Ukraine aktuell: Baerbock fordert klares Signal gegen Putin
23. Februar 2023Das Wichtigste in Kürze:
- Außenministerin Baerbock spricht vor UN-Vollversammlung
- Friedensverhandlungen: Selenskyj warnt vor Druck auf Kiew
- Putin kündigt Stärkung von Russlands Nuklearstreitkräften an
- Polen sichert Grenzen zu Russland und Belarus
- Guterres sieht Gefahr einer atomaren Ausweitung des Krieges
- Mehr als eine Million geflüchtete Ukrainer in Deutschland
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat die Weltgemeinschaft ein Jahr nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine zu einem klaren Signal für ein Ende des Angriffskriegs aufgefordert. "Heute muss sich jeder von uns entscheiden: Mit dem Unterdrücker isoliert dastehen - oder für den Frieden zusammenstehen", sagte die Grünen-Politikerin bei einer Sondersitzung der UN-Vollversammlung in New York. Zugleich richtete sie einen Apell an China, seinen Ankündigungen Taten folgen zu lassen und einen Friedensplan zur Beilegung des Ukraine-Konflikts unter dem Dach der UN-Charta vorzulegen. Dies sei notwendig, weil China als UN-Sicherheitsratsmitglied nicht nur Vetorechte, "sondern eben als Mitglied eine besondere Verantwortung hat, den Weltfrieden
wiederherzustellen", sagte die 42-Jährige.
Baerbock sprach auf Bitten der Ukraine als letzte reguläre Rednerin vor der Abstimmung über eine Resolution. Das Votum wird auch als globaler Stimmungstest zu Russlands Angriffskrieg gesehen. Der Plan für einen Frieden sei in der UN-Charta angelegt, sagte Baerbock weiter: "Jeder Einzelne von uns hier hat heute die Gelegenheit, zu diesem Friedensplan beizutragen. Indem Sie dem Aggressor sagen, dass er aufhören muss." Aus der Abstimmung über die von der Ukraine vorgelegte Resolution müsse deutlich werden, "dass es kein Frieden ist, wenn ein Aggressor seinem Opfer sagt, dass es einfach aufgeben soll." Und dass es kein Frieden sei, wenn ein Aggressor für seine "rücksichtslose Gewalt" belohnt werde.
Zeichen des Rückhalts für Kiew
Die Resolution der UN-Vollversammlung enthält die Forderung nach Frieden und dem Rückzug der russischen Streitkräfte. Der Entwurf bekräftigt eine Reihe zuvor bereits beschlossener Positionen des Gremiums, etwa das zu wahrende Prinzip der territorialen Integrität der Ukraine. Kiew und seine Unterstützer wollen damit an ähnliche Abstimmungsergebnisse des vergangenen Jahres mit mehr als 140 "Ja"-Stimmen anknüpfen - das soll auch dem Eindruck entgegenwirken, es gebe in Teilen der Welt eine Kriegsmüdigkeit und bröckelnden Rückhalt für Kiew.
Im März vergangenen Jahres, kurz nach Kriegsbeginn, hatte die Versammlung der 193 Mitgliedstaaten Russlands Invasion mit einer historischen Mehrheit von 141 Stimmen zurückgewiesen - so viele Stimmen waren in dem Gremium noch nie zusammengekommen. Im Oktober verurteilten dann sogar 143 Nationen die illegalen Annexionen Russlands in der Ukraine.
Selenskyj warnt vor Druck auf Kiew
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat davor gewarnt, Kiew zu Friedensverhandlungen mit Moskau zu drängen. Andernfalls werde Russland seine Aggressionspolitik fortsetzen, sagte der 45-Jährige bei einer Pressekonferenz mit dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez in Kiew. Sánchez war zu seinem zweiten Besuch in die ukrainische Hauptstadt gereist. Eine angekündigte chinesische Initiative zur Beendigung des Krieges sah Selenskyj hingegen positiv. „Das sind die ersten Schritte und das ist nicht schlecht“, sagte er. Allerdings habe er bisher noch kein Dokument gesehen und daher sei es noch zu früh für eine Beurteilung. „Wir werden unsere Schlüsse ziehen, sobald wir die konkreten Details sehen“, sagte der Präsident. Man habe Peking die Bereitschaft zu einem Treffen auf diplomatischer Ebene signalisiert.
