Aktuell: Selenskyj pocht auf Gespräche mit Putin
25. Mai 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Präsident Selenskyj will mit russischem Staatschef Putin sprechen
- Ukrainischen Stellen wurden etwa 20.000 mutmaßliche Kriegsverbrechen gemeldet
- Türkei formuliert nochmals Bedingungen für NATO-Beitritt der Nordländer
- NATO will bestimmte Waffensysteme nicht liefern
- Russische Raketen treffen die Großstadt Saporischschja
- Russische Pässe für besetzte Regionen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will als Gegenleistung für einen Frieden kein ukrainisches Territorium aufgeben. "Die Ukraine kämpft, bis sie ihr gesamtes Territorium zurück hat", sagte Selenskyj bei einer Veranstaltung der Victor-Pinchuk-Stiftung in Davos. Er war digital zu der Diskussion am Rande der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums zugeschaltet.
Selenskyj sagte auch, er sei bereit zu Gesprächen, wenn sich Russland in die Gebiete zurückziehe, in denen es vor Kriegsbeginn im Februar war. Er werde aber nur mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin selbst sprechen. "Ich kann nur mit dem Präsidenten direkt sprechen, keine Mittelspersonen, keine Vermittler", sagte Selenskyj. Dafür müsse Putin seine Blase verlassen. Derzeit verhandle Russland nicht ernsthaft.
In den drei Monaten des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind nach Kiewer Angaben etwa 20.000 mutmaßliche Kriegsverbrechen von russischen Militärangehörigen angezeigt worden. Allein 13.500 solcher Taten hätten die Ermittler der Polizei registriert, sagte Innenminister Denys Monastyrskyj im ukrainischen Fernsehen. "Wir arbeiten mit ausländischen Staatsanwälten, gemeinsamen Ermittlungsteams und Experten zusammen, aber die meiste Arbeit wird von ukrainischen Strafverfolgungsbeamten geleistet." Ihr Beweismaterial solle später an internationale Gremien übermittelt werden, um mutmaßliche russische Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen, sagte der Minister. In einem ersten Prozess hat die ukrainische Justiz einen jungen russischen Soldaten als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt.
Türkei wiederholt Bedingungen für NATO-Erweiterung
Die Türkei hat nach einem Treffen mit Vertretern aus Schweden und Finnland ihre Forderungen für eine Zustimmung zum NATO-Beitritt erneuert. Präsidialberater Ibrahim Kalin sagte in Ankara, man erwarte jetzt konkrete Schritte. Andernfalls könne der Prozess nicht vorankommen. Als einziges NATO-Mitglied blockiert die Türkei den Beginn des Aufnahmeprozesses der beiden nordischen Länder in das Verteidigungsbündnis.
Ankara begründet seine Haltung mit der angeblichen Unterstützung Finnlands und Schwedens von "Terrororganisationen" und bezieht sich dabei auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, die syrische Kurdenmiliz YPG und die Gülen-Bewegung. Die PKK ist auch in den USA und der EU als Terrorgruppe anerkannt. Das gilt aber nicht für die YPG und die Gülen-Bewegung. Letztere macht die Türkei etwa für den Putschversuch 2016 verantwortlich. Die YPG - Verbündete der USA im syrischen
Bürgerkrieg - sieht Ankara als Ableger der PKK.
NATO-Staaten wollen durch Absprachen Krieg mit Russland verhindern
Unter den NATO-Mitgliedern gibt es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) informelle Absprachen zum Verzicht auf die Lieferung bestimmter Waffensysteme an die Ukraine. Wie der dpa in Brüssel bestätigt wurde, soll dadurch das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation zwischen NATO-Staaten und Russland möglichst gering gehalten werden. Befürchtet wird so zum Beispiel, dass der Kreml die Lieferung westlicher Kampfpanzer und Kampfflugzeuge offiziell als Kriegseintritt werten könnte und dann militärische Vergeltungsmaßnahmen ergreift. Waffensysteme dieser Art wurden bislang nicht an die Ukraine geliefert.
Russische Raketen treffen die Großstadt Saporischschja
Am Mittwochmorgen ist die Großstadt Saporischschja im Osten der Ukraine nach Behördenangaben von drei Raketen getroffen worden. Die Gebietsverwaltung teilte auf Telegram mit, eine Rakete sei von der Luftabwehr abgefangen worden. Die Rettungskräfte seien vor Ort.
