Aktuell: Hoffen auf die Feuerpause in Mariupol
31. März 2022Das Wichtigste in Kürze:
- Moskau stellt Feuerpause in Mariupol in Aussicht
- Russische Einheiten ziehen sich in Region Kiew laut NATO nicht zurück
- Russische Armee räumt offenbar Reaktorruine in Tschernobyl
- Neue Berichte über Einsatz von Phosphorwaffen im Osten
- Putin: Gas muss ab Freitag über Gazprombank bezahlt werden
Russland hat für diesen Donnerstag eine Feuerpause in der umkämpften ukrainischen Hafenstadt Mariupol angeboten, damit Zivilisten diese verlassen können. "Russlands Streitkräfte erklären - ausschließlich zu humanitären Zwecken - am 31. März ab 10.00 Uhr (9.00 Uhr MESZ) eine Feuerpause", sagte Generalmajor Michail Misinzew. Der Fluchtkorridor solle über die unter russischer Kontrolle stehende Stadt Berdjansk nach Saporischschja führen. Die ukrainische Armee müsse sich für die Sicherheit der Buskonvois einsetzen, in denen die Zivilisten befördert werden sollen, hieß es weiter. Kiew schickte nach eigenen Angaben dutzende Busse in Richtung der belagerten Hafenstadt. Unklar ist bislang, ob die Bemühungen Erfolg hatten, Menschen aus Mariupol zu retten.
Eine entsprechende Ankündigung über eine Feuerpause übermittelte das russische Verteidigungsministerium auch an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Die Ukraine und Russland hatten sich zuletzt immer wieder gegenseitig beschuldigt, die Flucht von Einwohnern aus Mariupol zu sabotieren. Zuletzt hatte der französische Präsident Emmanuel Macron in einem Telefonat mit Putin auf eine humanitäre Hilfsaktion für die seit Wochen eingeschlossene Stadt gepocht. Nach Angaben des dortigen Bürgermeisters befinden sich noch rund 170.000 Menschen in der Stadt. Sie hätten keinen Strom und die Lebensmittelvorräte gingen zur Neige.
In Mariupol sind nach Aussagen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Tausende Menschen ums Leben gekommen. "Jeder weiß, dass es dort zu einer humanitären Katastrophe gekommen ist", sagt Selenskyj in einer Video-Botschaft an das belgische Parlament.
NATO: Russische Einheiten ziehen sich nicht zurück
Die NATO sieht bei Russlands Ukraine-Feldzug keine Signale der Entspannung. "Nach unseren Geheimdienstinformationen ziehen sich russische Einheiten nicht zurück, sondern positionieren sich neu", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel. Russland versuche, seine Truppen neu zu gruppieren, Nachschub zu organisieren und die Offensive im Donbass zu verstärken. Gleichzeitig werde der Druck auf die Hauptstadt Kiew und andere Städte aufrechterhalten. Es sei "also mit weiteren Offensivaktionen" zu rechnen.
Zu den Verhandlungen zwischen Vertretern und der Ukraine und Russlands meinte der Norweger, es sei gut, dass miteinander gesprochen werde. Bislang habe man allerdings keine echte Änderung bei Russlands Hauptziel gesehen, einem militärischen Erfolg. Deshalb müsse man auch bereit sein, die Ukraine weiter zu unterstützen.
Pentagon: Nur kleiner russischer Truppenabzug
Die USA hatten bereits am Dienstag gewarnt, es handele sich nicht um einen "Rückzug" russischer Truppen, sondern um eine "Neupositionierung". Pentagon-Sprecher John Kirby sagte, die ukrainische Hauptstadt sei weiterhin von Luftangriffen bedroht. Er verwies darauf, dass die Bodentruppen rund um Kiew zuletzt ohnehin kaum noch Fortschritte gemacht hätten. Man beobachte, dass das russische Militär nun im Donbass in der Ostukraine viel aktiver sei. Die US-Regierung geht davon aus, dass die private russische Sicherheitsfirma "Wagner Gruppe" sich aktuell mit rund 1000 Söldnern auf diese Region konzentriere. Russland setze dort nun verstärkt auf Luftangriffe.
