Ukraine: Empörung nach Angriff auf Medizinzentrum
Veröffentlicht 6. August 2023Zuletzt aktualisiert 6. August 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Angriff auf medizinische Einrichtung in Kupiansk
- Kiew: 57 russische Luftangriffswaffen zerstört
- Medien: In Dschidda wird ein neuer Friedensplan diskutiert
- Kinder in der Ukraine nicht mehr sicher
- Zehntausende Russen nach Deutschland gekommen
Russland hat nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj das Land erneut mit Raketen- und Drohnenangriffen überzogen. In Kupiansk im Gebiet Charkiw im Osten der Ukraine sei ein Zentrum für Bluttransfusionen bombardiert worden, teilte der Staatschef mit. Es gebe Berichte über Tote und Verletzte. Rettungskräfte löschten das Feuer.
In Saporischschja sei ein Schlag gegen das Werk Motor Sich verübt worden, ergänzte Selenskyj in seiner am Samstagabend in Kiew verbreiteten Videobotschaft. Nach Darstellung Selenskyjs wurde auch die Region Chmelnyzkyj getroffen. "Ein Teil der Raketen wurde abgeschossen. Danke unseren Kämpfern der Luftverteidigung", sagte der Staatschef.
Die eigene Bevölkerung mahnte Selenskyj zur Ruhe. Die Zahl der russischen Attacken sei egal. Die Ukraine werde ihre Freiheit verteidigen. "Und Russland wird es nicht schaffen, das internationale Recht durch Terror oder Krisen oder irgendwelche Einschüchterungen zu ersetzen", betonte er.
Wolodymyr Selenskyj dankte in seiner Videobotschaft einmal mehr unter anderem Deutschland für die jüngsten Verteidigungspakete. Die Ukraine erwarte in der kommenden Woche neue Zusagen von Hilfspaketen von Verbündeten. "Je größer die Konsolidierung der Welt bei der Wiederherstellung eines gerechten Friedens ist, desto schneller wird den Bomben und Raketen, mit denen Moskau die Normen des internationalen Rechts ersetzen will, ein Ende gesetzt", sagte er.
Kiew: 57 russische Luftangriffswaffen zerstört
Die ukrainische Luftwaffe hat nach eigenen Angaben einen Großteil nächtlicher russischer Attacken abgewehrt. "30 Marschflugkörper und 27 Angriffsdrohnen wurden zerstört", erklärte das Militär am Sonntag auf Telegram. Demnach setzte Russland in mehreren Angriffswellen in der Nacht 70 Luftangriffswaffen ein, darunter auch drei Hyperschallraketen des Typs Kinschal. Ziel war unter anderem ein wichtiger ukrainischer Luftwaffenstützpunkt in der Region Chmelnyzkyj. Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, die eigenen Streitkräfte hätten Luftwaffenstützpunkte in den Regionen Chmelnyzkyj und Riwne in der Westukraine angegriffen und "alle Ziele getroffen".
Medien: In Dschidda wird ein neuer Friedensplan diskutiert
Bei den Gesprächen in Saudi-Arabien über ein Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist ein weiterer möglicher Friedensplan im Umlauf, wie die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf Diplomaten in der Hafenstadt Dschidda meldet. Gastgeber Saudi-Arabien habe mit weiteren Ländern einen solchen Plan vorgelegt, hieß es. Der Plan beinhalte die Unversehrtheit der Ukraine, eine Waffenruhe an allen Fronten, die Aufnahme von Friedensgesprächen unter UN-Aufsicht sowie den Austausch von Gefangenen. Zudem habe Saudi-Arabien die Führung in Moskau über den Verlauf der Gespräche informiert.
An dem Treffen in Dschidda am Roten Meer hatten am Samstag unter anderem politische und Sicherheitsberater von rund 40 Staats- und Regierungschefs teilgenommen. Darunter waren etwa Berater der Ukraine, der USA, der EU und Deutschlands sowie unter anderem aus China, Indien und der Türkei. Russland hatte keine Einladung erhalten. Saudi-Arabien pflegt gute Kontakte mit Russland wie mit der Ukraine und hat sich als Vermittler angeboten.