Putin kündigt Stärkung von Russlands Nuklearstreitkräften an
Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte kurz vor dem Jahrestag des Kriegs in der Ukraine an, die Entwicklung seiner Nuklearstreitkräfte weiter voranzutreiben. "Der Stärkung der nuklearen Triade werden wir nach wie vor verstärkte Aufmerksamkeit widmen", sagte Putin in einer vom Kreml veröffentlichten Rede anlässlich des "Tags des Vaterlandsverteidigers", der in Russland an diesem Donnerstag gefeiert wurde. Der Staatschef stellte für dieses Jahr etwa erste Indienststellungen der neuen, mit Atomsprengköpfen bestückbaren Interkontinentalrakete vom Typ Sarmat in Aussicht. Ursprünglich war das allerdings schon für 2022 geplant.
Putin kündigte zudem eine Stärkung aller Teilstreitkräfte an, insbesondere durch eine Ausrüstung mit "neuen Angriffssystemen, Aufklärungs- und Kommunikationsausrüstung, Drohnen und Artilleriesystemen". Schon in seiner großen Rede zur Lage der Nation am Dienstag hatte Putin eine Modernisierung seiner Armee und die Aussetzung des letzten großen atomaren Abrüstungsvertrags mit den USA angekündigt, des so genannten "New Start"-Abkommens. Putin würdigte in seiner Videobotschaft auch die russischen Soldaten, die "heldenhaft" in der Ukraine kämpften und "unser Volk in unseren historischen Gebieten verteidigen". Er legte zudem einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten am Kreml nieder und sprach mit Veteranen.
Polen sichert Grenzen zu Russland und Belarus
Polen hat damit Polen begonnen, seine Grenzen zu Russland und Belarus mit Panzersperren zu sichern. "Das ist Teil unser Verteidigungs- und Abschreckungsstrategie", schrieb Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak auf Twitter. Die ersten Blockaden seien bereits an der Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad errichtet worden. Dazu postete er Fotos von Panzersperren aus Eisen und Beton. Polens Grenze zu dem Gebiet Kaliningrad, der ehemaligen Nordhälfte Ostpreußens, ist rund 200 Kilometer lang.
Auch an der insgesamt 418 Kilometer langen Grenze zu Belarus will Polen Panzersperren errichten. Machthaber Alexander Lukaschenko hat sein Land für Moskau als Basis im Krieg gegen die Ukraine zur Verfügung gestellt. Belarus bildet auch gemeinsame Truppen mit Russland. Aktiv greift es bislang aber nicht in den Krieg ein. Im vergangenen Jahr hatte Polen an den Landabschnitten seiner Grenze zu Belarus bereits einen 5,5 Meter hohen Zaun errichtet. Dieser soll Migranten die irreguläre Einreise in das EU-Land Polen erschweren.
Scharfe Kritik an russischen Vertretern bei OSZE-Treffen
Russische Parlamentarier sind bei einem Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für ihre Rolle im Krieg gegen die Ukraine scharf kritisiert worden. "Einige Parlamentarier leisten Beihilfe zum kriminellen Angriff", sagte die Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, Margareta Cederfelt, in ihrer Eröffnungsrede in Wien. Die schwedische Parlamentarierin warf ihren russischen Kollegen zudem vor, Bürgerrechte, Medien und Wahlen untergraben zu haben. Die OSZE mit ihren 57 Mitgliedstaaten hat die Verhinderung von Konflikten und die Stärkung der Demokratie zum Ziel. Das zweitägige Treffen der Versammlung fällt mit dem Jahrestag der russischen Invasion in die Ukraine zusammen, die am 24. Februar 2022 begann.
