Türkische HDP-Parteichefs müssen ins Gefängnis
4. November 2016Die beiden Vorsitzenden der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP müssen ins Gefängnis. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldet, verhängte ein Gericht in der Kurdenmetropole Diyarbakir wegen Terrorvorwürfen Untersuchungshaft gegen die Doppelspitze aus Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Insgesamt sei gegen acht HDP-Abgeordnete Haftbefehl erlassen worden, unter ihnen auch Fraktionschef Idris Baluken.
Bei Polizeirazzien waren in der Nacht insgesamt zwölf HDP-Parlamentarier festgenommen worden. Der deutsch-türkische Abgeordnete Ziya Pir und zwei weitere Abgeordnete seien unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt worden, berichtet Anadolu. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt die HDP, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein. Die zweitgrößte Oppositionspartei im Parlament weist dies entschieden zurück.
"Bestätigt alle Befürchtungen"
Das Vorgehen der Justiz rief international Empörung hervor. Die US-Regierung zeigte sich "zutiefst besorgt". Außenminister Frank-Walter Steinmeier bestellte den türkischen Gesandten Ufuk Ezer ins Auswärtige Amt ein.Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, die Festnahmen bestätigten "alle internationalen Befürchtungen". Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini berief alle EU-Botschafter zu einem Treffen nach Ankara.
Ungeachtet der jüngsten Ereignisse will EU-Parlamentspräsident Martin Schulz den Gesprächsfaden zur Türkei nicht abreißen lassen. In einem Telefonat mit Ministerpräsident Binali Yildirim vereinbarte der SPD-Politiker ein "Konsultationsverfahren" zwischen der türkischen Regierung und dem Europaparlament, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Schulz' Umfeld erfuhr. Unterhändler beider Seiten sollten so rasch wie möglich zusammenkommen, um im Verhältnis der EU zu ihrem NATO-Partner eine weitere Eskalation zu vermeiden. Dabei werde auch über das Schicksal einzelner verhafteter Oppositionspolitiker geredet - mit dem Ziel, diese freizubekommen.
Antwort: Autobombe
Wenige Stunden nach den nächtlichen Festnahmen war in der Kurdenmetropole Diyarbakir eine Autobombe explodiert. Nach offiziellen Angaben wurden mindestens acht Menschen getötet und mehr als 100 verletzt. Die Regierung machte für den Anschlag die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verantwortlich, die ihrerseits dazu aufrief, den Kampf gegen Erdogan auszuweiten. Inzwischen meldete sich die Terrormiliz IS und erklärte, sie habe das Attentat verübt.
In den Kurdengebieten und in anderen Regionen sperrten die Behörden den Zugang zu sozialen Medien. Yildirim sprach von einer "vorübergehenden Maßnahme", die "aus Sicherheitsgründen" angeordnet worden sei. Regierungskritiker in der Türkei nutzen soziale Medien, um Informationen auszutauschen und Demonstrationen zu organisieren. Gegen Teilnehmer von Protesten gingen die türkischen Sicherheitskräfte gewaltsam vor. Die Polizei setzte Tränengas ein.
In mehreren deutschen Großstädten demonstrierten jeweils hunderte Kurden gegen die Festnahmen in der Türkei. Die Umzüge unter anderem in Frankfurt, Stuttgart und Hamburg verliefen nach Polizeiangaben friedlich. Zu einer am Samstag geplanten Demonstration in Köln erwarten die Veranstalter 10.000 bis 15.000 Teilnehmer. Die Kundgebung wird von der Vereinigung Nav-Dem mitorganisiert. Diese stuft der deutsche Inlandsgeheimdienst als Dachorganisation von Gruppen ein, die der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nahestehen.
jj/uh (dpa, afp, rtr)