Gespaltenes Echo in der Türkei
25. Mai 2014Der höchst umstrittene Köln-Besuch des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdogan am Samstag (24.05.2014) ist auch in seinem Heimatland das Top-Thema in den Medien. Fast alle türkischen Zeitungen haben den Besuch - und die Gegendemonstrationen - auf ihrer Titelseite. "Mit den Protesten wurde Geschichte geschrieben", titelt die links-kemalistisch ausgerichtete Zeitung "Cumhuriyet" auf ihrer Hauptseite. "Erdogan war nicht willkommen" und "Er hat auch Köln gespalten", kommentiert die Zeitung.
Die liberale Zeitung "Radikal" zitiert dagegen auf ihrer Titelseite den türkischen Premier mit den Worten: "Erkennt die neue Türkei endlich an" und titelt: "Die alte Türkei, wie ihr sie kennt, gibt es nicht mehr". Die linksgerichtete Zeitung "Sözcü" schreibt: "Er hat auch Deutschland gespalten". Sie kritisiert Erdogan dafür, seine trennenden Worte - "Wir und die anderen" - auch in Köln ausgesprochen zu haben. Erdogan habe sein Ziel erreicht, heißt es in dem Artikel weiter. Die regierungsnahe Zeitung "Sabah" titelt mit den Worten: "Erkennt die neue Türkei endlich an". Innerhalb und außerhalb der Türkei gebe es "eine schmutzige Allianz" gegen das Land.
Auch bei Twitter gibt es viele Reaktionen zu Erdogans Besuch in Köln. "Erdogan hat soeben die Begrüßungsgeste der Muslimbrüder in Köln gemacht", schreibt ein Twitter-User und spielt auf das Vierfinger-Symbol an - auch als "R4abia" bekannt. "Was Erdogan wohl durch den Kopf geht, wenn er realisiert, dass er nicht gegen Tausende vorgehen kann, die in Deutschland gegen ihn protestieren?", fragt sich eine andere Twitter-Nutzerin. "Erdogans Fähigkeit zu spalten ist einmalig. Er ist zweifellos der Sultan der Polarisierung", heißt es in einem anderen Tweet.
"Zum ersten Mal stolz"
"Erdogan zu Hause, Erdogan in der Welt", betitelt dagegen der Kolumnist Murat Yetkin seinen Artikel in der englischsprachigen Zeitung Hürriyet Daily News und spielt damit auf ein berühmtes Zitat des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk an: "Frieden zu Hause, Frieden in der Welt“. Erdogan denke, er könne international den gleichen politischen Kurs einschlagen wie in der Türkei, so Yetkin in seiner Kolumne. "Der Sieg seiner AKP in den Kommunalwahlen am 30. März verstärkte sein hartes Auftreten zusätzlich. Sein Berater trat auf einen Demonstrant in Soma ein. Das Bild ging um die ganze Welt. Das beweist dieses verstärkte schroffe Auftreten nicht nur Erdogans, sondern der AKP“, so Yetkin. Erdogan habe die türkische Innen- und Außenpolitik neu definiert, seitdem er 2002 an die Macht kam, so der Kolumnist. "Das zeigt der Besuch in Köln."
AKP-Anhänger aus ganz Europa seien an diesem Wochenende nach Köln gereist, um an der Veranstaltung teilzunehmen. Der wirtschaftliche Erfolg der Türkei und Erdogans aggressives Auftreten gegenüber dem Westen habe vielen Türkischstämmigen zum ersten Mal "ein Gefühl des Stolzes vermittelt", so Yetkin. Die wachsende Islamophobie, vor allem seit dem 11. September 2001, habe negative Folgen für die Türken in Europa. "Vor allem diejenigen ländlicher Herkunft, die Schwierigkeiten hatten, mit einer christlichen Gesellschaft zu verschmelzen, sehen in Erdogan eine Führungspersönlichkeit“, so der Kolumnist. Yetkin äußert jedoch Bedenken zu Erdogans Auftreten. Man könne nicht genau sagen, was er für die Türkei, für Europa und für die türkisch-deutschen Beziehungen bedeuten werde.
Ja zur Integration - Nein zur Assimilation
Bei seinem Besuch in der Kölner Lanxess-Arena war Erdogan von rund 15.000 Anhängern bejubelt worden. Nach Polizeiangaben hatten sich zeitgleich etwa 30.000 Demonstranten in der Kölner Innenstadt versammelt, um gegen das türkische Oberhaupt zu protestieren. In seiner Rede kritisierte Erdogan auch die deutschen Medien. Er bezog sich auf eine Überschrift eines "Spiegel Online"-Artikels, die einen türkischen Bergarbeiter nach dem Minenunglück in Soma mit den Worten "Scher dich zum Teufel, Erdogan" zitierte. "Ein Teil der Medien hier haben mich wegen ihrer eigenen Interessen beleidigt", so Erdogan. Die Gezi-Proteste aus dem vergangenen Jahr bezeichnete Erdogan als "Angriff auf die nationale Einheit".
Der türkische Premier sprach die in Deutschland lebenden Deutschtürken direkt an. "Wenn wir über Assimilation reden, sage ich nein! Wir können keine Abstriche bei unserer Sprache, Religion und Kultur machen", so Erdogan. Er betonte jedoch die Wichtigkeit der Integration und des Erlernens der deutschen Sprache. Weiter forderte der Premier die Deutschtürken mit türkischer Staatsangehörigkeit zur Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen am 10. August auf. Zum ersten Mal in der Geschichte der Türkei wird der Präsident direkt vom Volk gewählt. In Deutschland werden dafür extra Wahlurnen für die in Deutschland lebende Türken aufgestellt.