Russische Truppen räumen Tschernobyl
Nach Angaben des ukrainischen Atomkonzerns Enerhoatom hat die russische Armee mit dem Abzug aus der stillgelegten Atomreaktorruine Tschernobyl begonnen. Zwei Kolonnen seien in Richtung der Grenze nach Belarus gefahren, heißt es in einer Erklärung von Energoatom. Es befänden sich nun nur noch einige wenige Soldaten auf dem Gelände. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Die UN-Atomaufsichtsbehörde IAEA wird nach ukrainischen Angaben in Zukunft Tschernobyl und das Atomkraftwerk Saporischschja im Süden des Landes kontrollieren. Dazu würden Online-Überwachungseinsätze organisiert. Der Chef der UN-Atomaufsichtsbehörde IAEA, Rafael Grossi, ist nach einem Besuch in der Ukraine zu Gesprächen mit hochrangigen russischen Vertretern in Kaliningrad eingetroffen, wo er sich um die Sicherheit von Atomanlagen bemüht, wie seine Behörde mitteilte.
Am 4. März brachten russische Soldaten das größte Atomkraftwerk Europas in Saporischschja unter ihrer Kontrolle. Bei den Kämpfen brach ein Feuer in einem Schulungsgebäude aus. Der Brand löste Angst vor einer Reaktorkatastrophe in Europa aus. Bereits im Februar hatten die russischen Streitkräfte die Ruine des 1986 havarierten Reaktor von Tschernobyl besetzt. Danach fiel dort mehrere Tage der Strom aus. Das Personal, das die abgeschalteten Reaktoren überwacht, musste mehrere Wochen ohne Schichtwechsel arbeiten.
Chodorkowski: Putin reagiert nur auf Druck
Der russische Exil-Oppositionelle Michail Chodorkowski glaubt, dass die russische Armee in der Ukraine militärisch feststeckt. Der russische Präsident habe dies nach einem Monat Krieg begriffen; sagte Chodorkowski der DW. Jetzt habe Wladimir Putin mehrere Möglichkeiten, entweder er eskaliere, was entweder eine Mobilisierung oder den Einsatz taktischer Atomwaffen bedeuten könnte, oder er beginne ernsthafte Friedensgespräche. Oder er konzentriere sich auf die bereits besetzten Gebiete in Donezk und Luhansk, um einen endlosen Partisanenkrieg zu verhindern.
Wichtig sei eine einheitliche Position des Westens. "Jeder Versuch, mit einem solchen Mann einen Kompromiss zu schließen, ohne ihm vorher Stärke zu zeigen, ist ein großer Fehler", sagte Chodorkowski im Gespräch mit der DW. Das provoziere Putin nur, einen weiteren Schritt in Richtung eines Angriffs zu machen.
Neuer Bericht über Phosphorwaffen in der Ukraine
Die ukrainischen Behörden haben der russischen Armee vorgeworfen, erneut Phosphorwaffen in der Ostukraine eingesetzt zu haben. In der Kleinstadt Marinka hätten die von russischen Soldaten verwendeten Waffen "ein Dutzend Brände" verursacht, erklärte der Chef der Militärverwaltung der Region Donezk, Pawel Kyrylenko. Demnach wurden auch die Orte Heorhijiwka, Nowokalinowo und Otscheretyne bombardiert. Angaben zur Art der dabei verwendeten Waffen machte er nicht. Zivile Opfer habe es durch die Angriffe nicht gegeben, allerdings seien mehrere Häuser beschädigt worden.
Die Ukraine hat Russland wiederholt den Einsatz von Phosphorwaffen in zivilen Gebieten vorgeworfen. Phosphorwaffen sind völkerrechtlich nicht explizit verboten; allerdings ist ihr Einsatz laut einer Waffenkonvention von 1980 gegen Zivilisten und in städtischen Gebieten geächtet. Sie können schwerste Verbrennungen sowie Vergiftungen verursachen.
Der Beschuss von zivilen Zielen in der Ukraine verletzt nach Ansicht der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet das internationale Kriegsrecht. "Willkürliche Angriffe sind gemäß dem humanitären Völkerrecht verboten und können auf Kriegsverbrechen hinauslaufen", sagte sie vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. Nach ihren Angaben gibt es glaubwürdige Hinweise, dass russische Einheiten mindestens 24 Mal Streumunition in Siedlungsgebieten eingesetzt haben. Außerdem berichtete Bachelet über Angriffe auf Wohnhäuser, Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser und Schulen. "Seit mehr als einem Monat erlebt die ganze Bevölkerung der Ukraine einen wahren Albtraum", sagte sie. Die massive Zerstörung von zivilen Objekten und die hohe Opferzahl seien ein starker Hinweis, dass fundamentale Prinzipien des Kriegsrechts nicht beachtet worden seien.
Bislang habe ihr Büro mindestens 1189 tote und 1901 verletzte Zivilisten registriert. Die wahre Zahl liege aber viel höher. Bachelet stellte klar, dass ihr Büro nicht nur Hinweisen auf russische Verfehlungen nachgehe. Der angebliche Gebrauch von Streumunition durch ukrainische Einheiten werde ebenso untersucht, sagte sie, ohne Details zu nennen. Außerdem gebe es Berichte über die Tötung von zwei pro-russischen Zivilisten sowie über Hunderte Verhaftungen durch die ukrainische Polizei.
Präsident Putin: Gas muss ab Freitag über Gazprombank bezahlt werden
Im Streit um die Bezahlung russischer Gaslieferungen macht Moskau neue Vorgaben. Russlands Präsident Wladimir Putin hat nach eigenen Angaben ein Dekret unterzeichnet, das ausländische Käufer ab dem 1. April zwingt, das Geschäft über ein Konto bei der russischen Gazprombank abzuwickeln, um weiter Gas zu kaufen. Andernfalls würden die Lieferungen für die "unfreundlichen" Länder eingestellt, sagte Putin im Staatsfernsehen. Zunächst war im Westen davon ausgegangen worden, dass Russland künftig nur noch Rubel annehmen werde. Doch tatsächlich scheint das von Putin unterschriebene Dekret europäischen Unternehmen zu erlauben, weiterhin zunächst in Euro oder Dollar zu bezahlen. Das Geld soll dann bei der Gazprombank in Rubel gewechselt werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz wiederholte auf Twitter seine Ablehnung von Zahlungen in Rubel für Gaslieferungen:
Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte bei einem Pressestatement mit den französischen Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire in Berlin: "Wir werden im Einzelnen prüfen, was vorgeschlagen und gefordert worden ist." Verträge würden so erfüllt, wie sie geschlossen worden seien. "Insbesondere wollen wir keine weiteren Beiträge leisten, um Putins Kriegskasse zu füllen", so Lindner.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck betonte, man werde sich von Putin nicht erpressen lassen und sei auf alle Eventualitäten vorbereitet. Frankreich und Deutschland bereiteten sich auch auf einen Stopp russischer Gaslieferungen vor. Die sieben führenden Industriestaaten hatten Anfang der Woche die Zahlung in Rubel einheitlich abgelehnt.
Einreiseverbote gegen EU-Spitzen
Russland hat Einreiseverbote für zahlreiche europäische Abgeordnete, Personen des öffentlichen Lebens und Journalisten angekündigt. "Die Beschränkungen gelten für die oberste Führungsebene der EU, einschließlich einer Reihe von EU-Kommissaren und Leitern von EU-Militärstrukturen, sowie für die überwiegende Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments, die eine antirussische Politik unterstützen", heißt es in einer Erklärung des Außenministeriums.
Lambrecht: "Wir stehen näher zusammen als je zuvor"
Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat bei ihrem Antrittsbesuch in Washington inmitten des Ukraine-Kriegs die enge Zusammenarbeit mit den USA und in der NATO bekräftigt. "Wir stehen näher zusammen als jemals zuvor", sagte Lambrecht nach einem Treffen mit ihrem US-Kollegen Lloyd Austin in Washington. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sei es nicht gelungen, NATO oder EU zu spalten". Die SPD-Politikerin fügte hinzu: "Wir sind verlässliche Partner. Darauf können sich insbesondere unsere NATO-Verbündeten an der NATO-Ostflanke verlassen, ohne Wenn und Aber."