Derweil berichten die Militärexperten des US-Kriegsforschungsinstituts Institute for the Study of War (ISW) in ihrer jüngsten Ukraine-Analyse, das russische Militär ziehe im schwer umkämpften Gebiet Luhansk Kräfte aus verschiedenen Richtungen zusammen, die für eine Offensive nötig seien. In der letzten Woche seien den russischen Truppen im Gebiet Luhansk mehr Geländegewinne als im gesamten Mai zuvor gelungen.
In der Region Luhansk kontrollieren die russischen Truppen und die mit ihnen verbündeten prorussischen Separatisten inzwischen 90 Prozent des Territoriums. Das ukrainische Militär hält den Ballungsraum zwischen den Städten Sjewjerodonezk und Lyssytschansk - beide Städte waren vor dem Krieg Großstädte. Absicht Moskaus sei es wohl, gleichzeitig mehrere kleine ukrainische Verbände in dem Raum einzukesseln, heißt es in der amerikanischen Analyse. Ein "großer Durchbruch" sei den Russen allerdings bisher nicht gelungen.
Russland lockert Altersbeschränkung für Berufssoldaten
Drei Monate nach Kriegsbeginn in der Ukraine hat Russland die bislang geltende Altersbegrenzung für Berufssoldaten gelockert. Das Parlament in Moskau stimmte für ein Gesetz, dem zufolge Männer und Frauen künftig bis zu 50 Jahre alt sein dürfen, wenn sie sich vertraglich für den Dienst in der Armee
verpflichten. Bislang lag die Obergrenze bei 40 Jahren.
Russische Pässe in besetzten Regionen
Russland will seinen Einfluss nun auch mit der Vergabe von Pässen an Einwohner der ukrainischen Gebiete Cherson und Saporischschja festigen. Kremlchef Putin unterschrieb ein Dekret, nach dem die Menschen zu vereinfachten Bedingungen die russische Staatsbürgerschaft erhalten können. Das Außenministerium in Kiew sprach von einer illegalen Aktion und groben Verletzung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Ukraine.
2019 hatte Putin bereits für die abtrünnigen ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk den vereinfachten Erhalt der russischen Staatsbürgerschaft angewiesen. Hunderttausende Menschen nutzten das Angebot.
Litauen liefert gepanzerte Fahrzeuge an die Ukraine
Die Ukraine wird aus Litauen gepanzerte Fahrzeuge als Militärhilfe für den Krieg gegen Russland erhalten. Das baltische EU- und NATO-Land werde Kiew 20 gepanzerte Mannschaftstransporter vom Typ M113, 10 Militärlastwagen und 10 Minenräum-Geländefahrzeuge übergeben, teilte das Verteidigungsministerium mit. Der Wert der Ausrüstung betrage etwa 15,5 Millionen Euro. Litauen hat nach eigenen Angaben der Ukraine seit dem russischen Angriff militärische Hilfe im Wert von rund 100 Millionen Euro geleistet. Unter den gelieferten Waffen waren etwa Stinger-Flugabwehrraketen, Panzerabwehr- und Flugabwehrwaffen und Mörser.
EU-Kommission will russische Oligarchen einfacher enteignen
Luxusjachten, Villen, Privatjets: Russische Oligarchen sollen nach dem Willen der EU-Kommission enteignet werden können, wenn sie EU-Sanktionen unterlaufen. Dafür schlug die Behörde jetzt vor, das Umgehen der Sanktionen EU-weit als Straftat zu definieren. Zudem sollen die Regelungen zur Vermögensabschöpfung und Beschlagnahme verschärft werden.
Zehn Milliarden Euro an Oligarchen-Vermögen eingefroren
Russische Oligarchen haben im Laufe des Ukraine-Kriegs bereits Zugriff auf Luxusjachten, Immobilien und andere Vermögen im Wert von knapp 10 Milliarden Euro verloren. Dies geht nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Zahlen der EU-Kommission hervor. Am 8. April lag der Wert noch bei 6,7 Milliarden Euro. Die Europäische Union hat seit Beginn des Ukraine-Kriegs etliche russische Oligarchen auf die Sanktionsliste gesetzt, weil ihnen vorgeworfen wird, den Krieg zu unterstützen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte, Deutschland sei zwar offen für eine Debatte darüber, beschlagnahmtes russisches Vermögen für den Wiederaufbau der Ukraine zu nutzen. Man müsse aber zwischen Mitteln des Staates - wie etwa der Zentralbank - und privaten Mitteln unterscheiden. "In unserer Verfassung gibt es Garantien für Privatvermögen", so der FDP-Politiker.
