"Mit Kommunismus die Herzen gewonnen"
9. April 2019In der ganzen Türkei kennt man ihn unter dem Namen "der kommunistische Bürgermeister": Mehmet Fatih Maçoğlu. Bislang stand er nur der kleinen ostanatolischen 3.000-Einwohner-Gemeinde Ovacik vor. Doch bei den Kommunalwahlen am 31. März gewann Maçoğlu die Wahlen in der Provinzhauptstadt Tunceli, die bislang von der islamisch-konservativen AKP-Regierung unter Zwangsverwaltung gestellt war.
Deutsche Welle: Sie sind der erste kommunistische Bürgermeister der Türkei. Wie haben Sie das trotz der schwierigen politischen Lage geschafft?
Mehmet Fatih Maçoğlu: Die Menschen hier denken schon immer eher links. Seit den 1970er Jahren gibt es hier eine sozialistische Mentalität. Man musste relativ wenig unternehmen, um diese Ansichten auch politisch umzusetzen. Mit unseren politischen Thesen haben wir deshalb die Herzen der Menschen in Tunceli gewinnen können.
Wenn man die heutige politische Situation in der Türkei betrachtet, dann ist ein kommunistischer Bürgermeister schon sehr außergewöhnlich. Erleben Sie irgendwelche Anfeindungen oder Vorurteile?
In meiner Gemeinde gab es nur wenige negative Reaktionen. Von außerhalb gingen ein paar Schreiben ein, deren Inhalt sehr geringschätzig war. Das ist aber während des Wahlkampfes ganz normal. Aber im Großen und Ganzen waren die Reaktionen sehr positiv. Sogar aus dem Ausland haben uns kommunistische Parteien und Vereine während der Kommunalwahlen unterstützt und uns nach den Wahlen Glückwünsche geschickt.
Was war denn Ihr Erfolgsrezept? Was genau haben Sie in Ovacik gemacht?
Mit unserer Politik in Ovacik haben wir versucht, neue Wege zu gehen und in der Türkei, aber auch an anderen Orten der Welt, das gesellschaftliche Bewusstsein zu verändern. In Ovacik wollen wir die Produktionsgebiete ausweiten und damit erreichen, dass unser Dorf und die Arbeiter sowohl im Einklang mit der Natur leben als auch ihre eigenen Bedürfnisse erfüllen können. So entwickelte die Gemeinschaft eine kooperative, sozialistische Mentalität und eine besondere Kultur des Zusammenlebens: eine kleine Welt der Unterstützung, der Klassen- und Schrankenlosigkeit.
Diese Unterstützung lebt auch die Gemeindeverwaltung vor: Wenn ein Bürger in Schwierigkeiten ist, weiß er, dass die Verantwortlichen der Gemeinde ihm helfen werden. Wir wollen den Jugendlichen auch einen besseren Zugang zur Bildung gewähren, etwa indem wir ihnen Universitätsstipendien ermöglichen. 150 Kinder können wir so unterstützen. Vor allem Schülern mit finanziellen Engpässen helfen wir, Bücher kaufen zu können. Weitere wichtige Punkte sind der Schutz der Menschenrechte und des ökologischen Gleichgewichts.
Aber kann man dieses Modell denn auf die gesamte Provinz Tunceli ausweiten? Ist das machbar?
Das ist gar nicht so schwer. Als eine kleine Gemeinde in der Provinz konnten wir wegen eines begrenzten Haushalts nur bestimmte Themen anpacken. Jetzt werden wir versuchen, die Stadtverwaltung zu verstärken: Wir werden Landwirtschaft, Viehzucht und Imkerei verbessern. Wir werden jeden Dorfbewohner unterstützen, ihn mit Diesel, Saatgut und Vieh absichern. Es ist wichtig, dass die Landwirte ihre Produkte zum Markt bringen und dafür auch angemessen bezahlt werden können. Wenn der Hersteller sein Produkt nicht verkaufen kann, schreibt er rote Zahlen. Das ist in der Türkei das größte Problem. Da werden wir für starke Unterstützung sorgen. In den Großstädten wollen wir Konsumgenossenschaften bilden und eigene Büros und Läden eröffnen.
Sie werden von vielen Menschen respektiert und bewundert - auch über Parteigrenzen hinweg und bis ins konservative Lager hinein. Wie erklären Sie sich das?
Ob Alevit, Sunnit, Linker oder Rechter, Moslem, Nicht-Moslem, religiös oder auch nicht - wir organisieren eine klassenlose und schrankenlose Weltanschauung. Es gibt keinen Unterschied zwischen den Menschen - deswegen behandeln wir alle gleich. Arm und Reich bekommen dieselben Serviceleistungen und dasselbe Mitspracherecht. Aber darüber hinaus unterstützen wir die Armen, wo wir können.
Könnte man Ihr Modell, das auf Ovacik zugeschnitten ist, auch auf die gesamte Türkei ausweiten?
Wir organisieren uns seit über 15 Jahren als "Solidarität des demokratischen Rechts". Wenn unser Konzept im Kleinen funktioniert, warum dann nicht im gesamten Land? Wenn Tunceli jetzt in dieser Amtszeit eine Art Musterstadt wird, wird das Modellcharakter haben. Wenn die anderen Parteien vom Ovacik-Modell sprechen, dann wissen wir, dass wir auf einem guten Weg sind. Der Druck der Gesellschaft ist dann da - weil die Menschen ein Bedürfnis nach eigenständiger Produktion haben. Weil sie Hilfen für Bauern und Arbeiter fordern. Weil sie mehr öffentliche Dienste wollen statt der derzeitigen Stärkung des Immobiliensektors und endloser Privatisierungen. Weil sie ein Programm wollen, dass vom Volk gemacht wird. Und das könnte in der Türkei funktionieren, denn sonst hätten nicht Millionen Menschen unser Modell mitverfolgt und wohlwollend darauf reagiert.
Das Interview führte Gezal Acer.