Obwohl Dutzende Länder Visaverweigerungen für russische Abgeordnete gefordert hatten, ließ Österreich neun Delegierte aus Moskau einreisen; sechs von ihnen sind mit EU-Sanktionen belegt. Aus Protest nahmen ukrainische Parlamentarier nicht an dem Treffen teil. Sie reisten jedoch nach Wien, um in bilateralen Gesprächen für die Suspendierung der russischen Vertreter in der Parlamentarischen Versammlung zu werben. In der Sitzung verlas ein slowakischer Abgeordneter eine Rede der ukrainischen Delegation, in der die russischen Delegierten als Kriegsverbrecher bezeichnet wurden. Litauische Abgeordnete blieben der Tagung aus Solidarität ebenfalls fern.
Der Vizechef des russischen Parlaments, Pjotr Tolstoi, reagierte erzürnt, darüber, dass er und andere russischer Vertreter als Nazis beschimpft worden seien. Auf Instagram veröffentlichte Tolstoi ein Video, auf dem entsprechende Rufe zu hören sind.
Guterres warnt vor atomarer Eskalation
Knapp ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat UN-Generalsekretär António Guterres vor einer Ausweitung des Konflikts und dem Einsatz von Atomwaffen gewarnt. "Im vergangenen Jahr haben wir nicht nur Leid und Verwüstung wachsen sehen, es wird auch immer deutlicher, wie viel schlimmer alles noch werden könnte", sagte Guterres zur Eröffnung einer Sondersitzung der UN-Vollversammlung zum Jahrestag am 24. Februar.
Die möglichen Folgen einer Konfliktspirale seien eine klare und gegenwärtige Gefahr, so Guterres weiter. "Inzwischen haben wir implizite Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen gehört. Der sogenannte taktische Einsatz von Atomwaffen ist absolut inakzeptabel." Es sei höchste Zeit, vom Abgrund zurückzutreten. Russlands Präsident Wladimir Putin hat wiederholt angedeutet, sein Land könne in einer Bedrohungslage Atomwaffen einsetzen.
Die russische Invasion nannte Guterres einen Angriff auf unser "kollektives Gewissen". Der Krieg betreffe nicht nur die Ukraine, sondern die ganze Welt. Er verwies auf rund acht Millionen Flüchtlinge sowie die weltweite Nahrungsmittel- und Energiekrise.
Mehr als eine Million geflüchtete Ukrainer in Deutschland
Ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs sind rund 1.066.000 Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland registriert worden. Das teilte das Bundesinnenministerium in einer Bilanz zu den Hilfen für Kriegsflüchtlinge und die Ukraine mit. 34 Prozent der registrierten Flüchtlinge sind demnach Kinder und Jugendliche, 62 Prozent Frauen oder Mädchen. Mehr als eine Million Menschen in so kurzer Zeit aufzunehmen, sei ein „großer humanitärer Kraftakt“, der Städte und Gemeinden vor große Herausforderungen stelle, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Zudem seien bislang staatlicherseits 397 Hilfstransporte organisiert worden, davon 386 für die Ukraine, die übrigen für Nachbarstaaten. "Das ist der bislang größte Logistikeinsatz in der Geschichte des Technischen Hilfswerks (THW)", hob die Ministerin hervor. Geliefert wurden den Angaben zufolge unter anderem medizinisches Material, Kraftfahrzeuge sowie fast 400 Stromgeneratoren und zehn Batteriespeicher zur Unterstützung des ukrainischen Energiesektors. Die Bundespolizei habe zudem kriminaltechnische Ausrüstung zur Aufklärung von Kriegsverbrechen zur Verfügung gestellt.