Die Plenumssitzung mit allen Teilnehmern ging nach Informationen der ARD am Samstagabend ohne Abschlusserklärung zu Ende. Einige Delegationen reisten am Sonntagmorgen ab. Aus Diplomatenkreisen in Riad hieß es jedoch zuvor, die Gespräche würden bis Sonntag dauern. Es würden weitere bilaterale Gespräche stattfinden, hieß es.
Russland kritisiert Konferenz in Dschidda als westlichen Einflussversuch
Russland geht zunehmend auf Distanz zu der internationalen Konferenz in Saudi-Arabien. Die Gespräche seien zum Scheitern verurteilt, erklärt Vizeaußenminister Sergej Rjabkow. Russland war zu den Gesprächen nicht eingeladen und hatte zunächst angekündigt, es beobachte die Entwicklungen. Nun bezeichnete Rjabkow nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Tass die Konferenz als sinnlosen und vergeblichen Versuch des Westens, Länder des globalen Südens auf die Seite der Ukraine zu ziehen.
Kiew sieht sich nach Gesprächen in Saudi-Arabien gestärkt
Durch die internationalen Beratungen über ein mögliches Kriegsende in Saudi-Arabien sieht die Ukraine in ihrer Position gefestigt. Das sagte der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, nach dem Treffen mit Vertretern aus etwa 40 Staaten in der Hafenstadt Dschidda. Es habe zwar unterschiedliche Auffassungen gegeben. Aber alle vertretenen Länder hätten sich zur UN-Charta, zum Völkerrecht, der Achtung der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der Staaten bekannt, sagte Jermak. "Genau auf diesen Grundsätzen basiert die Friedensformel von Präsident (Wolodymyr) Selenskyj, die wir ausführlich vorgestellt haben", erklärte Jermak nach Angaben des Präsidialamts in Kiew. Viele Länder hätten für sich schon überlegt, welche Rolle sie bei der Verwirklichung der Formel spielen könnten. Selenskyjs Plan sieht unter anderem den Abzug russischer Truppen aus der gesamten Ukraine vor, ein Tribunal gegen russische Kriegsverbrecher sowie Sicherheitsgarantien.
Baerbock pocht auf UN-Charta
Auch Außenministerin Annalena Baerbock begrüßte die Gespräche über eine Friedenslösung für die Ukraine an diesem Wochenende in Saudi-Arabien. "Jeder Millimeter Fortschritt in Richtung eines gerechten und fairen Friedens bringt ein Stück Hoffnung für die Menschen in der Ukraine", sagte die Grünen-Politikerin der "Bild am Sonntag".
"Das Signal von Dschidda ist: Dieser brutale russische Angriffskrieg betrifft auch die Menschen in Afrika, in Asien und in Südamerika", sagte Baerbock weiter. Der Krieg habe Auswirkungen deutlich über Europa hinaus - "von der Zukunft der internationalen Ordnung über Fragen der Energiesicherheit bis hin zu steigenden Getreidepreisen und der durch Russland so rücksichtslos verschlechterten weltweiten Nahrungsmittelversorgung." Der Blick auf den Krieg sei "aus Pretoria, Brasilia oder Peking ein anderer als aus Europa". Doch überall müsse "unser gemeinsames Verständnis die Charta der Vereinten Nationen sein", betonte die Außenministerin.
Hilfsorganisation: Kinder an keinem Ort sicher
In der Ukraine gibt es nach Einschätzung der SOS-Kinderdörfer keine Region mehr, in der Kinder sicher sind. "In einigen Gebieten kommt es permanent zu direkten Kampfhandlungen, andere werden mit Raketen beschossen und aus der Luft bombardiert", zitiert die Hilfsorganisation ihren Leiter in der Ukraine, Serhii Lukashov. "Überall sind Kinder in Gefahr." Immer wieder würden auch zivile Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser und Wohnblöcke beschossen. "Fast jeden Tag gibt es Opfer unter den Kindern", sagte Lukashov.
