"Hoffentlich nie wieder Krieg in Borodjanka"
12. April 2022Die Zerstörungen von Wohngebäuden sind deutlich größer als in anderen Ortschaften der Region Kiew. Gleich zu Beginn der russischen Invasion gab es in Borodjanka heftige Kämpfe. Die kleine Stadt mit ihren 13.000 Einwohnern liegt rund 50 Kilometer nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt.
Anfang April wurde Borodjanka von der russischen Besatzung befreit. Die ukrainischen Behörden organisierten daraufhin für Vertreter ausländischer Medien, zu denen auch die DW gehörte, einen Besuch vor Ort. Die Journalisten sollen sich selbst ein Bild davon machen, welche Folgen die Kämpfe und die russische Besatzung haben.
Als sie in Borodjanka eintreffen, gilt noch in der gesamten Region eine verschärfte Ausgangssperre, daher sind die Straßen der Stadt fast menschenleer. Im Zentrum von Borodjanka, wo sich Wohnhäuser, Verwaltungsgebäude, Cafés und Restaurants befinden, sind viele Ruinen zu sehen, zerstört von russischem Beschuss und Bombenangriffen. Die Straßen säumen umgestürzte Bäume und ausgebrannte Autos.
Wohnhäuser wahllos bombardiert
Petro Kisiljow vom ukrainischen Katastrophenschutz sagt, das Zentrum von Borodjanka sei zu mehr als 90 Prozent zerstört. Die Bestandsaufnahme ist noch nicht abgeschlossen. Kisiljows Mitarbeiter beseitigen nun Trümmer. Er betont, in Borodjanka habe es keine Kasernen des ukrainischen Militärs gegeben, weder Lager noch Einrichtungen von strategischer Bedeutung: "Die russischen Truppen sind einfach barbarisch gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen."
Allein entlang der Hauptstraße von Borodjanka sind von einem Dutzend Wohnblöcke nur noch Schutt und Asche übrig. Bewohner der Stadt sagen gegenüber der DW, russische Bomber hätten gleich zu Beginn des Krieges im Tiefflug Raketen auf die Gebäude abgefeuert. "Militärisch ergibt das überhaupt keinen Sinn", unterstreicht Anton Heraschtschenko, Berater des ukrainischen Innenministers, der die Journalisten in Borodjanka begleitet. "Die russischen Piloten haben wahllos bombardiert."
Trümmer wurden zu Massengräbern
Der Innenminister der Ukraine, Denys Monastyrskyj, sagt bei einem Briefing für die Journalisten, was hier passiert sei, sei "eine der größten Tragödien in der Ukraine". Borodjanka sei einer der am stärksten von der russischen Aggression betroffenen Orte in der Region Kiew.
Unter den Trümmern werden nach Angaben des Ministers noch Leichen vermutet. "Rettungskräfte hatten schon vor einem Monat versucht, Trümmer zu beseitigen, aber sie wurden samt ihrer Ausrüstung vom Feind beschossen", so Monastyrskyj. Damals sei es vielleicht noch möglich gewesen, Menschen lebend zu bergen. Alle Rettungsversuche wären aber unter dem tagelangen russischen Beschuss gescheitert. Letztlich hätten die ukrainischen Helfer gar keinen Zugang mehr zu den zerstörten Gebäuden gehabt. Die Such- und Rettungsaktionen konnten Monastyrskyj zufolge erst nach der Befreiung von Borodjanka Anfang April wieder aufgenommen werden.
"Uns ist klar, dass es jetzt keine Überlebenden mehr unter den Trümmern gibt. Das ist ein weiteres Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das das russischen Militär vorsätzlich begangen hat, denn es gab hier keine Kasernen oder militärisches Gerät, sondern nur Wohnhäuser und einen Kindergarten", betont auch der ukrainische Innenminister. Sein Berater Anton Heraschtschenko fügt hinzu, die zerstörten Gebäude seien für viele Ukrainer faktisch zu Massengräbern geworden.
Luftschutzkeller waren keine Rettung
"Wenn man einen Flieger sieht, kann man sich nur noch hinlegen und beten, damit man nicht von einer Bombe getroffen wird", sagt Olha, die in Borodjanka lebt. Als die neunstöckigen Wohnhäuser nach den Angriffen einzustürzen drohten, seien die Bewohner mit Bussen in andere Orte der Region evakuiert worden. "Die Menschen hatten große Angst", erzählt Olha. "Die Luftschutzkeller waren keine wirkliche Rettung, denn durch die Zerstörung der Häuser wurden auch die Keller mit den Menschen darin verschüttet. Das war sehr schlimm."
Solch massive Kampfhandlungen habe sie bisher nur in Filmen gesehen. "Krieg ist etwas sehr Schreckliches. Ich habe nur noch für Frieden gebetet, damit nicht weiter geschossen wird. Das alles ist fürchterlich. Ich war ständig in Sorge, war angespannt und stand unter Schock", erinnert Olha sich. "Hoffentlich kommt der Krieg nie wieder nach Borodjanka zurück."
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk