Aktuell: Mehr als 3000 Mariupoler gerettet
2. April 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Evakuierungsaktionen in Donezk, Luhansk, Saporischschaja und Mariupol
- Ukraine: Russland zieht sich aus dem Norden zurück
- Selenskyj warnt vor Minen in russischen Rückzugsgebieten
- USA unterstützt Ukraine mit weiteren Waffen
Aus der eingekesselten südukrainischen Stadt Mariupol haben sich nach ukrainischen Angaben tausende Menschen in Sicherheit gebracht. Mehr als 3000 Mariupoler seien "gerettet" worden, teilte Staatschef Wolodymyr Selenskyj mit. Im Laufe des Tages sollte es einen neuen Anlauf für die Evakuierungsaktion des Roten Kreuzes in Mariupol geben. "Heute gab es in drei Regionen humanitäre Korridore: Donezk, Luhansk und Saporischschja", sagte Selenskyj in einer Video-Ansprache. "Uns ist es gelungen, 6266 Menschen zu retten, darunter 3071 Menschen aus Mariupol."
Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk führte aus, dass 1431 Menschen aus Berdjansk und Melitopol auf eigene Faust nach Saporischschja geflohen seien. Von ihnen kamen demnach 771 ursprünglich aus Mariupol. Außerdem seien aus dem von Russland besetzten Berdjansk 42 Busse mit Einwohnern von Mariupol sowie zwölf weitere Busse aus Melitopl nach Saporischschja aufgebrochen, gut 300 Privatfahrzeuge seien ihnen gefolgt. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) startete unterdessen einen neuen Versuch, Menschen aus der eingekesselten Hafenstadt Mariupol in Sicherheit zu bringen.
Die Situation in Mariupol wird nach Aussage des Ukrainischen Roten Kreuzes von Tag zu Tag schlimmer. Die stellvertretende Generaldirektorin des Roten Kreuzes in der Ukraine, Olena Stokoz, sagte im DW-Interview, sie hätten seit mehr als einer Woche nichts mehr von ihren Mitarbeitern in Mariupol gehört. Es gebe auch Schwierigkeiten mit ihren Fahrzeugen dort, sie seien teilweise zerstört. Und nicht zum ersten Mal habe es Angriffe mit Molotow-Cocktails auf das Büro des Roten Kreuzes gegeben.
"Region Kiew ist vom Angreifer befreit"
Russische Truppen haben in der Nacht nach ukrainischen Angaben mehrere Großstädte im Süden des Landes mit Raketen beschossen. Das ukrainische Militär erklärte, seine Luftabwehr habe einen versuchten Angriff auf kritische Infrastruktur im Hafen von Odessa am Schwarzen Meer verhindert. Im größten Hafen der Ukraine liegt das Hauptquartier der ukrainischen Marine.
Die Ukraine hat einen "schnellen Rückzug" der russischen Truppen aus dem Norden bestätigt. Die Hauptstadt Kiew kann sich in der sechsten Woche des Krieges erstmal aus einer versuchten Umklammerung durch russische Truppen befreien. Die militärisch bislang gescheiterten Angreifer scheinen sich, wie von Moskau angekündigt, aus dem Gebiet der Metropole komplett zurückzuziehen - und auch aus dem nördlich gelegenen Tschernihiw. Vize-Verteidigungsministerin Hanna Malyar schrieb auf Facebook, die ukrainischen Truppen hätten das gesamte Gebiet der Region Kiew wieder unter ihre Kontrolle gebracht.
Ukraine: Russland konzentriert seine Angriffe auf den Süden und Osten
Russland habe eine "andere Taktik gewählt", erklärte der ukrainische Präsidentenberater Michailo Podoljak im Messengerdienst Telegram: Moskau wolle seine Truppen "nach Osten und Süden zurückziehen und dort die Kontrolle über große besetzte Gebiete behalten".
Das russische Militär hat nach eigener Darstellung einen Militärflugplatz in dem Gebiet Poltawa angegriffen. Dabei seien Kampfhubschrauber und Flugzeuge zerstört worden, teilte das russische Verteidigungsministerium in Moskau mit. Außerdem seien in der zentral gelegenen Region Depots für Treibstoff und Waffen getroffen worden. In der Nähe der Bahnhöfe in Losowa und Pawlohrad seien zudem gepanzerte Fahrzeuge, Munition und Treibstofftanks zerstört worden.
Selenskyj warnt vor verminten Rückzugsgebieten
Der ukrainische Präsident wirft russischen Truppen vor, Minen zu hinterlassen. Im Norden der Ukraine zögen sich die russischen Soldaten allmählich zurück, sagt Selenskyj in einer Videobotschaft. Teilweise würden sie durch Kämpfe verdrängt, teilweise täten sie das aus eigenen Stücken. Doch die Soldaten hinterließen eine katastrophale" Situation für die Zivilbevölkerung: "Sie verminen dieses Territorium. Häuser werden vermint, Ausrüstung wird vermint, sogar Leichen", sagt Selenskyj, ohne Beweise vorzulegen. Es werde alles unternommen, um die Gegenden wieder sicher zu machen. Das russische Verteidigungsministerium wollte sich dazu bislang nicht äußern.
