Aktuell: Ukraine gibt Sjewjerodonezk auf
24. Juni 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Ukrainische Armeeführung befiehlt Rückzug aus Sjewjerodonezk
- Tödlicher Anschlag in Cherson
- Vor dem G7-Gipfel kündigen die USA weitere Waffenlieferungen an
- Baerbock und Blinken machen Moskau für drohende Hungerkrisen verantwortlich
- Deutscher Städtetag will den Wiederaufbau unterstützen
Vier Monate nach Kriegsbeginn hat die Ukraine den Rückzug ihrer Truppen aus der umkämpften Stadt Sjewjerodonezk im Osten des Landes angeordnet. Das sagte der Gouverneur des Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, im Fernsehen. Russische und prorussische Kämpfer hatten die Stadt zuletzt schon fast vollständig eingenommen.
Nach Dauerbombardierungen durch den Feind liege Sjewjerodonezk "in Trümmern", erklärte der Gouverneur weiter. "Es ist einfach sinnlos, auf Positionen zu bleiben, die seit Monaten unablässig beschossen werden." Die gesamte strategische Infrastruktur der Industriestadt sei zerstört. 80 Prozent der Häuser müssten wohl abgerissen werden.
Zudem rückte die russische Armee nach ukrainischen Angaben weiter auf die benachbarte Großstadt Lyssytschansk auf der anderen Seite des Flusses Siwerskyj Donez vor. Man habe die Angreifer jedoch abwehren können. Die Russen holten nun Reserven herbei, heißt es im Lagebericht des Generalstabs in Kiew.
Attentat in Cherson
In der besetzten Region Cherson ist ein führender Vertreter der von Russland installierten Verwaltung bei einem Attentat getötet worden. Es handele sich um Dmitri Sawlutschenko, Chef des Ressorts Familie, Jugend und Sport, sagte der stellvertretende Verwaltungschef der Nachrichtenagentur Reuters. An seinem Auto sei ein Sprengsatz detoniert.
Es gab bereits mehrere Anschläge auf Vertreter Moskaus und ukrainische Überläufer in den von Russland kontrollierten Gebieten. Die russische Armee hatte die Region um Cherson, die an die annektierte Krim-Halbinsel grenzt, kurz nach Beginn ihrer Ukraine-Offensive Ende Februar eingenommen. Vor anderthalb Wochen begannen die neuen Machthaber mit der Ausgabe russischer Pässe; der russische Rubel wurde als Zahlungsmittel eingeführt.
Die USA wollen der Ukraine weitere Waffen im Wert von 450 Millionen Dollar (rund 427 Millionen Euro) liefern. "Dieses Paket enthält Waffen und Ausrüstung", sagte der zuständige Sprecher im Weißen Haus, John Kirby. Geliefert würden unter anderem Mehrfachraketenwerfer vom Typ HIMARS, Zehntausende Schuss Munition und Patrouillenboote.
Damit haben die USA dem von Russland angegriffenen Land in den bisherigen vier Kriegsmonaten nach eigenen Angaben Waffen und Ausrüstung im Wert von rund 6,1 Milliarden US-Dollar (5,8 Milliarden Euro) zugesagt oder bereits geliefert.
Zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte wurden bereits vier HIMARS-Mehrfachraketenwerfer geliefert. Die mobilen Systeme können mehrere präzisionsgelenkte Raketen gleichzeitig auf Ziele in bis zu 80 Kilometern Entfernung abfeuern. US-Präsident Joe Biden hatte erklärt, die Raketenwerfer ermöglichten es, mit größerer Präzision Ziele auf dem Schlachtfeld in der Ukraine zu treffen. Die ukrainische Armee werde damit aber nicht ermutigt oder in die Lage versetzt, jenseits ihrer Grenzen zuzuschlagen.
Außenminister wenden sich gegen "Korn-Krieg"
Die sieben reichsten demokratischen Staaten sagen Russland auch wegen der weltweit eskalierenden Hungerkrise den Kampf an. Die Botschaft der G7 sei klar: "Wir lassen nicht zu, dass der russische Angriffskrieg die Welt in Hunger stürzt", sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nach Beratungen der sieben Ressortchefs in Berlin. US-Außenminister Antony Blinken wies darauf hin, dass wegen des von Russland verursachten Krieges in diesem Jahr zusätzlich 40 Millionen Menschen von Hunger betroffen seien. In einer gemeinsamen Erklärung der G7-Außenminister heißt es, Russlands Krieg verschärfe die Krise durch die Blockade des Schwarzen Meeres, die Bombardierung von Getreidesilos und Häfen und die Beschädigung der landwirtschaftlichen Infrastruktur der Ukraine,
Baerbock und Blinken äußerten sich auch anlässlich einer internationalen Konferenz zur Nahrungsmittelsicherheit in Berlin, an der mehr als 50 Delegationen teilnahmen. Organisiert wurde die Konferenz vom Außen-, dem Agrar- und dem Entwicklungshilfeministerium. Laut Baerbock leiden derzeit weltweit 345 Millionen Menschen akut an der Knappheit von Nahrungsmitteln. Russland führe nicht nur Krieg gegen die Ukraine, sondern auch einen "zynischen Korn-Krieg". Erforderlich sei eine Nothilfe im Volumen von 44 Milliarden Euro, von denen allenfalls die Hälfte finanziert sei.
Deutscher Städtetag will ukrainischen Wiederaufbau unterstützen
Der Deutsche Städtetag fordert eine Gesamtstrategie zum Wiederaufbau der Ukraine. Er appelliere dazu an die Bundesregierung und die EU-Kommission, sagte der Präsident des Städtetags und Münsteraner Oberbürgermeister, Markus Lewe, der Deutschen Presse-Agentur. Dabei müssten "alle politischen Ebenen einschließlich der Städte" beteiligt werden.
"Wir stehen fest an der Seite der Menschen in der Ukraine. Die deutschen Städte wollen deshalb den Wiederaufbau der Ukraine aktiv unterstützen", sagte Lewe. Im Moment stünden noch Solidaritätsmaßnahmen und humanitäre Hilfe im Vordergrund, so der CDU-Politiker. "Aber es laufen schon Planungen für den Wiederaufbau - für Schulen, Krankenhäuser, Wohnungen, Verkehrsverbindungen und vieles mehr. Städte können einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau leisten."
Chef der Netzagentur fordert mehr Anstrengung beim Energiesparen
Angesichts knapper Gasreserven hat der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, die Dringlichkeit des Energiesparens untermauert. Im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) machte der Behördenchef deutlich, dass beim sogenannten Notfallplan Gas die dritte und letzte Stufe - die Notfallstufe - unbedingt vermieden werden müsse.
Denn dann könnten Industriefirmen nicht mehr so viel Gas kaufen, wie sie wollten, und sie wären auf Zuteilungen der Netzagentur angewiesen. Für die Firmen wären die Konsequenzen "schrecklich und einschneidend", sagte Müller. Energiesparen helfe, damit es gar nicht so weit komme.
Bei komplett gefüllten Gasspeichern würde Deutschland ganz ohne Lieferungen aus Russland zweieinhalb Monate auskommen, sagte Müller. Das gelte für einen durchschnittlich kalten Winter.
rb/mak/jj/sti/uh/nob (dpa, afp, rtr, ap, epd, kna)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.