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Politik

Erdogan zündelt im Südkaukasus

Daniel Derya Bellut | Deger Akal | Hilal Köylü
31. Juli 2020

Die Türkei führt gemeinsam mit Aserbaidschan Militärmanöver durch - eine deutliche Warnung an den Erzfeind Armenien. Erst in Syrien, dann in Libyen - jetzt möchte Ankara seine Macht auch im Südkaukasus ausbauen.

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Ein armenischer Soldat schaut an der Frontlinie durch ein Fernglas
Bild: picture alliance/dUncredited/Armenian Defense Ministry Press Service/PAN Photo/AP/dpa

Die Türkei sieht sich als Schutzmacht der ehemaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan. Die Bevölkerung beider Länder haben ethnische und sprachliche Gemeinsamkeiten. Nach der Unabhängigkeit des kleinen Staates am Kaspischen Meer im Jahr 1991 etablierte sich daher schnell die Doktrin "zwei Staaten, eine Nation". Sowohl Baku als auch Ankara unterstreichen ihre bilateralen Beziehungen mit diesem Slogan.

Seit Mitte der 90er-Jahre gerät Aserbaidschan regelmäßig mit armenischen Truppen aneinander. Die Zusammenstöße reichen von Grenzscharmützeln bis zu handfesten Kriegen. Zankapfel ist meistens die Region Bergkarabach, die international als Teil Aserbaidschans anerkannt wird, für Armenien jedoch ein unabhängiger Staat ist. Die Armenier kontrollieren den Landstrich seit 1994, vorausgegangen war ein militärischer Konflikt.

Am 12. Juli kam es in der nordarmenischen Provinz Tawusch wieder zu einem blutigen Zusammenstoß zwischen den beiden Akteuren. Nach offiziellen Angaben wurden 17 Menschen, überwiegend Soldaten, getötet. Beide Länder geben der Gegenseite die Schuld. Die Ereignisse werden unterschiedlich dargestellt.

Ankara eilt zur Hilfe

Ankara schlug sich gewohnt reflexartig auf die Seite seines aserbaidschanischen Schützlings. Es folgte eine scharfe Rhetorik vom türkischen Verteidigungsminister Hulusi Akar, der Armenien die alleinige Schuld für den Vorfall gab: "Der Schmerz der aserbaidschanischen Türken ist auch unser Schmerz". Armenien werde dafür bezahlen, polterte Akar. Bereits bei einer viertägigen Kampfhandlung im Jahr 2016 kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an, im Ernstfall Aserbaidschan "bis zum Schluss" zu unterstützen.

Dieses Mal beließ es die türkische Regierung nicht bei Säbelrasseln: Wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtet, würden die verbündeten Länder vom 1. bis zum 10. August gemeinsam Militärübungen bei Baku und in Bergkarabach durchführen. Auch die Luftwaffen beider Länder probten gemeinsame Kampfhandlungen. Nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu seien Helikopter der türkischen Luftwaffe bereits gelandet und festlich empfangen worden.

Die Direktorin der Denkfabrik "Insight Centre for Data Analytics" Anna Karapetyan
Die Direktorin der Denkfabrik "Insight Centre for Data Analytics", Anna KarapetyanBild: privat

Eine Gefahr für Stabilität und Sicherheit

Die Direktorin der Denkfabrik "Insight Centre for Data Analytics", Anna Karapetyan, hält die bevorstehende Militärübung für ein verheerendes Signal. "Es ist selbsterklärend, dass nach den jüngsten Zusammenstößen in Tawusch - die von Aserbaidschan provoziert wurden - und nach der beispiellos aggressiven Rhetorik aus der Türkei, nun eine Militärübung nicht gerade zu mehr Sicherheit und Stabilität in der Region beitragen wird", so die Politologin. "Die Türkei ist ein destruktiver Faktor im Bergkarabach-Konflikt." Die militärische Unterstützung der Türkei sei als Drohung an Armenien zu verstehen und müsse von der internationalen Gemeinschaft geahndet werden, sagt Karapetyan.

Hakki Casin von der Istanbuler Yeditepe Universität befürwortet hingegen die gemeinsame Militärübung. "Es handelt sich um eine sehr wichtige Übung, an der Land- und Lufteinheiten sowie Spezialeinheiten teilnehmen. (...) Mit militärischer Macht versucht die Türkei, Frieden und Stabilität in der Region zu sichern", so der Experte für Internationale Beziehungen. 

Casin erinnert daran, dass von der Stabilität im Kaukasus auch wirtschaftliche Interessen abhingen. "Aserbaidschan ist reich an natürlichen Ressourcen, Milliarden von Kubikmetern Erdgas werden von dort jährlich auch nach Europa geleitet". Das Engagement der Türkei werde also auch den Europäern nutzen.

Ankara will sich Gasschatz sichern

Ankara hält auch aus wirtschaftlichen Gründen zu dem kleinen Land am Kaspischen Meer: Zusammen mit Georgien ist Aserbaidschan ein wichtiger Energiekorridor für die Türkei. Die Transanatolische Pipeline, die erst seit zwei Jahren in Betrieb ist, die Transkaukasische Pipeline sowie die Südkaukasus-Pipeline verlaufen durch die beiden Länder. Jede dieser Rohrleitungen pumpt Erdgas aus dem Kaspischen Meer in das Gasverteilnetz der Türkei. Aserbaidschan ist in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Energielieferanten der Türkei aufgestiegen.

Das liegt vor allem daran, dass sich Ankara vermehrt darum bemüht, die Energieabhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. Bislang erhält die Türkei Erdgas überwiegend aus Russland, das die Pipeline "Blue Stream" durch das Schwarze Meer in die Türkei befördert. Die neue Pipeline Turkish Stream, die Anfang dieses Jahres eröffnet wurde, hat die Kapazität der alten Röhre nahezu verdoppelt.

Wieder stehen sich Ankara und Moskau auf den Füßen

Offensichtlich war das ein strategischer Fehler Ankaras: Ob im libyschen Bürgerkrieg oder beim Konflikt in der nordwestsyrischen Region Idlib könnten die Positionen Ankaras und Moskaus nicht unterschiedlicher sein. Und auch beim aserbaidschanisch-armenischen Konflikt liegen die Interessen der beiden Regionalmächte über Kreuz.

Der türkische Russland-Experte Kerim Has
Der türkische Russland-Experte Kerim HasBild: privat

Dass sich Ankara in der Region immer mehr als Schutzpatron Aserbaidschans aufspielt, wird nämlich vom Kreml mit Argusaugen beobachtet. Der türkische Russland-Experte Kerim Has aus Moskau geht dennoch nicht davon aus, dass die am ersten August beginnenden Militärübungen Spannungen zwischen Ankara und Moskau verursachen werden. Das könnte sich nach Ansicht von Has jedoch bald ändern: "Die Hinweise verdichten sich, dass die türkische Regierung eine Militärbasis in Aserbaidschan dauerhaft errichten möchte." Das würde dann ernsthaftes Konfliktpotential zwischen Ankara und Moskau mit sich bringen.

Der Grund für die skeptische Haltung der russischen Regierung gegenüber den hegemonialen Bestrebungen Ankaras ist, dass auch Moskau in der Region Geschäfte macht. Russische Energieunternehmen wie Gazprom haben bei den Gaslieferungen nach Armenien und Bergkarabach eine Monopolstellung. Aber nicht nur das: Russland sieht sich als Schutzmacht Armeniens, den Erzfeind Aserbaidschans. Bereits seit 1995 unterhalten die russischen Streitkräfte dort eine Militärbasis, nur 15 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt.