Tödlicher Irrtum in Ägypten
14. September 2015Die Touristen saßen beim Picknick, als die drei Kampfflugzeuge sich näherten und das Feuer auf die Gruppe eröffneten. Einige von ihnen versuchten zu fliehen, wurden aber von Soldaten verfolgt, die ohne Vorwarnung schossen. Zwölf Menschen, die meisten von ihnen Mexikaner, starben, zehn weitere wurden verletzt – das blutige Ende eines vermeintlich harmlosen Urlaubsausflugs in Ägyptens westliche Wüstenregion nahe der Grenze zu Libyen.
Einen Tag nach dem Angriff des ägyptischen Militärs auf einen Tourismuskonvoi nahe der Oase Baharija 350 Kilometer südöstlich von Kairo stellt sich die Frage, wie es zu dem Irrtum kommen konnte. Wie war es möglich, dass das Militär die Gruppe überwiegend südamerikanischer Urlauber für gefährliche Terroristen halten konnte?
"Abgesperrte Gegend"?
Das ägyptische Innenministerium erhob gegen die verantwortliche Reiseagentur schwere Vorwürfe. In der Gegend sei es bereits öfter zu Kämpfen gekommen. So auch am Tage des Angriffs. "Eine gemeinsame Truppe aus Polizei und Armee hat in dem westlichen Wüstengebiet um "Al Wahat" terroristische Elemente verfolgt", heißt es in einer Stellungnahme. "Irrtümlich nahmen sie auch die Verfolgung von vier Allrad-Fahrzeugen mit den mexikanischen Touristen auf, die sich in der abgesperrten Gegend befanden." Ein Sprecher des Tourismusministeriums erklärte gegenüber einer Presseagentur, die ägyptische Agentur besitze weder die erforderlichen Lizenzen, noch habe sie die Behörden über die Reise informiert.
Weiter kündigte das Tourismusministerium an, die Organisatoren würden "hart bestraft".
Auf üblicher Route?
Ein auf Anonymität bestehender Mitarbeiter der Agentur wies die Anschuldigungen im Gespräch mit der DW zurück. "Wir hatten alle notwendigen Papiere. Auch hatten wir einen Sicherheitsoffizier bei uns", erklärte er am Telefon. Der Konvoi sei der üblichen Route gefolgt. Diese hätten die Sicherheitsbehörden freigegeben. "Zudem waren die Fahrzeuge gekennzeichnet. Zusätzlich seien an allen vier Seiten der Fahrzeuge große Aufkleber der Agentur angebracht gewesen. "Außerdem haben wir das Gepäck der Touristen auf dem Dach der Fahrzeuge transportiert, so dass jeder es sehen konnte." Schwere Vorwürfe erhob der Mitarbeiter gegen die ägyptische Regierung: "Wir werden als Sündenböcke missbraucht. Im Ministerium weiß man um den guten Ruf unserer Agentur. Das könnte man dort auch bestätigen."
Ein Tourismus-Führer in Kairo, der seinen Namen ebenfalls nicht genannt wissen will, bestätigt diese Darstellung. Das Gebiet, in dem sich der Konvoi befand, sei hochgradig gesichert. Ohne Genehmigung könne es niemand betreten. Für Touristen-Konvois sei ein mitreisender Sicherheitsbeamter zwingend erforderlich. "Der Umstand, dass die Wagen in die Zone kamen, bedeutet, dass sie eine entsprechende Genehmigung hatten." Doch wie konnte es dann zu dem Angriff kommen? Für den Touristenführer bietet sich nur eine Erklärung an. "Ich halte es für das Wahrscheinlichste, dass die Genehmigung den für die Sicherung der Region zuständigen Behörden nicht rechtzeitig übergeben worden ist. So war das Militär über die Anwesenheit der Touristen nicht informiert und setzte seine laufende Operation fort. Der Angriff geht schlicht auf Nachlässigkeit zurück."
Vergleichbare Aussagen veröffentlichte auch die ägyptische Zeitung "Al Ahram".
Der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto verurteilte die "irrtümliche Attacke." Über seinen Twitter-Account forderte er eine gründliche Untersuchung des Vorfalls.
Schwaches Libyen
Ägypten hat bereits seit mehreren Jahren mit islamistischem Terror zu kämpfen. Zentrum der Dschihadisten ist der nördliche Sinai. Einige der dort operierenden Kämpfer haben sich mit der Terrororganisation "Islamischer Staat" verbündet.
Seit mehreren Monaten werden die ägyptischen Sicherheitsbehörden aber auch in den westlichen Wüstengebieten von militanten Islamisten herausgefordert.
Sie haben ihr Rückzugsgebiet im benachbarten Libyen. In Ägyptens Nachbarstaat beanspruchen zwei miteinander konkurrierende Regierungen die Macht über das Land.
Zwar haben die wichtigsten Akteure den von den Vereinten Nationen vermittelten Friedensplan für Libyen unterzeichnet. Doch noch fehlt die Unterschrift einer der wichtigsten Kräfte des Landes, des islamistischen "Allgemeinen Nationalkongresses". Außerdem fordern mehrere Stammesfürsten einen Teil der Macht. Ihren Anspruch gründen sie auf ihren Beitrag zum Sturz des ehemalige Diktators Muammar al-Gaddafi im Sommer 2011.
Die öffentliche Ordnung ist in Libyen seit langem zusammengebrochen. Die Schwäche des Staates nutzen dschihadistische Gruppierungen für ihre Zwecke. Auch der IS ist längst präsent. Anfang Januar wurden christliche Gastarbeiter aus Ägypten in der Hafenstadt Sirte entführte. Kurze Zeit später wurden sie von IS-Schergen enthauptet.
Der IS und andere terroristische Gruppen operieren auch an der libyschen Grenze zu Ägypten. Dort haben sie sich wiederholt Scharmützel mit den ägyptischen Sicherheitsbehörden geliefert. Es scheint, als sei der Touristenkonvoi irrtümlich in diese Kämpfe hineingeraten. Wer dafür verantwortlich ist, wird die nun sich bildende Untersuchungskommission womöglich klären.