Aktuell: 50 Länder fordern Russland zum Kriegsende auf
24. August 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Selenskyj gibt sich am Unabhängigkeitstag kämpferisch
- Überraschungsbesuch des britischen Premiers in Kiew
- Schlagabtausch im Sicherheitsrat
- Weitere Militärhilfen für die Ukraine
- Ab September wird in Deutschland Energie gespart
- Oppositioneller Roisman ist in Russland festgenommen worden
Ein halbes Jahr nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine haben mehr als 50 Länder - darunter die USA, Japan, alle EU-Staaten und Großbritannien - den Angriffskrieg verurteilt. "Wir fordern die Russische Föderation auf, ihre völlige Missachtung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen, einschließlich der Charta der Vereinten Nationen, des humanitären Völkerrechts und der internationalen Menschenrechtsgesetze, zu beenden", sagte nach einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats der ukrainische UN-Botschafter Serhij Kislizia im Namen der beteiligten Staaten.
Kämpferische Ansprache zum Unabhängigkeitstag
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in einer Rede zum Unabhängigkeitstag, dass sein Land die russische Invasion "bis zum Ende" bekämpfen und "keine Zugeständnisse oder Kompromisse" machen werde. "Es ist uns egal, welche Armee Sie haben, uns geht es nur um unser Land. Wir werden bis zum Ende für die Ukraine kämpfen", sagte Selenskyj in einer Videoansprache an dem Tag, an dem die Invasion vor sechs Monaten begann.
"Wir haben sechs Monate lang durchgehalten. Es ist hart, aber wir haben unsere Fäuste geballt und wir kämpfen für unser Schicksal", sagte er. "Jeder neue Tag ist ein Grund, nicht aufzugeben. Nach einer so langen Reise haben wir nicht das Recht, nicht bis zum Ende weiterzugehen", sagte er. Mit Blick auf Russland fügte er hinzu: "Für uns ist die Ukraine die ganze Ukraine. Alle 25 Regionen, ohne irgendwelche Zugeständnisse oder Kompromisse."
Johnson zu Überraschungsbesuch in Kiew
Der britische Premierminister Boris Johnson ist überraschend zu einem Besuch in Kiew eingetroffen. Es gebe einen "starken Willen der Ukrainer zum Widerstand", den Russlands Präsident Wladimir Putin nicht verstanden habe, sagte Johnson anlässlich des ukrainischen Unabhängigkeitstags. An das ukrainische Volk gerichtet, fügte er hinzu: "Ihr verteidigt euer Recht, in Frieden, in Freiheit zu leben. Deshalb wird die Ukraine gewinnen."
Der ukrainische Präsident zeichnete Johnson mit dem Freiheitsorden aus - einer Auszeichnung des ukrainischen Staats für Menschen, die die Souveränität des Landes unterstützen. Großbritannien helfe dabei, "unseren Sieg näherzubringen", sagte Selenskyj. Großbritannien ist seit dem Beginn der russischen Invasion einer der engsten Verbündeten der Ukraine.
Scholz gratuliert der Ukraine
Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Ukraine zu ihrem Unabhängigkeitstag gratuliert und sein Mitgefühl für die Opfer des Krieges ausgedrückt. "Eigentlich sollte dies ein Tag fröhlicher Konzerte, Picknicks und Paraden sein", sagt der SPD-Politiker in einer Video-Ansprache. "Doch der dunkle Schatten des brutalen russischen Angriffskriegs lastet schwer - auch auf diesem 24. August, genau sechs Monate nach Kriegsbeginn."
Schlagabtausch im Sicherheitsrat
Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York haben sich Russland und die Ukraine erneut gegenseitig für den Beschuss des von der russischen Armee besetzten Atomkraftwerks Saporischschja im Süden der Ukraine verantwortlich gemacht. Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja warf der Ukraine in dem höchsten UN-Gremium vor, das Gebiet des Reaktor-Komplexes "weiterhin praktisch jeden Tag" zu beschießen. Das würde das "reale Risiko eines radioaktiven Unfalls mit katastrophalen Folgen für den gesamten europäischen Kontinent" bergen.