Laut SOS-Kinderdörfer wurden bis zum 17. Juli durch den russischen Angriff auf die Ukraine 494 Kinder getötet und 1.058 verletzt. Zu den körperlichen Verletzungen durch Beschuss und Minenexplosionen kämen Traumata. Kinder litten unter Angst und Panikattacken, Entwicklungsverzögerungen und Sprachstörungen. "Dieser Krieg ist gleichbedeutend mit körperlichem, sexuellem und emotionalem Missbrauch der Kinder", so Lukashov. "Er zerstört ihre Welt."
Sicherheitssekretär gibt sich siegessicher
Der nationale Sicherheitssekretär der Ukraine, Olexij Danilow, erklärte, man werde die Drohnenangriffe auf russische Ziele ausweiten. "Russische Ziele sind das beste Übungsgelände für ukrainische Waffen und Reklame auf dem weltweiten Rüstungsmarkt", schrieb der Sekretär des Nationalen Rates für Sicherheit und Verteidigung auf Twitter, das nun X heißt.
Der August sei bisher ein erfolgreicher Monat, meinte er mit Blick auf Treffer gegen russische Schiffe. "Mit jedem neuen Kampfeinsatz werden ukrainische Kampf- und Marinedrohnen immer präziser, das Bedienungspersonal wird erfahrener, die Kampfkoordination effektiver. Hersteller erhalten Möglichkeiten, die taktischen und technischen Eigenschaften zu verbessern", so Danilow. Er kündigte mehr Einsätze in weiterer Entfernung an.
Drohnenangriffe auf russische Schiffe
In der Nacht zu Samstag war ein russischer Tanker zwischen Russland und der von Moskau annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim von einer Seedrohne am Maschinenraum getroffen worden. Einsatzkräfte pumpten nach russischen Angaben Wasser aus dem Schiff, damit es nicht untergeht.
Schon am Freitag hatte eine Seedrohne Medien zufolge ein Schiff der Schwarzmeerflotte in Noworossijsk getroffen. Auf Bildern ist zu sehen, dass es Schlagseite hatte. Vor der Krim-Metropole Sewastopol wurde nach russischen Angaben eine ukrainische Seedrohne zerstört.
Russland wirft der Ukraine inzwischen immer wieder vor, seine Grenzregionen und Städte mit Drohnen anzugreifen, auch die Hauptstadt Moskau. Die Attacken stehen allerdings in keinem Verhältnis zu den russischen Angriffen mit Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen auf das Nachbarland seit Beginn des Kriegs vor mehr als 17 Monaten. Dabei sterben immer wieder viele Menschen oder werden verletzt.
Russen zieht es nach Deutschland
Seit Beginn des Ukraine-Krieges sind mehrere zehntausend Russen nach Deutschland gezogen. Ende Juni lebten 301.511 russische Staatsangehörige in Deutschland, wie die "Welt am Sonntag" unter Berufung auf das Bundesinnenministerium berichtet. Das sind 32.183 mehr als Ende Februar 2022, als Russland die Ukraine überfiel. Die Zahlen stammen den Angaben zufolge aus de Ausländerzentralregister. Dort sind Ausländer gespeichert, die sich nicht nur vorübergehend im Land aufhalten.
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, die deutschen Konsulate hätten seit Kriegsbeginn "circa 32.000 nationale Visa" an russische Staatsangehörige ausgestellt. Diese dienen "grundsätzlich einem längeren Aufenthalt und der Migration" und betreffen vor allem Fachkräfte, Familiennachzug oder Studenten. Zudem seien "mehr als 51.000" sogenannte Schengen-Visa an russische Staatsangehörige ausgestellt worden. Damit sind Kurzzeitaufenthalte bis zu drei Monaten in der EU möglich.
haz/ack/se/kle/uh (dpa, rtr, kna, afp, ap)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.