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Politik

Uiguren in der Türkei: ein Leben in Angst

Tunca Öğreten
28. Februar 2021

Zehntausende Uiguren sind in die Türkei ausgewandert, die meisten wollen der Internierung in chinesischen Lagern entgehen. Doch auch im Exil hören die Existenzängste nicht auf - vor allem die vor der Abschiebung.

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Ömer Faruk und seine Familie
Ömer Faruk fand Asyl in der Türkei, doch zwei seiner Kinder musste er in China zurücklassenBild: Tunca Ögreten/DW

"Seit fünf Jahren habe ich keinen Kontakt mehr zu meiner Familie. Daher habe ich von dem Tod meines Vaters erst ein Jahr später erfahren", berichtet der 32-jährige Abdüsükür mit Tränen in den Augen. Er wohnt in Zeytinburnu, dem Stadtteil von Istanbul, in dem die meisten uigurischen Einwanderer leben und arbeiten.

Er ist einer von 50.000 Uiguren, die vor allem in den letzten Jahren in die Türkei geflohen sind. Die Regierung in Peking geht hart gegen die ethnische Minderheit vor: Immer wieder gibt es Zeugenberichte darüber, dass Angehörige der Volksgruppe in Umerziehungslager gebracht werden. Dort sind sie unter menschenunwürdigen Bedingungen interniert. Viele der inhaftierten Uiguren, darunter auch Kinder, wurden willkürlich aus ihrem Alltag gerissen. Offizielle Zahlen gibt es nicht, Schätzungen zufolge befinden sich zumindest mehrere hunderttausend Menschen in den Lagern in Nordwestchina.

"Nur weil wir gebetet haben"

Auch Abdüsükür musste vor fünf Jahren aus der uigurischen Provinz Xinjiang - im äußersten Nordwesten Chinas - in die Türkei fliehen. "Wir wurden in Ostturkistan (gemeint ist Xinjiang, Anm. d. Red.) ständig verfolgt. Es gab viele Menschen, die ins Gefängnis oder in ein Umerziehungslager mussten, weil sie gebetet haben." Uiguren sind eine turksprachige Ethnie, die nahezu alle der islamischen Glaubensgemeinschaft angehören. Weil es zwischen der türkischen und uigurischen Bevölkerung viele kulturelle Gemeinsamkeiten gibt, wanderten viele Uiguren in die Türkei aus - aber auch weil die türkische Regierung jahrelang ihre Einwanderung förderte. Heute ist die größte uigurische Diaspora in der Türkei angesiedelt. 

 Der 32-jährige Abdüsükür
Der 32-jährige Abdüsükür hat Sorge vor Repressalien gegen seine Familie in ChinaBild: Tunca Ögreten/DW

"Ich hatte nicht nur Angst um mich selbst, sondern auch um meine Familie. Daher entschloss ich mich, in die Türkei zu fliehen." Seit diesem Tag habe er nur einmal mit seiner Mutter, die in China zurückgeblieben ist, sprechen können. "Uiguren, die sich in der Türkei aufhalten, ist es verboten (von den chinesischen Behörden, Anm. d. Red.), mit ihren Angehörigen zu sprechen." 

Angst vor Abschiebung

Vom Tod seines Vaters habe er durch einen Freund erfahren, sagt Abdüsükür. Umgehend meldete er sich bei seiner noch in Xinjiang lebenden Mutter. "Sie bestätigte mir den Tod meines Vaters und mahnte: 'Ruf uns nicht noch einmal an. Wenn sie (die chinesischen Behörden, Anm. d. Red.) das erfahren, werden sie uns verfolgen." Es sei das letzte Mal, dass er mit seiner Mutter gesprochen habe.