Der ukrainische UN-Botschafter Sergej Kyslyzja wies die russischen Angaben entschieden zurück. Niemand könne sich vorstellen, dass die Ukraine ein Atomkraftwerk ins Visier nehmen und damit eine Atomkatastrophe auf ihrem eigenen Territorium riskieren würde. Russland wage es, eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu beantragen, um über "seine eigenen Provokationen und seine eigenen terroristischen Handlungen zu diskutieren".
Beide Länder beteuerten zudem erneut, sie seien bereit, eine Mission der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zu dem Atomkraftwerk zu lassen. Die Untergeneralsekretärin der Vereinten Nationen, Rosemary DiCarlo, rief beide Länder auf, "jegliche militärische Aktivität" in der Nähe der Atomanlage einzustellen und eine IAEA-Mission zuzulassen.
Atomenergiebehörde und Rosatom verhandeln in Istanbul
Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, hat mit der russischen Behörde Rosatom über die erhoffte Expertenreise zum besetzten ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja gesprochen. Auf Twitter sprach Grossi von "wichtigen technischen Diskussionen" bei dem Treffen in Istanbul in der Türkei. Details wurden nicht genannt.
Die russische Seite um Rosatom-Chef Alexej Lichatschow sagte nach eigenen Angaben logistische Unterstützung für die Expertenmission zu, "sobald die militärische Lage vor Ort das zulässt". Seit Wochen ist umstritten, auf welchem Weg die internationalen Experten anreisen sollen.
Erneut Explosionen in Munitionsdepot
Zum zweiten Mal binnen sechs Tagen ist Munition in einem russischen Depot an der Grenze zur Ukraine detoniert. Nach Angaben des Gouverneurs der russischen Region Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, kam es zu einer Selbstzündung von Geschossen, die noch nicht entschärft worden seien. In großer Hitze habe die Linsenwirkung, die Sonnenlicht verstärkt, eine Rolle gespielt. Niemand sei verletzt worden. Die Bevölkerung in der Gegend sei in ein Sanatorium gebracht worden.
In dem Munitionslager bei dem Dorf Timonowo, etwa 4,5 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt, war es schon am vergangenen Donnerstag zu heftigen Explosionen gekommen. Ähnliche Vorfälle mit hohen Schäden gab es in den vergangenen zwei Wochen auch auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim. Russische Behörden sprachen jeweils von Unfällen und Fahrlässigkeit. Allerdings legen die Umstände nahe, dass es sich eher um ukrainische Angriffe handelte.
Oslo und London schicken Drohnen
Norwegen und Großbritannien werden gemeinsam Mikrodrohnen an die Ukraine liefern, um sie in ihrem Krieg mit Russland zu unterstützen, teilte das norwegische Verteidigungsministerium mit. Die Kosten für die Teledyne Flir Black Hornet Drohnen, die zur Aufklärung und Zielidentifizierung eingesetzt werden, belaufen sich auf mehr als neun Millionen Dollar, so das Ministerium in einer Erklärung.
Die USA werden der Ukraine Militärhilfen in Höhe von weiteren rund drei Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Die offizielle Ankündigung des Weißen Hauses soll am Mittwoch erfolgen, wie ein US-Regierungsvertreter erklärte. Die Gelder können unter anderem für Waffen und Training genutzt werden. US-Beamte sagten der Agentur AP, dass mit dem Paket Verträge für bis zu drei Arten von Drohnen und andere Waffen, Munition und Ausrüstung finanziert werden, die möglicherweise erst in ein oder zwei Jahren an der Front in der Ukraine zum Einsatz kommen.
Deutschland liefert weitere Waffen
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte an, Deutschland werde in den kommenden Monaten zusätzliche Waffen im Wert von mehr als 500 Millionen Euro an die Ukraine liefern. So sollen unter anderem drei zusätzliche Luftabwehrsysteme des Typs Iris-T an die Ukraine geliefert werden, außerdem ein Dutzend Bergepanzer, 20 auf Pick-Up-Fahrzeuge montierte Raketenwerfer sowie Antidrohnengeräte und Präzisionsmunition. Die Finanzierung muss noch vom Parlament genehmigt werden, und ein Teil der Mittel wird erst im nächsten Jahr geliefert werden.
