Aktuell: UN-Vollversammlung verurteilt russische Annexionen
13. Oktober 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Überwältigende Mehrheit der UN-Vollversammlung an der Seite der Ukraine
- Moskau übermittelt westlichen Botschaftern Protest
- NATO hat keine Hinweise auf Beteiligung von Belarus am Krieg
- Ukraine warnt, Russland will Kälte als Waffe einsetzen
- Großbritannien liefert Kiew Hochleistungsraketen
Eine deutliche Mehrheit gegen die völkerrechtswidrigen Annexionen von ukrainischen Gebieten durch Russland war erwartet worden. Doch das Ergebnis der Abstimmung der UN-Vollversammlung überstieg selbst die Prognosen der kühnsten Optimisten. 143 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen stimmten im größten UN-Gremium für die Resolution, die Russlands Annexionen verurteilt und für ungültig erklärt. Der Kreml wird aufgefordert, die Einverleibung der teils besetzten Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson rückgängig zu machen.
Der Beschluss ist völkerrechtlich zwar nicht bindend, zeigt aber die klare internationale Isolation Russlands. In der Resolution wird zudem die Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen bekräftigt.
Syrien, Nicaragua, Nordkorea und Belarus stimmten mit Russland dagegen. 35 Länder enthielten sich, darunter auch Russlands strategischer Partner China, Indien, Südafrika und Pakistan. Unter den Befürwortern der Resolution sind auch Brasilien, die Türkei und Saudi-Arabien, über deren Abstimmungsverhalten im Vorfeld spekuliert worden war.
Deutschland hatte zuvor bei einer Dringlichkeitssitzung für die Resolution geworben. "Die Schein-Referenden und Russlands illegale Annexionen sind null und nichtig", sagte der deutsche Diplomat Michael Geisler vor der Abstimmung der Vollversammlung. "Wir alle sind rechtlich verpflichtet uns zu weigern, sie anzuerkennen."
Eine ähnliche Beschlussvorlage wie die nun verabschiedete war Ende September im UN-Sicherheitsrat am Widerspruch Russlands gescheitert. Dort haben Resolutionen völkerrechtlich bindende Wirkung. Die ständigen Mitglieder Russland, China, die USA, Frankreich und Großbritannien können mit ihren Vetos dort jedoch jede Entscheidung blockieren.
Nord-Stream-Lecks: Moskau übermittelt westlichen Botschaftern Protest
Russland hat den Botschaftern Deutschlands, Schwedens und Dänemarks Protestnoten überreicht. Moskau werde keine "Pseudo-Ergebnisse" westlicher Untersuchungen der Lecks an den Gaspipelines 1 und 2 anerkennen, solange keine eigenen Experten daran beteiligt seien, heißt es in einer Mitteilung des russischen Außenministeriums in Moskau. In den vergangenen Tagen waren bereits die drei Diplomaten einbestellt worden.
Ende September hatten Explosionen mehrere Löcher in die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee gerissen. Anschließend waren tagelang große Mengen Gas ausgetreten. Die Lecks befinden sich in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens. Der Verdacht der Sabotage steht im Raum, die Bundesanwaltschaft ermittelt. Moskau bestreitet jegliche Tatbeteiligung.
Mutmaßliche Kriegsverbrecher identifiziert
Die Ukraine hat nach Angaben ihres Generalstaatsanwaltes bislang 186 mutmaßliche russische Kriegsverbrecher identifiziert. Nur wenige von ihnen befänden sich aber bereits in Haft, teilte Generalstaatsanwalt Andriy Kostin in Den Haag mit. Es gebe Hinweise, dass seit Ausbruch des Krieges jede Art von Kriegsverbrechen begangen worden sei, wie Folter, Mord, Vergewaltigung oder Vertreibung. In 45 Fällen wurden die Ermittlungen nach Informationen von Kostin abgeschlossen und dem Gericht übergeben, 10 Personen wurden bereits verurteilt.
