Türkische Regierung geht auf Kurden zu
19. November 2013Es sei der Beginn einer neuen Ära für die Beziehungen zwischen Ankara und den Kurden, sagt der türkisch-kurdische Politiker Hasim Hasimi, ein ehemaliger konservativer Parlamentsabgeordneter. Am Sonntag (16.11.2013) traf sich Premier Recep Tayyip Erdogan in Diyarbakir mit dem Präsidenten der kurdischen Autonomiezone im Nordirak, Massud Barsani. Der türkische Regierungschef bezeichnete das Treffen als "historischen Moment" im Friedensprozess zwischen Ankara und der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans).
"Wir haben die Flaggen der Türkei und Kurdistans nebeneinander gesehen - alle Tabus wurden gebrochen", erklärt Hasimi. Zum ersten Mal habe Erdogan öffentlich von "Kurdistan" gesprochen. Für lange Zeit wurden die politischen und kulturellen Rechte der Kurden in der Türkei unterdrückt. Die türkische Regierung war immer um die territoriale Integrität des Landes besorgt und begegnete allen kurdischen politischen Bestrebungen mit großem Misstrauen. So vermieden Politiker auch das Wort "Kurdistan" in den Mund zu nehmen - selbst wenn die Rede von der "Autonomen Region Kurdistan" im Nordirak war.
"Selbstbewusster türkischer Staat"
In der Türkei leben um die 15 Millionen Kurden - sie sind damit die größte ethnische Minderheit. Erst vor kurzem hat Ankara ihre Rechte gestärkt.
Die Annäherung zwischen Ankara und den Kurden habe durch das Treffen Erdogans mit Barsani eine neue Stufe erreicht, meint der türkische Journalist und Kurden-Experte Sedat Bozkurt vom türkischen Nachrichtensender Fox TV im Gespräch mit der DW. "Die Stadt Diyarbakir, wo das Treffen stattfand, ist eine kurdische Hochburg. Wenn der türkische Staat einen kurdischen Machthaber hier mit kurdischen Flaggen empfangen kann, hat das eine besondere Bedeutung", so Bozkurt. "Erstens zeigt das, dass der türkische Staat in letzter Zeit selbstbewusster geworden ist. Und zweitens, dass die Regierung der kurdischen Minderheit in der Türkei vertraut und keine Angst vor Separatismus hat."
Erdogans politische Interessen
Gleichzeitig verfolge Erdogan mit dieser Geste auch eigene politische Interessen, erklärt Kurden-Experte Bozkurt. Die Mehrheit der Kurden in der Türkei habe sich lange Zeit mit Barsanis KDP (Konservative Demokratische Partei Kurdistans) identifiziert. Doch der bewaffnete Konflikt mit dem türkischen Staat habe viele dazu gebracht, die linksorientierte Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu unterstützen. "Erdogan will die konservativen Kurden in der Türkei zusammenführen und hat Barsani als Symbolfigur eingebracht", so Bozkurt. "Er will versuchen, die kurdische Politik zu diversifizieren."
Denn durch Barsanis wachsenden Einfluss könnten sich kurdische Wähler von der PKK abwenden. Die türkische pro-kurdische BDP-Partei, die an der Basis eine ähnliche Anhängerschaft hat wie die PKK, zeigte sich weniger begeistert vom Treffen Erdogans mit Barsani in Diyarbakir. Einige Abgeordnete dieser Partei kritisierten den Chef der kurdischen Autonomiezone im Nordirak für seine Kooperation mit Erdogan.
Rivalitäten zwischen kurdischen Parteien
Zwischen der PKK und Barsanis KDP gab es schon lange eine ausgeprägte Rivalität, die durch den Konflikt in Syrien noch weiter verstärkt wurde. Die syrisch-kurdische Partei PYD, die als verlängerter Arm der PKK gilt, strebt die Autonomie der Kurden in Syrien an. Das hat zur Folge, dass Barsanis konservative KDP diese linksorientierte Partei als Konkurrenz im Machtkampf um die Rolle einer transnationalen kurdischen Führung sieht.
Doch Differenzen und Rivalitäten zwischen kurdischen Parteien seien ganz normal, gibt Hasim Hasimi zu bedenken. Aus seiner Sicht zählt, dass sowohl Erdogan als auch Barsani in Diyarbakir zur Einheit der Kurden aufgerufen haben, nicht zur Konfrontation. Mit seiner Rede habe der türkische Premier "das Vertrauen in den türkisch-kurdischen Friedensprozess gestärkt", so Hasimi. Trotz aller Herausforderungen, die dieser Prozess mit sich bringe, sei er "der einzige Weg nach vorne".
Auch Journalist Bozkurt meint, der Friedensprozess zwischen Ankara und der PKK sei nicht mehr rückgängig zu machen: "Wenn die PKK in Zukunft wieder zu den Waffen greifen sollte, würde sie die Unterstützung an der Basis verlieren. Und wenn die türkische Regierung den Friedensprozess stoppt, müsste sie Angriffe der PKK fürchten." Obwohl Rückschläge und Spannungen weiterhin möglich seien, werde der Friedensprozess weitergehen.