Austausch von Gefangenen
Mehr als fünf Wochen nach Beginn des russischen Angriffskrieges hat es ukrainischen Angaben zufolge einen weiteren Gefangenenaustausch gegeben. Die russische Seite habe 71 ukrainische Soldaten und 15 Soldatinnen aus der Kriegsgefangenschaft freigelassen und dafür ebenso viele eigene Leute übergeben bekommen, schrieb die ukrainische Vize-Regierungschefin Wereschtschuk auf Facebook. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Mitte März hatte die russische Seite etwa den zwischenzeitlich entführten Bürgermeister der Stadt Melitopol freigelassen - ukrainischen Angaben zufolge im Austausch für neun russische Wehrdienstleistende.
Tod eines Berichterstatters
In der Ukraine ist erneut ein Journalist getötet worden. Der seit Mitte März vermisste Dokumentarfilmer und Fotograf Max Lewin ist in einem Dorf nahe der Hauptstadt tot aufgefunden worden, wie die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew bestätigte. Nach ersten Erkenntnissen sei der Ukrainer von russischen Soldaten erschossen worden. Er sei unbewaffnet gewesen und habe eine Jacke mit der Aufschrift "Presse" getragen. Der 40-jährige Levin arbeitete für ukrainische und internationale Medien. Er hinterlässt vier Kinder.
Weitere 300 Millionen US-Dollar für Waffen an die Ukraine
Das US-Verteidigungsministerium will der Ukraine weitere Waffen im Wert von 300 Millionen Dollar zukommen lassen. Unter anderem soll das neue Paket verschiedene Drohnen, Raketensysteme und gepanzerte Fahrzeuge umfassen. Die US-Regierung hat der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskriegs bereits Militärhilfen und Waffenlieferungen im Wert von 1,65 Milliarden US-Dollar zugesagt. Seit Anfang vergangenen Jahres summieren sich die US-Hilfen auf 2,3 Milliarden Dollar.
Kiew stellt Energie für Europa in Aussicht
Die Ukraine will zur Verringerung der europäischen Abhängigkeit von Russland zukünftig Gas und Wasserstoff in erheblichem Umfang liefern, fordert zunächst aber ein Energie-Embargo gegen den Kriegsgegner. Dies sagte der ukrainische Energieminister German Galuschtschenko dem "Tagesspiegel". Damit solle Russland das Geld für eine Fortsetzung seines Angriffskrieges entzogen werden.
Nach einem Ende des Krieges biete der Export von Wasserstoff in andere europäische Länder seinem Land "Perspektiven und Wachstumsmöglichkeiten", so der Minister weiter. Ukrainische Atomkraftwerke produzierten bereits Wasserstoff in kleinen Mengen - "und wir bauen gerade eine größere H2-Anlage. Technologisch ist das sehr gut machbar." Schwieriger sei es, das Erdgas-Pipelinesystem für den Wasserstoff-Transport aufzurüsten, "aber mit großen Investitionen ist auch das möglich".
Sein Land investiere zudem in erneuerbare Energien. "Vor allem in unserem sonnigen Süden haben wir bereits erhebliche Solarkapazitäten aufgebaut", konstatierte Galuschtschenko. Die Ukraine habe "ein großes Potenzial für die Stromerzeugung aus Biomasse, Biogas und Wasserkraft" und könne zudem ihre Gasförderung deutlich ausbauen.
Irak verzeichnet Rekordeinnahmen durch Öl-Export
Der Anstieg der Ölpreise wegen des Ukraine-Kriegs beschert dem Irak die höchsten Export-Erlöse seit 50 Jahren. Im März habe das Land mehr als 100 Millionen Barrel im Wert von umgerechnet rund 10 Milliarden Euro exportiert, verkündete das irakische Ölministerium. Das seien die höchsten Einnahmen seit dem Jahr 1972. Kaum ein Land der Welt ist so stark abhängig von den Öl-Einnahmen wie der Irak.
Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar wächst die Furcht vor einem größeren Versorgungsengpass, das lässt die Preise steigen. Russland ist nach Saudi-Arabien der zweitgrößte Erdölexporteur der Welt.
Anti-Kriegs-Demonstrationen in Russland
Bei Protesten gegen den Ukraine-Krieg in 17 russischen Städten sind nach Angaben von Bürgerrechtlern mehr als 200 Menschen festgenommen worden. In der Hauptstadt Moskau und in St. Petersburg wurden demnach die meisten Demonstranten in Gewahrsam genommen. Die Bürgerrechtler veröffentlichten Bilder von Mahnwachen, die einzelne Demonstranten mit Schildern wie "Kein Krieg" zeigten. Angaben über Teilnehmerzahlen gibt es nicht. Seit Beginn des russischen Kriegs am 24. Februar habe es mehr als 15.300 Festnahmen gegeben.
Moskau will die Raumfahrt-Kooperation aufkündigen
Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos hat mit einem Ende der Zusammenarbeit auf der Internationalen Raumstation ISS gedroht, sollten die USA und andere westliche Staaten nicht ihre Sanktionen gegen Russland zurücknehmen. Die Moskauer Führung werde konkrete Fristen für ein Ende der Kooperation vorschlagen, verkündete der Chef der russischen Raumfahrtbehörde, Dmitri Rogosin, via Telegram. Die Schreiben würden dann den Raumfahrtbehörden der USA, Kanadas, Japans und der Europäischen Union zugestellt. Die NASA hatte stets betont, die Zusammenarbeit mit Russland auf der ISS fortsetzen zu wollen.
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
rb/sti/as/fab/wa/uh (dpa, rtr, afp, DW)