paul