Türkisch-kurdische Schicksale in Nahaufnahme
5. Dezember 2007Yüksels emotionaler Dokumentarfilm bietet eine Nahaufnahme der Krisenregion Kurdistan - anhand von Gesprächen mit Menschen, für die diese Region Heimat bedeutet. Ihre Lebensgeschichten sollen, verbunden mit politischen Fakten, das Ausmaß des türkisch-kurdischen Konflikts begreiflich machen.
Der Film ist für den Regisseur selbst eine persönliche Reise in die Vergangenheit. Yüksel Yavuz ist 1964 in Türkisch-Kurdistan geboren, wuchs mit der Muttersprache Kurdisch auf und lernte erst mit sechs Jahren auf einem türkischen Internat die türkische Sprache. Im Alter von sechzehn Jahren zog er mit seiner Familie nach Deutschland. Für die Dokumentation besucht Yavuz Eltern, Verwandte und Freunde in Ankara, Istanbul, in ländlichen Gebieten und im kurdischen Teil des Iraks. Auf seinem Weg trifft er auf Menschen, deren Schicksale unterschiedlicher nicht sein könnten - und dennoch eines gemeinsam haben: Sie sind geprägt vom endlos schwelenden Konflikt um die Anerkennung des kurdischen Volkes.
Leben als türkischer Staatsfeind und Ex-Kontra-Guerillero
Dr. İsmail Beşikçi, Wissenschaftler in der Türkei, ist einer seiner Protagonisten. Der Intellektuelle verbrachte mit Unterbrechungen siebzehn Jahre seines Lebens in türkischen Gefängnissen. Der Grund für die Inhaftierungen: Beşikçi ließ nicht davon ab, über die Existenz des kurdischen Volkes zu schreiben - zu einer Zeit, in der der türkische Staat die Anerkennung eines kurdischen Volkes verbot. Wegen der Veröffentlichungen zur kurdischen Realität wurden über 200 Gerichtsverfahren gegen İsmail Beşikçi eingeleitet. Heute lebt er in Ankara und führt seine Forschungsarbeiten über die kurdische Kultur weiter.
Ein anderer Protagonist, Abdulkadir Aygan, war für die politischen Verfolgungen mitverantwortlich. Zehn Jahre lang diente er der JITEM, dem Nachrichtendienst und der Terrorabwehr der türkischen Gendarmerie, obwohl er selbst aus dem kurdischen Teil der Türkei stammt. Abdulkadir Aygan ist einer der bekanntesten Überläufer der PKK, der Arbeiterpartei Kurdistans, die heute als Terrororganisation verboten ist. 1985 hatte er sich türkischen Sicherheitskräften ergeben, wenige Jahre später nahm ihn die JITEM in ihre Elite-Kadergruppe auf. Im "schmutzigen Krieg" zwischen den Rebellen und dem türkischen Staat ging er jahrelang gewaltsam gegen kurdische Oppositionelle vor. Yüksel Yavuz trifft den Ex-Kontra-Guerrillero Aygan in Schweden, wo er heute mit seiner Familie im Exil lebt.
Yavuz spricht außerdem mit Flüchtlingen, Schriftstellern und ehemaligen Guerrillakämpfern - auch mit einem Deutschen, der sich im Laufe des Krieges den kurdischen Rebellen angeschlossen hat.
Politisches Kino emotional
"Close up Kurdistan" ist eine sehr persönliche Nahaufnahme eines Konflikts, der seit Jahrzehnten latent aktuell ist. Die Kurdenproblematik beeinflusst die derzeitige politische Lage im Nahen Osten ebenso wie das Leben von Türken und Kurden seit Generationen.
Eine Lösung des Konflikts ist nicht absehbar. Yüksel Yavuz bezieht in seinem Film klar Stellung: Er klagt den türkischen Staat für seine Kurdenpolitik an. Der Regisseur wagt mit "Close up Kurdistan" politisches Kino mit brisantem Stoff - motiviert durch persönliche Betroffenheit, fokussiert auf persönliches Schicksal vor dem Hintergrund politischer Fakten.