Zusätzlich wurden in anderen Staaten nach Angaben der europäischen Justizbehörde Eurojust 20 Ermittlungsverfahren eröffnet. Bei Eurojust war die internationale Sondereinheit zu Kriegsverbrechen im Ukrainekrieg zusammen gekommen. Sieben Länder und auch der Internationale Strafgerichtshof arbeiten bei den Ermittlungen zusammen. Zuletzt schloss sich am Donnerstag Rumänien der Gruppe an.
Ukraine und Russland tauschen Gefangene aus
Die Ukraine und Russland haben jeweils 20 Gefangene ausgetauscht. Der Chef des ukrainischen Präsidialamts, Andrij Jermak, sprach im Onlinedienst Telegram von "Momenten der Freude". Auf ukrainischer Seite seien 14 Soldaten, vier Mitglieder der Landesverteidigung, ein Mitglied der Nationalgarde und ein Angehöriger der Marine freigekommen. Das Verteidigungsministerium in Moskau bestätigte, 20 russische Soldaten seien von ukrainischem Gebiet zurückgekehrt.
Lindner weist Anschuldigung zurück
Bundesfinanzminister Christian Lindner wehrt sich gegen Kritik, der Ukraine zu wenig finanziell zu helfen. Deutschland sei innerhalb der EU der größte Geldgeber. Im Frühjahr sei ein Zuschuss von einer Milliarde Euro zugesagt worden. Dieses Geld sei sofort überwiesen worden. "Unser Geld fließt." Weitere Auszahlungen von Krediten würden nicht an Deutschland scheitern, so Lindner.
NATO: Belarus will sich nicht am Krieg beteiligen
Die Militärallianz NATO sieht aktuell keine Hinweise dafür, dass sich Belarus, einer der engsten Verbündeten Moskaus, aktiv am Angriffskrieg gegen die Ukraine beteiligen will. Trotz der Stationierung von Truppen an der Grenze zur Ukraine sei man noch immer der Ansicht, dass das Land nicht offiziell in den Krieg eingreifen wolle, sagte ein Vertreter des Militärbündnisses heute am Rande eines Verteidigungsministertreffens in Brüssel. Als einen möglichen Grund nannte er die dann drohenden Sanktionsmaßnahmen des Westens.
Lukaschenko hatte zuletzt die Bildung einer gemeinsamen regionalen Militäreinheit der Streitkräfte seines Landes mit der russischen Armee angekündigt. Aktiv nimmt das Zehn-Millionen-Einwohner-Land jedoch bisher nicht an Russlands Krieg teil.
Schmyhal: Russland will Kälte als Waffe einsetzen
Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal hat seine Landsleute aufgerufen, sich für den Winter mit warmer Kleidung, Kerzen und Taschenlampen einzudecken. Russland plane die Kälte als Waffe im Krieg einzusetzen, sagte der Regierungschef. Das Stromnetz funktioniere zwar im Moment normal, Ziel sei aber den Verbrauch an den Abenden um 25 Prozent zu reduzieren. Nach wie vor seien Reparaturen an der seit Montag von russischen Raketen getroffenen Energieinfrastruktur im Gange. Vorübergehende Stromausfälle seien nötig, um eine Überspannung zu verhindern.
Wieder Kamikaze-Drohnen über Kiew
Bei neuen russischen Luftangriffen sind nach ukrainischen Angaben Einrichtungen der kritischen Infrastruktur in der Region der Hauptstadt Kiew getroffen worden. Es habe sich wieder um Angriffe mit iranischen Kamikaze-Drohnen gehandelt, teilt der stellvertretende Chef des ukrainischen Präsidialamts, Kyrylo Tymoschenko, mit. Die Ukraine hat in den vergangenen Wochen eine Reihe von russischen Angriffen mit Shahed-136-Drohnen aus iranischer Produktion gemeldet, die auch als Kamikaze-Drohnen bezeichnet werden. Der Iran bestreitet, die Drohnen an Russland geliefert zu haben. Die Führung in Moskau äußert sich nicht dazu.