Schröder will nicht mehr in Gazprom-Aufsichtsrat
Altkanzler Gerhard Schröder steht wegen seiner Russland-Verbindungen massiv in der Kritik. Nun hat er über ein Online-Portal bekanntgegeben, dass er keine Pläne hat, beim russischen Energieriesen Gazprom in den Aufsichtsrat einzusteigen. Auf die Nominierung habe er schon vor längerer Zeit verzichtet und dies dem Unternehmen auch mitgeteilt, schrieb Schröder auf dem Online-Portal "Linkedin". Die Authentizität des Beitrags wurde der Deutschen Presse-Agentur aus Schröders Umfeld bestätigt. Gazprom hatte Schröder Anfang Februar - kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine - für einen Posten in dem Gremium nominiert.
Der 78-Jährige hatte über die Jahre verschiedene Posten für die russische Energiewirtschaft übernommen. Der Bundestag hat Schröder als Reaktion auf seine auch während des Kriegs gegen die Ukraine fortdauernde Tätigkeit für russische Unternehmen sein Altkanzlerbüro und seine Mitarbeiter gestrichen. Das Europaparlament forderte zudem EU-Sanktionen gegen Schröder - was Kanzler Olaf Scholz allerdings ablehnte. Zugleich gibt es in der SPD weiter Bestrebungen, den ehemaligen Parteichef aus der Partei auszuschließen.
Russland plant noch mehr Repression gegen ausländische Medien
Das russische Parlament, die Duma, hat die Weichen für ein noch weiter verschärftes Vorgehen gegen westliche Medien gestellt. In erster Lesung verabschiedete die Duma einen Gesetzesvorschlag, der es erleichtern soll, ausländischen Medien die Sendelizenz zu entziehen. Bei Verbreitung von Informationen, die "auf die Diskreditierung der russischen Streitkräfte abzielen oder mit der Einführung von Sanktionen gegen Russland in Verbindung stehen", können entsprechende Medien durch eine einfache Entscheidung der Staatsanwaltschaft verboten werden, heißt es in der Vorlage.
Dem Gesetzentwurf zufolge werden der Generalstaatsanwalt oder seine Stellvertreter das Recht haben, die Sendelizenz eines Mediums zu entziehen, wenn es Informationen veröffentlicht, die als "illegal" oder "gefährlich" eingestuft werden. Die Akkreditierungen von Journalisten, die für ausländische Medien arbeiten, können ebenfalls aufgehoben werden, wie es im Gesetzestext heißt.
In Ungarn jetzt Notstand wegen des Ukrainekriegs
Kurz vor dem Auslaufen des gegenwärtigen Corona-Notstands zum Monatsende hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban die Möglichkeit erhalten, weiterhin per Dekret zu regieren. Das Parlament in Budapest schuf dazu eine neue Kategorie des Notstands. Mit der Zweidrittelmehrheit der rechtsnationalen Fidesz-Partei billigte die Volksvertretung die entsprechende Verfassungsänderung.
Die Regierung kann den Ausnahmezustand nun auch ausrufen, wenn ein Nachbarland - wie die Ukraine - von einem bewaffneten Konflikt, einem Krieg oder einer humanitären Katastrophe betroffen ist. Der Notstand erlaubt es Orban, geltende Gesetze aufzuheben und Zwangsmaßnahmen auf dem Verordnungsweg zu treffen. Die Regelung trete am Mittwoch 00.00 Uhr MESZ in Kraft, teilte der rechtsnationale Politiker in einem Video auf seiner Facebook-Seite kurz vor Mitternacht mit.
Orban hat die Aggression Moskaus bislang nur halbherzig verurteilt. Waffenlieferungen an die Ukraine lässt er durch sein Land nicht durch. In der EU blockiert Orban mit einer Vetodrohung das geplante Öleinfuhr-Embargo gegen Russland.
Schweiz lädt zu Geberkonferenz für Wiederaufbau ein
Die Schweiz richtet im Juli eine Geberkonferenz für den Wiederaufbau der Ukraine auf. Wie Präsident Ignazio Cassis beim Weltwirtschaftsforum in Davos sagte, hat er mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Einladungen an 40 Länder und 18 internationale Organisationen verschickt. Neben Finanzmitteln für den Wiederaufbau soll es auf der Konferenz demnach auch um Reformen gehen. Die Konferenz, die am 4. und 5. Juli in Lugano im Tessin stattfinden soll, war ursprünglich angesetzt worden, um über Reformen in der Ukraine zu beraten. Nun soll es vor allem um den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes gehen. "Wir sind schon jetzt bereit für den Wiederaufbau, weil wir einige Gebiete befreit haben", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba in Davos.
se/hf/kle/qu/rb (dpa, rtr, afp)
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