Abdüsükür, der in Istanbul in einem Second-Hand Laden für Mobiltelefone arbeitet, nimmt bei jeder Gelegenheit an Protesten gegen die Unterdrückung der Uiguren in China teil und versucht, über die sozialen Netzwerke auf die Probleme in seiner Heimat aufmerksam zu machen. Bereits zweimal wurde er in diesem Zusammenhang von der türkischen Polizei festgenommen. Als nun Ermittlungen gegen ihn eingeleitet worden seien, habe er große Angst bekommen, erzählt Abdüsükür. Er besitze keine türkische Staatsbürgerschaft, daher bestehe immer die Gefahr, ausgeliefert zu werden. Seit 2017 zwischen Ankara und Peking ein Auslieferungsabkommen vereinbart wurde, das noch vom türkischen Parlament ratifiziert werden muss, hat bei vielen Uiguren die Angst vor einer Abschiebung zugenommen.

Familiennachzug stark erschwert

Der 31-jährige Ömer Faruk, der aus der westchinesischen Stadt Korla in die Türkei eingewandert ist, hat bereits die türkische Staatsbürgerschaft. Daher könne er zwar nicht ausgeliefert werden, Probleme gebe es dennoch viele, erzählt er. Der Vater von fünf Kindern hält sich seit 2016 in der Türkei auf. Doch zwei seiner Töchter musste er in China zurücklassen. Er teilt das Schicksal vieler uigurischer Einwander: I n der Heimat zurückgebliebene Angehörige, teils im Kindes- oder Seniorenalter, verschwinden spurlos.

Der 31-jährige Ömer Faruk
Ömer Faruk sorgt sich um seine beiden jüngsten Töchter, die in China zurückbleiben musstenBild: Tunca Ögreten/DW

Auch Faruk hat eine ähnliche Geschichte zu erzählen: Er könne sich gut an den Tag erinnern, als ihn vor fünf Jahren seine Frau anrief, während er als Gastarbeiter in Saudi-Arabien tätig war. Sie habe ihm gesagt, dass die chinesische Polizei vor der Tür stehe. Die Polizei habe versucht, die Pässe der Familie zu beschlagnahmen. Er habe seine Frau aufgefordert, zu sagen, sie werde der Polizei die Pässe später vorbeibringen und sie gedrängt, sie solle stattdessen Flüge in die Türkei besorgen und schnellstmöglich verschwinden, berichtet Faruk. Das Problem: Die beiden jüngsten Töchter, die zu diesem Zeitpunkt eineinhalb und drei Jahre alt waren, hatten keine Reisepässe. Faruk flog alleine mit drei Kindern in die Türkei - seine Frau blieb mit den anderen beiden Kindern zurück.

"Ich weiß nicht, wo meine beiden Töchter sind"

"Meine Frau kam später nach und ließ die beiden Kinder bei meiner Schwiegermutter. Meine Brüder wollten mir dabei helfen, meine Töchter in die Türkei zu bringen". Der Plan aber scheiterte, denn sie seien verhaftet worden. "Meine Schwiegermutter wurde nun auch in ein Umerziehungslager geschickt. Zurzeit weiß ich nicht, wo meine beiden Töchter sind."

Faruk weiß nicht, ob sie überhaupt noch leben, er hat keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Uiguren, die in andere Länder ausgewandert sind, sei es gelungen, ihre Familien nachzuholen, erzählt er. "Die Uiguren, die in meiner Situation österreichische und ägyptische Staatsbürger geworden sind, konnten ihre Kinder und Familien retten".

"Meine Frau ist mit den Nerven am Ende, sie kann nachts nicht schlafen. Meine Kinder denken an nichts anderes, als an ihre Geschwister. Sie fragen: 'Wann haben wir sie wieder bei uns, Vater?' Ich bin verzweifelt. Haben sie sie ins Lager gesteckt? Das weiß niemand."

Dennoch ist Faruk froh über seinen türkischen Pass. "Im Gegensatz zu vielen anderen Uiguren brauche ich keine Angst vor einer Auslieferung zu haben." Daher beteilige er sich regelmäßig an Protesten vor den chinesischen Vertretungen in Istanbul und Ankara, in der Hoffnung, dass irgendwann die Situation der Uiguren in der Türkei und der ganzen Welt mehr Aufmerksamkeit findet.   

Aus dem Türkischen adaptiert von Daniel Derya Bellut.