Ukraine-Gipfel ohne Illusionen
2. Oktober 2015Bei der Begrüßung auf den Treppen des Élyséepalastes war der ukrainische Präsident Petro Poroschenko noch einigermaßen optimistisch. Er hob seinen Daumen und drückte Gastgeber Francois Hollande zuversichtlich. "Wir werden heute hier nicht übernachten", versicherte Hollande dem Gast aus der Ukraine. Er bezog sich auf den letzten Gipfel dieser Art in Minsk im Februar. Damals brauchten die vier Teilnehmer 16 Stunden, um einen Waffenstillstandsabkommen für die Ost-Ukraine zu entwerfen.
Während Hollande und Poroschenko draußen Höflichkeiten austauschten, verhandelte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Innern des Palastes. Dem eigentlichen Vierer-Gipfel im so genannten Normandieformat gingen mehre bilaterale Gespräche voraus, um auszuloten, wo der russische Präsident in der Ukraine-Krise und vor allem auch in der Syrienfrage steht. Der ukrainische Präsident musste bald erkennen, dass seine Anliegen von der Zuspitzung der Lage in Syrien überschattet wurden.
Keine Verbindung zwischen Syrien und Ukraine?
Zwar erklärten sowohl Putin als auch Merkel und Hollande, dass die Ukraine und Syrien nichts miteinander zu tun hätten, französische Diplomaten sagten jedoch, dass eigentlich allen klar sei, dass es durch die Entwicklungen der letzten Tage doch eine Verbindung geben würde. Russland hatte damit begonnen, die syrische Führung mit Luftangriffen zu unterstützen. Die USA und die westlichen Alliierten warfen Russland in einer scharfen Erklärung vor, die russischen Bomben würden nicht nur Terroristen des "Islamischen Staates", sondern auch andere Rebellengruppen und Zivilisten töten.
Ob Merkel und Hollande diesen Protest gegenüber Präsident Putin in ihren bilateralen Begegnungen wiederholten, blieb auch nach der gemeinsamen Pressekonferenz von Bundeskanzlerin und französischem Präsidenten unklar. Merkel sagte nur, man brauche für Syrien einen politischen Prozess. Eine militärische Lösung reiche nicht aus. "Da stehen wir aber noch ganz am Anfang", so Merkel.
Putin hatte bereits vor den Vereinten Nationen in New York erklärt, er werde an der Seite von Syriens Machthaber Assad gegen "den Islamischen Staat und andere Terroristengruppen" kämpfen. Frankreich hatte selbst erst vor wenigen Tagen begonnen, Stellungen der islamistischen Terrormiliz in Syrien anzugreifen.
Das erklärte Ziel von Präsident Hollande ist es außerdem, Syriens Machthaber Baschar al-Assad aus dem Amt zu jagen. Ob und wie Hollande und Putin ihre diametral gegensätzlichen Positionen annähern konnten, blieb offen. "Wir haben sehr definitiv gesagt, dass der "Islamische Staat" der Feind ist, der zu bekämpfen ist", sagte Bundeskanzlerin Merkel. Die Oppositionsgruppen, die gegen das Assad-Regime vorgingen, "haben meine Unterstützung".
Wahlen sollen verschoben werden
Belastet wurden die Gespräche über die Einhaltung des Minsker Abkommens für die Ukraine von der Nachricht, dass Russland offenbar moderne Mehrfachraketenwerfer vom Typ "Buratino" in die Gebiete der Moskau-treuen Rebellen in der Ostukraine gebracht hat. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) teilte mit, sie habe die schweren Waffen auf einem Übungsgelände der Rebellen entdeckt. Eigentlich war vereinbart, dass schwere Waffen auf beiden Seiten abgezogen werden sollen.
Die Regierung der Ukraine geht davon aus, dass der mehrfach verschobene Abzug, der schon im Februar vereinbart wurde, nun am kommenden Samstag beginnt. Die OSZE soll die Aktion überwachen. Der russische Präsident bestreitet offiziell, dass er die Russisch sprechenden Rebellen im Osten der Ukraine mit Waffen oder Personal unterstützt. Die Ukraine und der Westen werfen ihm vor, den Krieg zu steuern. "Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, sollte mit den Raketenwerfern wohl alles gesagt sein", so ein französischer Diplomat in Paris. Immerhin halte ein zuvor brüchiger Waffenstillstand seit einigen Wochen, hob Bundeskanzlerin Angela Merkel hervor.
Die Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten brachten keinen Durchbruch bei strittigen Fragen, aber man habe noch einmal die Reihenfolge der jetzt nötigen Schritte geordnet. Die umstrittenen Regionalwahlen in der Ost-Ukraine sollen verschoben werden. Die Separatisten hatten sie einseitig auf den 18. Oktober gelegt. Frankreichs Präsident Francois Hollande sagte, Russland wolle sich jetzt dafür einsetzen, dass die Wahlen wie vereinbart unter ukrainischem Recht stattfinden könnten. Das Problem solle die zuständige Arbeitsgruppe lösen. Die Verlegung der Wahlen war besonders dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko wichtig. "Ich bin nach den Gesprächen vorsichtig optimistisch", sagte er beim Verlassen des Élysée-Palastes.
"Keiner hält sich zu 100 Prozent an das Abkommen von Minsk"
"Wir hatten ja keine Illusionen, dass das alles plötzlich ganz schnell und ohne Reibung geht", beschrieb Bundeskanzlerin Merkel die Gespräche in der Vierer-Gruppe. Man werde mehr Zeit brauchen als ursprünglich geplant. Schließlich habe auch die Einhaltung des Waffenstillstandes länger gedauert als in Minsk vorgesehen, merkte der französische Präsident Francois Hollande an. "Bislang hat sich keine der beiden Seiten zu Hundert Prozent an das Abkommen gehalten", sagte Merkel auch mit Blick auf die ukrainische Regierung.
Der ukrainische Präsident Poroschenko hatte während der UN-Vollversammlung am Dienstag schwere Vorwürfe gegen Russland erhoben. Russland sei der Aggressor. Erst hätten die grünen Männchen, gemeint sind russische Spezialkräfte ohne nationale Abzeichen, die Ukraine betreten, jetzt sei Syrien dran. "Wer wird der nächste sein", fragte Poroschenko.
Der russische Präsident reiste ohne offizielle Stellungnahme aus Paris ab. Die abschließende Pressekonferenz bestritten nur die beiden Vermittler Hollande und Merkel. Garantien, dass die in Paris getroffenen Vereinbarungen auch umgesetzt werden, gebe es nicht, bestätigte die Bundeskanzlerin. "Die hat man erst, wenn es wirklich auch gemacht worden ist."
Friedensnobelpreis ist für Merkel kein Thema
Die schweren Kronleuchter, die roten Brokatvorhänge, der goldene Stuck und der glänzende Marmor im Élysée-Palast boten einen üppigen Rahmen. Aber die Ergebnisse blieben eher mager, meinte ein Diplomat, als Merkel und Hollande die Bühne im Pressesaal wieder verließen. Auf die Frage eines französischen Journalisten, ob sie für ihr Engagement für die Flüchtlinge in Deutschland mit dem Friedensnobelpreis rechne, antwortete Angela Merkel nur kopfschüttelnd: "Die Presse vergibt den Friedensnobelpreis ja nicht. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit. Da gibt es genug zu tun."