Ab September wird in Deutschland Energie gespart
Zur Vermeidung von Gasengpässen in der kalten Jahreszeit verordnet die Bundesregierung Bürgern, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen eine Reihe von Energiesparmaßnahmen. Die Energieeinsparverordnungen sollen dazu beitragen, die deutsche Abhängigkeit von russischen Gasimporten zu reduzieren. Weil mit Gas in Deutschland auch Strom erzeugt wird, soll auch der Stromverbrauch sinken.
Ab September sollen öffentliche Gebäude und Denkmäler nicht mehr angestrahlt und Schaufenster nachts nicht beleuchtet werden. In öffentlichen Gebäuden sollen die Büros nur noch bis 19 Grad, Flure und Foyers möglichst gar nicht mehr geheizt werden. Private Pools dürfen nicht mehr mit Gas oder Strom beheizt werden. Außerdem sollen Energietransporte auf der Schiene künftig Vorrang haben, auch wenn in diesen Fällen andere Züge warten müssen.
Die Schweiz will vorerst freiwillig sparen
In Anlehnung an das Vorgehen der EU will auch die Schweiz nun Gas sparen. Behörden, Industrie und Privathaushalte sollen freiwillig von Anfang Oktober bis Ende März nächsten Jahres 15 Prozent weniger Gas verbrauchen als im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. In der EU gilt dieses Ziel bereits seit 1. August. Sollten Sparaufrufe nicht ausreichen, müssten eventuell Sport- und Wellnessbereiche geschlossen werden.
Die Schweiz ist bei Gas vollständig auf Importe aus dem Ausland angewiesen. Wenn das Gas in den Nachbarländern knapp werde, könne das die Gaslieferungen in die Schweiz beeinträchtigen, argumentiert die Regierung. Im Notfall könnten auch Standorte der Bundesverwaltung zusammengelegt werden, um weniger Räume heizen zu müssen.
Oppositioneller Jewgeni Roisman in russischer Haft
In Russland ist der prominente Oppositionspolitiker und frühere Bürgermeister der Millionenstadt Jekaterinburg, Jewgeni Roisman, festgenommen worden. Ihm werde die Verbreitung von Falschnachrichten über die russische Armee im Zuge des Moskauer Angriffskriegs gegen die Ukraine vorgeworfen, wie das Internetportal e1.ru berichtete. Demnach drohten ihm bis zu zehn Jahre Gefängnis. Roisman war einer der letzten scharfen Kritiker des Kreml, der noch auf freiem Fuß war.
Ukrainische Getreide-Ausfuhr offenbar fast auf Vorkriegsniveau
Die Ukraine dürfte nach Angaben aus US-Regierungskreisen bis Ende August fast so viel Getreide exportieren wie in einem durchschnittlichen Monat vor Beginn des russischen Angriffskriegs. Dank "intensiver internationaler Zusammenarbeit" sei das Land auf dem Weg, vier Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Produkte auszuführen, sagte ein hoher Beamter des US der Nachrichtenagentur AFP.
Vor Kriegsbeginn hatte die Ukraine als einer der größten Exporteure von Weizen, Mais, Gerste und Sonnenblumenöl monatlich rund fünf Millionen Tonnen Getreide exportiert. Nach der russischen Invasion der Ukraine waren die Ausfuhren drastisch eingebrochen.
Ende Juli hatten die Ukraine und Russland - unter Vermittlung der Türkei und der UN - Abkommen zur Ausfuhr von in ukrainischen Häfen blockierten Getreides unterzeichnet. Laut dem Vertreter des US-Außenministeriums gelang infolge der Vereinbarung in den vergangenen Wochen die Ausfuhr von mehr als 720.000 Tonnen Getreide auf 33 Schiffen.
Erheblich wichtiger waren dem US-Regierungsvertreter zufolge aber von der Europäischen Union organisierte Ausfuhren über alternative Routen. Über Flüsse, Eisenbahnstrecken und Straßenverbindungen seien monatlich zwischen 2,5 und drei Millionen Tonnen ukrainischer Agrarprodukte in die EU und auf den restlichen Weltmarkt gelangt. Die EU hatte für eine Beschleunigung des Getreide-Exports die Bereitstellung zusätzlicher Lastwagen organisiert und Hürden für den Transport per Eisenbahn abgebaut.
sti/rb/nob/fab/AR/wa (AFP, AP, dpa, epd, KNA, Reuters)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.