Typisch Türkin?
6. April 2006Was hat Sie dazu motiviert, ein Buch über junge Türkinnen in Deutschland zu schreiben?
Hilal Sezgin: Eigentlich war es eine Idee des Verlages. In letzter Zeit sind viele Bücher zum Thema Türkinnen erschienen, aber eher in Richtung Frauen als Opfer des Patriarchats. Da haben wir uns überlegt, auch mal etwas anders zu machen - über Frauen, die nicht sofort in die Opferecke gedrängt werden. Wir hätten auch das andere Extrem, Erfolgsgeschichten von deutsch-türkischen Karrierefrauen, machen können. Aber das wollten wir auch nicht. Uns lag vielmehr daran, die Vielfalt der Lebenswelten darzustellen. Und deshalb habe ich mich auch für die essayhafte Form entschieden und zu den verschiedenen Stichwörtern wie Religion, Pubertät oder Familie verschiedene Frauen zu Wort kommen lassen.
Gab es keinerlei Schwierigkeiten, mit den Frauen offen über Themen wie Religion, Sex oder Familie zu sprechen und dies zu veröffentlichen?
Ich habe nur in zwei Fällen erlebt, dass Frauen nicht mit mir sprechen wollten. Sie haben sich abwehrend verhalten – nach dem Motto: Nicht schon wieder Kopftuchdebatte! Dabei ging es mir gar nicht ums Kopftuch. Aber andere Frauen hatten damit keinerlei Probleme. Sie waren sehr offen.
Welche Rolle spielte das Kopftuch im Leben der Frauen, die Sie porträtiert haben?
Das waren ganz unterschiedliche Ansätze. Da ist eine Anwältin, eine sehr eloquente, gebildete Muslimin. Für sie gehört das Kopftuch einfach zu ihrem Leben dazu. Ich habe fast ein ganzes Kapitel über sie geschrieben, weil sie einfach sehr interessant ist. Sie hat mich selbst überrascht, zum Beispiel sieht sie sich als überzeugte Feministin. Aber ich habe mich auch mit so genannten Importbräuten aus Anatolien unterhalten. Diese Frauen trugen teilweise auch aus Sitte das Kopftuch.
Welchen Stellenwert nimmt die Religion im Leben der Musliminnen ein?
Es gibt Frauen, denen die Religion völlig egal ist – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Entweder sind sie nicht damit aufgewachsen oder sie haben sich davon entfernt, wie man das auch von deutschen Christen oder Ex-Christen kennt. Es gibt aber sehr viele Frauen, die auf irgendeine Weise religiös waren. Das hat mich selbst überrascht. Frauen, die zwar sehr religiös waren, aber die Mischformen pflegen, etwa aus dem Sufismus oder aus der Meditation und daraus Inspiration schöpfen. Es ist keine ungetrübte Form von Religion, sondern eher eine zusammengebastelte Religion und kein Dogma.
Inwiefern unterscheiden sich denn nun die Lebenswelten von türkischen und deutschen Frauen gleichen Alters? Und kann man so eine Frage überhaupt stellen?
Eigentlich mag ich solche Überlegungen nicht, denn dann muss ich Verallgemeinerungen treffen. Ich habe das Buch geschrieben, um das nicht zu tun. Ich hoffe, dass man bei der Lektüre des Buchs erkennt, dass es sich um Individuen handelt. Dass man bei Ihnen Ähnlichkeiten erkennt oder in ihnen etwas sieht und findet, was man noch nicht kannte.
Warum erfahren diese unterschiedlichen Lebenswelten nicht die erwünschte Resonanz bei den Medien, wieso werden sie nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Das ist wirklich ein Problem. Medien haben ja ein Interesse an schlechten Nachrichten, an dem funktionellen Alltag weniger. Es gibt zwar Sendeplätze, wo man auch etwas anderes sieht, aber die sind rar. Das ist das eine. Aber auch Medienbilder verfestigen sich. Man braucht das Kopftuch, den Unterschied, in den Bildern. Es ist aber nicht eine Frage der Medien. Ich glaube, dass Deutsche und Türken manchmal erschreckend wenig voneinander wissen. Und das kommt davon, dass sie das Zusammenleben noch nicht ganz hinbekommen.
Ein "Kampf der Kulturen" spiegelt sich in Ihren deutsch-türkischen Lebensgeschichten aber nicht wider...
2006 werden unglaublich viele Themen wie der Afghane, der zum Christentum konvertiert ist und dem nun in Afghanistan der Tod drohte, oder der Schulhofstreit in eine Schublade eingesteckt, die mit dem Etikett Kulturkampf versehen wird. Es wird ja auch alles unter dem Überbegriff Islam gefasst. Ich finde, dass es in den letzten Monaten extremer geworden ist. Politiker streiten sich über Integration und mir ist noch nicht klar, warum. Was wird da wirklich debattiert und verhandelt?
Hilal Sezgin, geboren 1970 in Frankfurt, hat die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit. Sie hat Philosophie, Soziologie und Germanistik studiert und arbeitet heute als Redakteurin bei der "Frankfurter Rundschau". "Der Tod des Maßschneiders" war ihr erster Roman. Im Juni 2005 erhielt sie den Nachwuchspreis des Journalistinnenbundes.
"Typisch Türkin. Porträt einer neuen Generation". Herder Verlag 2006. 12,90 Euro.