EU-Justizbehörde richtet Ermittler-Zentrum für Kriegsverbrechen ein
Die europäische Justizbehörde Eurojust in Den Haag hat die Schaffung eines Zentrum für strafrechtliche Ermittlungen zur russischen Aggression in der Ukraine angekündigt. In der neuen Ermittler-Einheit sollen ab Sommer 2023 sieben Staaten zusammenarbeiten sowie der Internationale Strafgerichtshof. Geplant sei auch eine internationale Datenbank für Beweise zu Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, teilte Eurojust mit. Mit Hilfe der Datenbank sollen auch „systematische Handlungen“ hinter einzelnen Verbrechen offengelegt werden, sagte der Direktor von Eurojust, Ladislav Hamran.
Auch die russische Staatsführung müsse verfolgt werden, betonte die ukrainische Staatsanwältin und Eurojust-Mitglied, Myroslava Krasnoborova. Bislang stellte die Justiz in der Ukraine nach Angaben der Anklägerin mehr als 71.000 mutmaßliche Kriegsverbrechen fest. Nur gegen 276 Personen sei Anklage erhoben worden, 99 Prozesse seien eröffnet und 26 Urteile gefällt worden. Zu den Kriegsverbrechen gehören Folter, Mord, Vergewaltigung, Vertreibung sowie Angriffe auf zivile Ziele.
Kuleba: Russland begeht mit der Verschleppung von Kindern Völkermord
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat Russland massenhafte Verschleppungen ukrainischer Kinder vorgehalten und dies als Völkermord angeprangert. Russland deportiere Tausende Kinder, um sie von russischen Familien adoptieren und zu Russen umerziehen zu lassen. "Das ist ein Völkermord, und dem stehen wir heute gegenüber", sagte Kuleba zu Beginn der Sondersitzung der UN-Vollversammlung.
Moskau hatte ähnliche Vorwürfe zuletzt dementiert. Die Ausreise vieler Ukrainer nach Russland wird als Flucht aus der Kampfzone dargestellt. Auch die Verschleppung von Kindern wird von russischer Seite trotz gegenteiliger Belege bestritten. Wenn Kinder nach Russland verbracht werden, wird dies oft mit medizinischer Behandlung oder Erholung begründet.
Yellen: Wirtschaftssanktionen haben "erheblichen Effekt"
Die wegen des Angriffskriegs gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen haben nach Einschätzung von US-Finanzministerin Janet Yellen einen "erheblichen negativen Effekt" für die dortige Konjunktur. Russland kämpfe mittlerweile mit einem hohen Haushaltsdefizit, sagte sie im indischen Bangalore, wo sich die Finanzministerinnen und -minister der G7-Gruppe zu weiteren Maßnahmen austauschten und auch ein G20-Treffen anstand.
Russland habe wegen der Sanktionen und Exportkontrollen Probleme, Material etwa für die Reparatur von Panzern zu beschaffen, führte Yellen aus. Außerdem habe es wegen des Krieges einen "Exodus" hochqualifizierter Unternehmer und Wissenschaftler sowie von ausländischen Investitionen aus Russland gegeben. Zusätzlich schmälere der Preisdeckel für russisches Öl die Einnahmen des Staates, sagte Yellen.
Finnland schickt drei Leopard 2 in die Ukraine
Die finnische Regierung stellt der Ukraine drei Minenräum-Panzer zur Verfügung. Es würden drei Leopard-2-Panzer geliefert, teilte Verteidigungsminister Mikko Savola in Helsinki mit. "Sie haben keine Kanonen, sie haben ein Maschinengewehr. Sie sind speziell für die Minenräumung", betonte der Minister. Von den 200 Leopard-2-Panzern in Finnland sind nur sechs als Minenräumer umgebaut. Die Hilfe umfasse auch "eine Schulung" zum Gebrauch und zur Wartung der Geräte.
qu/gri/se/ww/uh (dpa, rtr, afp)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.