Tutanchamun lädt ins alte Ägypten ein
2. November 2023Als der Kindkönig 1323 v. Chr. im zarten Alter von 18 oder 19 Jahren starb, musste er sich dem Gericht des Totengottes Osiris stellen. Über drei Jahrtausende später steht Tutanchamun nicht mehr allein vor den Wächtern der Unterwelt: Besucherinnen und Besucher können ihm ins ewige Leben auf den "Feldern von Laru" folgen - dem Jenseits der alten Ägypter.
Die immersive Ausstellung, die am 3. November 2023 in Hamburg 2023 Deutschlandpremiere feiert, nutzt modernste Technik, um dieses Erlebnis zu ermöglichen: Mittels multimedialen Illusionen aus Bild und Ton und VR-Brillen taucht man ein in die längst versunkene Welt des alten Ägypten, das die Menschen bis heute fasziniert.
101 Jahre ist es her, dass der Archäologe Howard Carter auf der Suche nach Tutanchamuns Grab vergeblich den Wüstensand im ägyptischen "Tal der Könige" umgrub. Sein Financier, Lord Carnarvon, wurde ungeduldig, einen Versuch gestand er Carter noch zu. Dann stieß ein einheimischer Junge namens Hussein Abd el-Rassul, der den Arbeitern Wasser brachte, auf eine Steinstufe unter dem Geröll. Man schrieb den 4. November 1922. Carter selbst erzählte später gern die Geschichte, der Knabe habe den Archäologen aus Europa nacheifern wollen und deshalb mit einem Stock herumgestochert. Dabei sei er auf die Steinfläche gestoßen.
"Können Sie etwas sehen?" -"Wundervolle Dinge"
Das Grabungsteam kannte kein Halten mehr. 16 Stufen insgesamt legten sie frei und fanden dabei auch zwei Siegel mit dem Königszeichen Tutanchamuns. Doch erst, als Lord Carnarvon aus England eingetroffen war, öffnete Carter am 26. November die Vorkammer des Grabes. "Können Sie etwas sehen?", soll der Lord, der im dunklen Gang stand, gefragt haben. "Ja, wundervolle Dinge", antwortete ihm Carter.
Die Männer waren auf unermessliche Schätze gestoßen, die seit über 3000 Jahren kein menschliches Auge mehr gesehen hatte. "Wir hatten den Eindruck, in den Requisitenraum der Oper einer verschwundenen Zivilisation zu schauen", schilderte Carter später seine ersten Eindrücke. "Einzelheiten aus dem Innern der Kammer tauchten langsam aus dem Nebel auf, seltsame Tiere, Statuen, Gold, überall schimmerndes Gold."
In der immersiven Ausstellung kann das Publikum originalgetreue Nachbildungen dieser Grabbeigaben in Glaskästen bestaunen. Anders als in herkömmlichen Schauen kann man hier mit einem Tablet auf archäologische Forschungsreise durch die Grabkammer gehen. Dort kommt Carter selbst zu Wort: Auf alten Tonbandaufnahmen erzählt er von seiner spektakulären Entdeckung.
Hype um den Pharao
Der Sensationsfund sprach sich schnell herum und löste 1922 eine weltweite "Ägyptomanie" aus. "Architekten erschufen Fassaden im ägyptischen Stil, Damenhandtaschen, Keksdosen und Saftflaschen trugen das unverwechselbare Symbol der vergoldeten Königsmaske", schreibt Carter-Biograf Harry Victor Frederick Winstone. Selbst 'Tut-ench-Amun'-Blusen seien zu kaufen gewesen, während der Autohersteller General Motors seinen Kunden ein Gefährt in der Form eines pharaonischen Geschosses anpries.
Im Tal der Könige selbst drängten sich die Schaulustigen an der Grabungsstelle: Einheimische und Touristen aus aller Welt wollten einen Blick auf die Schätze der Antike erhaschen und womöglich ein Souvenir ergattern. Carter und sein Team hatten Mühe, die Menschen in Schach zu halten.
Weltberühmt: die Totenmaske Tutanchamuns
Zehn Jahre lang katalogisierten der britische Archäologe und seine Helfer akribisch jede Grabbeigabe. Jedes einzelne Stück wurde fotografiert und verpackt, größere Exponate wurden mit einer kleinen Feldbahn zum Nil transportiert und dort auf Schiffe verladen. Die wichtigsten Fundstücke befinden sich heute im Ägyptischen Museum in Kairo sowie in Luxor.
Das berühmteste der rund 5400 gefundenen Objekte ist bis heute die elf Kilogramm schwere blau-goldene Totenmaske des Pharaos. Carter fand sie in der Sargkammer. Umhüllt von vier Schreinen aus vergoldetem Holz, einem Steinsarkophag und drei ineinander gestellten Särgen in Mumienform, lag der einbalsamierte Pharao in einem 225 Kilogramm schweren Sarg aus purem Gold. Die Totenmaske bedeckte sein Gesicht.
In einer weiteren Schatzkammer bewachte eine Statue des ägyptischen Gottes der Toten, Anubis, einen Schrein mit Tutanchamuns Eingeweiden.
Gebrechlicher Kindkönig der 18. Dynastie
Tutanchamun war der Sohn des Pharaos Echnaton. Nofretete war nicht seine Mutter, wie fälschlicherweise oft behauptet wird - sie war zwar die Hauptfrau Echnatons, der Kinderpharao aber das Kind einer Nebenfrau, offenbar seiner Schwester. Bereits mit acht Jahren bestieg Tutanchamun den Thron. Zunächst hieß er Tutanchaton - etwa: "lebendes Abbild des Aton"-, denn bei seiner Geburt wurde noch der Gott Aton verehrt. Als die Priesterschaft später den Gott Amun anbetete, änderte er seinen Namen in Tutanchamun.
Der Kindkönig der 18. Dynastie des Neuen Reichs starb im Alter von gerade mal 18 oder 19 Jahren. Untersuchungen der Mumie deuten darauf hin, dass Tutanchamun bei einem Unfall ums Leben kam - eindeutig belegt ist das nicht. Offenbar war der junge Pharao allerdings zu Lebzeiten recht gebrechlich. Ein Team von Wissenschaftlern aus Tübingen, Kairo und Bozen hat schon vor Jahren herausgefunden, dass er an einer schweren Knochenkrankheit und Malaria litt, außerdem an genetisch bedingten Missbildungen wie einer Gaumenspalte und einem Klumpfuß.
Der Fluch des Pharao
Zu Lebzeiten war Tutanchamun kein mächtiger Pharao, heute kennt die ganze Welt seinen Namen. KV62, so lautet die wissenschaftliche Bezeichnung für sein Grab (wobei KV für King's Valley steht), ist bis heute ein Touristenmagnet. Denn anders als die Grabbeigaben ruht der Sarkophag mit dem mumifizierten Leichnam des Pharaos weiterhin in der Grabkammer. An deren Wänden illustrieren prächtige Malereien Leben und Tod Tutanchamuns.
Jetzt allerdings muss man nicht mehr nach Ägypten reisen, um ihn zu besuchen. Mehr noch: In der immersiven Ausstellung erwacht Tutanchamun zum Leben und erzählt höchstpersönlich seine Geschichte. Das Publikum spaziert dabei mit ihm durchs alte Ägypten, erkundet das Tal der Könige, die Tempel, die Schätze und Geheimnisse einer untergegangenen Zivilisation. Vor dem "Fluch des Pharao", mit dem dieser sein Grab gegen Eindringlinge schützte, muss sich dabei wohl keiner fürchten - denn hier ist alles rein virtuell.
Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels vom 28.10.2022.