1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ukraine: Klima als weiteres Opfer des Krieges

Stuart Braun
12. Juni 2023

Ein Jahr nach der russischen Invasion in die Ukraine hat der Krieg so viele Emissionen verursacht wie die gesamten Emissionen von Belgien, sagen Experten.

https://p.dw.com/p/4SJ2f
Kämpfe und Zerstörung um ein Haus
Der Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur verursacht besonders viele Emissionen Bild: UKRAINIAN ARMED FORCES/REUTERS

Die andauernde russische Invasion in der Ukraine hat große Schäden angerichtet, nicht nur mit Blick auf die zivilen und militärischen Opfer und die Zerstörung von Häusern, Infrastruktur und Umwelt, sondern auch für das Klima. 

Während der gebrochene Staudamm in der Ukraine ein offenkundiger Beweis für die katastrophalen Folgen des Krieges sind, beziffert ein neuer Bericht die weniger offensichtlichen Emissionen durch den Konflikt. Die Studie zeigt: die Klimaziele könnten durch den Ukrainekrieg gefährdet sein.

Der Bericht der Initiative on GHG Accounting of War schlüsselt die konfliktbedingten Emissionen auf, die über die direkte Kriegsführung hinausgehen. Er wurde in Bonn auf der Vorbereitungskonferenz führender Klimaschützer und Diplomaten für den diesjährigen UN-Klimagipfel in den Vereinigten Arabischen Emiraten veröffentlicht.

Die in Europa ansässige Forschungsgruppe analysierte mehrere Sektoren, darunter Emissionen durch kriegsbedingte Brände, die Infrastruktur und Umwelt zerstören, die Zerstörung von Kohlenstoffsenken, den Wiederaufbau nach Konflikten, sowie Emissionen, die durch Fluchtbewegungen entstehen. 

In den ersten zwölf Monaten des Ukraine-Krieges beliefen sich die Emissionen laut Studie auf insgesamt 120 Millionen Tonnen CO2. Das ist etwas weniger als die jährlichen Treibhausgasemissionen von Belgien. Das Land hatte 2019 EU-weit den siebthöchsten Ausstoß klimaschädlicher Gase.

Der Bericht mit dem Titel "Klimaschäden durch Russlands Krieg in der Ukraine" befasst sich auch mit den Klima-Auswirkungen nach dem Ende des Krieges.

Mit einem "aggressiven Nachbarn im Osten" werde Europa stark aufrüsten müssen, um eine "ausreichende Abschreckung" zu schaffen, so der Hauptautor, Lennerd de Clerk. Ein stärkeres Militär in Europa werde dazu führen, dass "die Emissionen in einer Zeit steigen, in der sie sinken müssen", sagte er im Interview mit der DW. Gleichzeitig werde ein massives Wiederaufbauprogramm die Emissionen noch weiter erhöhen. 

Mann steht vor zerstörtem Haus
Vertreibung und Wiederaufbau sind nur einige von vielen Emissionstreibern des Krieges Bild: Sameer Al-Doumy/AFP

Der Wiederaufbau erzeugt weitere Emissionen 

Auf den Wiederaufbau entfielen im ersten Jahr des Krieges rund 42 Prozent der gesamten Konfliktemissionen. Da in der Regel "sehr kohlenstoffintensiver" Beton und Stahl beim Neubau und der Sanierung von Gebäuden genutzt werden, sei der Wiederaufbau die bei weitem größte Emissionsquelle, so de Clerk. 

Der mit dem Wiederaufbau von Gebäuden verbundene Fußabdruck ist dabei die größte Quelle für die im Bericht als "zivile Infrastruktur” bezeichneten Emissionen, gefolgt von Verkehr und Infrastruktur, wie zum Beispiel dem Bau von Straßen. Angriffe auf die Energieinfrastruktur während der Wintermonate erhöhten die damit verbundenen Emissionen ebenfalls erheblich, erklärte de Clerk.

Russland verursacht am meisten Treibhausgase im Ukraine-Krieg 

Die zweithöchste Emissionsquelle ist die eigentliche Kriegsführung, hauptsächlich durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe wie Diesel und Benzin. De Clerk merkt an, dass wegen mangelnder Transparenz der beiden beteiligten Armeen keine genauen Daten zum Verbrauch fossiler Brennstoffe ermittelt werden konnten. Die Forscher mussten deshalb auf vergleichbare Daten zurückgreifen. 

