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Kulturhauptstadt Turku

14. August 2011

Turku ist eine der Kulturhauptstädte Europas 2011. Finanzielle Mittel und Aufmerksamkeit nutzt die Stadt, um das Selbstwertgefühl ihrer Bewohner aufzupolieren. Kultur soll ihnen gut tun und Arbeitsplätze schaffen.

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Der Hafen von Turku (Foto: Silke Bartlick / DW)
Maritimes Flair - der Hafen von TurkuBild: DW

Über der Theaterbrücke baumeln bunte Lampions. Die wurden in den Wintermonaten gebastelt, in Workshops und aus Saftkanistern. Unter der Brücke fließt der Aura-Fluss, durch Turku und hinaus in die verwunschene Schärenwelt, die der Stadt vorgelagert ist. Boote, Ausflugsdampfer und Restaurantschiffe haben an den Aura-Ufern festgemacht, Jugendliche knutschen, ein paar Obdachlose prügeln sich und auf den zarten Wellen des Gewässers schwimmen vergnügte hölzerne Enten, auf deren Rücken kleine Holzmänner balancieren.

Kunst, die nicht weh tut

Gerade jetzt im Sommer, erzählt Stadtführerin Anke Michler-Janhunen, gebe es eine Vielzahl von Projekten, die niedrig schwelligere Angebote seien. Mit ihnen sollten die Menschen nicht in Kunsttempel gelockt werden, vielmehr solle die Kunst zu den Menschen gebracht werden. Und zwar an die Orte, an denen sich die Menschen im Sommer aufhalten. "Das ist draußen. Unter freiem Himmel. Und da möchte man den Menschen schöne Kunsterlebnisse verschaffen, die sich immer mit einem Lächeln betrachten lassen."

Eine Margarite (Foto: Silke Bartlick / DW)
Die lächelnde Margarite - leider aus Holz und KunststoffBild: DW

Die Finnen, verrät die Stadtführerin, seien ein harmoniesüchtiges Volk. Aber in Turku hat die Harmonie zuletzt ziemlich gelitten. Die Auftragsbücher der Werften, die lange zu den Hauptarbeitgebern der Stadt zählten, sind neuerdings gähnend leer. Die Arbeitslosenquote ist rasant gestiegen, 16.000 Menschen haben ihren Job nach dem Stapellauf des letzten großen Schiffes im Oktober 2010 verloren.

Politur fürs Selbstbewusstein

Auch sie sollen nun mal wieder was Schönes vor Augen haben. Deshalb treiben die Enten auf dem Fluss, deshalb hängen putzige kleine Boote in den Bäumen an der Promenade, und deshalb liegt eine riesige Margarite aus Holz und Kunststoff auf einem Stück Rasen am Ufer des Aura-Flusses. Lächeln, bitte lächeln, scheint sie zu flüstern. Und Saara Malila, die Pressesprecherin der Stiftung Turku 2011, strahlt. "Kultur tut gut!", sagt sie, davon ist man in Turku überzeugt. Und Kultur sei auch gut für die Umwelt und für die Wirtschaft der Stadt. "Das ist der tiefere Sinn des Ganzen."

Es ist der Sinn des Kulturhauptstadtjahres, das sich mit einem Etat von immerhin 52 Millionen Euro daran gemacht hat, das Selbstbewusstsein der Turkuer aufzupolieren und ihr Wir-Gefühl zu stärken. Das beginnt mit Aktionen wie dem gemeinschaftlichen Weben eines roten Teppichs hoch zu einem ehemaligen Gefängnisberg. Das umfasst die zentrale Ausstellung zum Thema Feuer, die verdeutlicht, wie ausgeprägt der Überlebenswille in der im Laufe der Jahrhunderte mehr als 30 Mal abgebrannten Stadt ist. Und es reicht über Open-Air-Konzerte und Regatten bis zu Kunst- und Kulturprojekten im Archipelago, der Schärenwelt vor Turku.

Kultur entdeckt Inseln

Hier soll die Kunst Möglichkeiten aufzeigen, wie man dieses Gebiet und die Menschen, die hier leben, verstehen kann, erläutert Lotta Petrinella, eine der beiden Kuratorinnen einer Freiluftausstellung im weitläufigen Archipel vor Turku. Der umfasst etwa 20.000 Inseln, die einen Namen tragen, sofern sie größer als zehn mal zehn Meter sind, und die häufiger bewohnt werden als man meinen sollte. Von Sommergästen, die ihre rustikalen Ferien in einfachen Holzhäusern ohne Elektrizität und fließend Wasser lieben, und von jenen ganz besonderen Menschen, die das ganze Jahr hier leben.

Ein Haus auf einer kleinen Insel vor Turku (Foto: Silke Bartlick / DW)
Idylle in den Turkuer SchärenBild: DW

Etwa 40 von ihnen leben auf Utö, der südlichsten dieser Inseln. Dass sie sich tatsächlich als Gemeinschaft verstehen, hat der aus Südamerika stammende und in New York lebende Künstler Alfredo Jarr bei einem seiner Besuche auf Utö festgestellt. Er musste nach Turku, und die einzige Fähre fuhr morgens um viertel vor sechs. Er hat den Kapitän gefragt, warum sie so früh fährt. Sie müssten ein Kind zur Schule bringen, habe der Kapitän geantwortet. Die beginne um viertel vor zehn. Alfredo Jarr war baff und beeindruckt von der Tatsache, dass eine Gemeinschaft so etwas macht. Dass sie eine Fähre, die alle nehmen müssen, morgens um viertel vor sechs fahren lässt, nur weil ein Kind in die Schule muss.

Wer sind wir - und wohin soll es gehen?

In seiner Heimat würde es immer heißen, dass ein Kind, das so weit entfernt von einer Schule wohnt, eben umziehen müsse, sagt er. Um zur Auseinandersetzung mit dem ungewöhnlichen Gemeinschaftssinn der Schärenbewohner anzuregen, hat Jarr finnische Intellektuelle und Künstler gebeten, dem Kind auf Utö Briefe zu schreiben. Diese Texte finden sich nun auf großen Tafeln entlang der Schifffahrtsrouten, verstreut über den Archipel.

Blick auf den Marktplatz in Turku (Foto: Silke Bartlick / DW)
Turkus Marktplatz mit Werbung für das KulturhauptstadtjahrBild: DW

Wer sich dort in diesen Sommerwochen aufmerksam umschaut, stößt auf weitere Künstlerbotschaften. Zu ihnen gehört auch der Film, den Oliver Kochta-Kalleinen zusammen mit Inselbewohnern realisiert hat. Ein skurriler Streifen, der mit feiner Ironie einen Blick in die Zukunft wagt und den Archipel als Rentnerparadies zeigt, als Heimat von Öko-Anarchisten, als Arche Noah oder Anlageobjekt von Chinesen.

Aber eigentlich, sagt Oliver Kochta-Kalleinen, gehe es bei dem Projekt nicht so sehr um die Zukunft. Es sei vielmehr eine Dokumentation über das, was im Hier und Jetzt passiere. Die Filme erzählen nämlich hauptsächlich von Ängsten, die Menschen heute haben. Womit sie sich perfekt in das Kulturhauptstadt-Programm einfügen, das sich ja der Selbstverortung verschrieben hat. Das Interesse der Bevölkerung an diesem Programm ist außerordentlich groß. Ob es tatsächlich deren Selbstbewusstsein stärken und mittelfristig auch zu neuen Jobs führen wird, bleibt indes abzuwarten.

Autorin: Silke Bartlick

Redaktion: Marlis Schaum