Zuvor meldete der ukrainische Generalstab weitere russische Raketen- und Luftangriffe auf Wohnhäuser und Objekte der zivilen Infrastruktur registriert. Zehnmal seien Mehrfachraketenwerfer eingesetzt worden. Von den getroffenen Zielen lagen demnach die meisten in den frontnahen Gebieten Saporischschja und Mykolajiw im Süden.
Großbritannien liefert Kiew Hochleistungsraketen
Die britische Regierung will erstmals Luftabwehrraketen vom Typ AMRAAM an die Ukraine liefern. Die Raketen, die in Verbindung mit dem von den USA versprochenen NASAMS Luftabwehrsystem zum Abschuss von Cruise Missiles geeignet sind, sollen in den kommenden Wochen in die Ukraine gebracht werden, teilte das Verteidigungsministerium mit. "Die Raketen werden dabei helfen, die kritische Infrastruktur der Ukraine zu schützen", hieß es in der Mitteilung. Zudem will London Hunderte weitere Luftabwehrraketen anderen Typs, 18 Artilleriegeschütze sowie Hunderte Aufklärungsdrohnen an die Ukraine liefern.
EU will Pässe aus annektierten Gebieten nicht anerkennen
Die EU-Staaten wollen russische Reisepässe, die in annektierten Gebieten der Ukraine ausgestellt worden sind, nicht anerkennen. Einen entsprechenden Beschluss fassten die ständigen Vertreter der 27 EU-Staaten in Brüssel. Gleiches soll demnach für die abtrünnigen Teilrepubliken Südossetien und Abchasien in Georgien gelten.
Die EU-Kommission hatte das Vorgehen Anfang September vorgeschlagen. Damit soll nach Ansicht der Behörde ein einheitlicher Ansatz gewährleistet werden. Als Nächstes müssen sich die EU-Staaten nun mit dem Europaparlament auf eine Position verständigen.
Befüllung deutscher Gasspeicher schneller als geplant
Die deutschen Gasspeicher haben inzwischen einen Füllstand von 94,97 Prozent erreicht und damit faktisch den für November angepeilten Stand von 95 Prozent. Dies geht aus Daten auf der Internet-Seite der europäischen Gas-Infrastruktur-Unternehmen hervor.
Bereits das Zwischenziel von 75 Prozent war Mitte August früher erreicht worden als geplant wie auch die Marke von 85 Prozent Anfang September. Die Speicherfüllung gilt als ein entscheidendes Element dafür, dass Deutschland ohne Gas-Abschaltungen durch den Winter kommt.
Druschba-Ölpipeline: Kein Hinweis auf Fremdeinfluss
Der polnische Pipeline-Betreiber PERN hat nach eigenen Angaben keine Anzeichen für einen Fremdeinfluss beim Leck in der Ölpipeline Druschba auf polnischem Staatsgebiet gefunden. "Die ersten Ergebnisse und die Methode der Verformung der Pipelines zeigen, dass es derzeit keine Anzeichen für eine Beeinträchtigung durch Dritte gibt", heißt es in einer Erklärung. Laut PERN ist die Hauptroute der Pipeline betroffen. Die zweite Leitung der Pipeline funktioniert den Angaben zufolge normal.
Die Druschba-Ölpipeline ist eine der größten der Welt und liefert russisches Öl in weite Teile Mitteleuropas - darunter nach Deutschland, Polen, Weißrussland, Ungarn, die Slowakei, die Tschechische Republik und Österreich. Sie versorgt auch die ostdeutsche Raffinerie Schwedt in Brandenburg, die sich mehrheitlich in der Hand des russischen Eigentümers Rosneft befindet. Deutschland will ab Jahresende kein russisches Öl mehr nutzen.
qu/AL/nob/AR/se/uh (dpa, rtr, afp)
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