Dem Bericht zufolge verursacht der Krieg fast 22 Millionen Tonnen CO2. Weniger als 14 Prozent entfallen davon auf die Herstellung von Munition und militärischer Ausrüstung. Die Emissionen eines Marschflugkörpers zum Beispiel sind dabei relativ gering, zumindest im Vergleich zur massiven Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen für die Fortbewegung im Krieg. Der Verbrauch ist in den russischen Armee sogar noch höher, das die sie auf veraltete und "extrem ineffiziente" Ausrüstung zurückgreift - darunter Panzer aus den 1960er Jahren.

Im ersten Kriegsjahr wurden 64 Prozent der Emissionen durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe russischer Streitkräfte verursacht. Der Ukrainekrieg ist vor allem ein Bodenkrieg. Dieselkraftstoff ist deshalb die Hauptquelle der Emissionen. Im Irakkrieg war im Vergleich dazu Kerosin, also Flugbenzin, die Hauptquelle der CO2-Emissionen.

Ukrainische Panzer bei Bachmut
Vor allem der Treibstoffverbrauch macht große Teile der Konfliktemissionen ausBild: Libkos/AP Photo/picture alliance

Militärische Emissionen im Krieg nicht transparent 

Lennerd de Clerk nimmt an den Bonner Klimaverhandlungen als Teil eines Konsortiums von Forschern teil, die sich für die Aufnahme von Kohlenstoffbilanzen in den "Global Stocktake" einsetzen. Das ist eine Bestandsaufnahme klimaschädlichen Emissionen von Ländern, durch die künftig deren Fortschritte beim Klimaschutz sichtbar werden sollen. Der "Global Stocktake" soll bei der kommenden Klimakonferenz COP28 in Dubai Ende diesen Jahres beschlossen werden.

Die Bemessung von Emissionen von laufenden Konflikten ist schwierig. Die Forscher haben sich deshalb bisher vor allem auf den Fußabdruck des weltweiten regulären Mililtärbetriebs konzentriert.

"Mit einem Anteil von 5,5 Prozent an den globalen Emissionen haben die großen, von fossilen Brennstoffen abhängigen Militärs der Welt einen bedeutenden Anteil an einer Senkung der Emissionen und der Begrenzung des Klimawandels", so Deborah Burton, Expertin für Konfliktemissionen bei der in den USA ansässigen gemeinnützigen Organisation Tipping Point North South. Diese Zahl sei wahrscheinlich aber noch viel höher. 

"Derzeit besteht nur die Verpflichtung, Daten über den militärischen Treibstoffverbrauch zu melden, und das auf freiwilliger Basis", ergänzt Linsey Cottrell vom Conflict and Environment Observatory (CEOBS), einer in Großbritannien ansässigen Nichtregierungsorganisation. Treibstoffverbrauch durch Armeen, Brände, der Einsatz von Munition und Schäden an der Infrastruktur sowie des gesamte Wiederaufbaus, seien in der UN-Emissionsbilanz bisher gar nicht enthalten. 

Laut einem Bericht von CEOBS verursachte beispielsweise 2018 die Armee des Vereinigten Königreichs tatsächlich etwa dreimal mehr Emissionen als die 11 Millionen Tonnen CO2, die offiziell angegeben wurden.

Klimaziele durch Kriegsemissionen erheblich gefährdet 

Die jährlichen Emissionen des US-Militärs, der größten Armee der Welt, sind mittlerweile höher als die nationalen Emissionen von ganzen Ländern wir etwa Schweden oder Dänemark, das hatten Forscher schon 2017 berechnet. Und im Jahre 2020 hätten die reichen Länder sechsmal mehr für das Militär ausgeben als für die öffentliche Klimafinanzierung, so Burton. 

Die Emissionen, die durch Kriege verursacht werden, machen die Folgen für das Klima noch schlimmer. "Die Vielzahl an Emissionsquellen, die mit der Führung eines Krieges verbunden sind, gefährdet die Klimaziele erheblich", so Cottrell. "Wir wollten zeigen, dass dieser Akt der Aggression nicht nur Auswirkungen auf die Ukrainer hat, sondern auf uns alle", so Studienautor de Clerk.

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.