Jetzt gehe es darum, die Bundeswehr auszustatten, so dass sie ihren Auftrag des Landes- und Bündnisverteidigung erfüllen könne. Das müsse sehr schnell gehen, so Lambrecht. "Es ist Handeln gefordert, sehr zügig, denn die Bedrohung ist offensichtlich."
Austin würdigte die "enorme Führungsrolle", die Deutschland in der Ukraine-Krise gezeigt habe. Die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz, in Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine massiv in die Bundeswehr zu investieren, sei "mutig und historisch". Austin dankte Deutschland auch für die Entscheidung, Waffen an die Ukraine zu liefern. "Ihr Vorbild hat geholfen, andere Verbündete und Partner dazu zu inspirieren, zu folgen."
Umfangreiche Finanzhilfe aus Washington
Nach Angaben des Weißen Hauses erhält die Ukraine unterdessen weitere finanzielle Unterstützung der Vereinigten Staaten. US-Präsident Joe Biden habe seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj in einem Telefonat 500 Millionen US-Dollar (rund 448 Millionen Euro) an direkter Haushaltshilfe zugesichert. Beide hätten außerdem darüber gesprochen, wie die USA der Ukraine weiter militärische, wirtschaftliche und humanitäre Hilfe zukommen lassen könnten, teilte das Weiße Haus in Washington mit. Man habe sich auch darüber ausgetauscht, wie die USA die wichtigsten Ersuchen der Ukraine um sicherheitspolitische Unterstützung erfüllen könnten und welche "kritischen Auswirkungen diese Waffen auf den Konflikt" haben würden. Selenskyj sagte, es sei über Verteidigungsmaßnahmen, ein neues Paket von Sanktionen sowie über finanzielle und humanitäre Hilfen gesprochen worden.
OSZE-Mission in der Ukraine wird nicht verlängert
Die internationale Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ukraine wird nicht verlängert, wie die OSZE in Wien bekannt. Der amerikanische OSZE-Botschafter Michael Carpenter kritisierte, dass Russland die dafür notwendige einstimmige Entscheidung der insgesamt 57 OSZE-Staaten mit einem Veto blockiert habe. "Das ist unverantwortlich und unvertretbar, aber nicht wirklich überraschend", sagte der US-Diplomat. Die OSZE hatte zuletzt rund 500 unbewaffnete Beobachter vor allem in der Ostukraine stationiert. Sie hatten insbesondere die Waffenstillstandslinie zwischen ukrainischen Einheiten und pro-russischen Separatisten im Blick, wurden nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die gesamte Ukraine aber abgezogen. Das bisherige Mandat endet mit dem Monat März. Zahlreiche OSZE-Staaten hatten es verlängern wollen.
Geberkonferenz für Waffenlieferungen an die Ukraine
Die britische Regierung organisiert an diesem Donnerstag eine Geberkonferenz für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. Verteidigungsminister Ben Wallace hat zu der Konferenz eingeladen. Bei einem Besuch in Norwegen hatte Wallace die Hoffnung auf Rüstungszusagen "aus der ganzen Welt" geäußert, "um sicherzustellen, dass Russland bei seiner illegalen Besetzung und Invasion eines souveränen Landes keinen Erfolg hat".
Großbritannien hat sich an die Spitze der internationalen Bemühungen gestellt, die Ukraine mit Waffen zu versorgen. Premierminister Boris Johnson sagte am Mittwoch, er wolle bei den britischen Militärhilfen für die Ukraine "einen Gang höher schalten". Vor drei Wochen hatte London angekündigt, der Ukraine weitere mobile Panzerabwehrwaffen zu liefern. Vor dem Einmarsch Russlands am 24. Februar hatte Großbritannien Militärausbilder in die Ukraine geschickt, um die ukrainischen Streitkräfte im Umgang mit solchen Waffen zu unterweisen.
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
qu/fab/kle/bru/djo/sti (dpa, rtr, afp)