Ukraine-Konferenz: Russland muss für Schaden zahlen
3. April 2024"Schätzungsweise 155 Milliarden Dollar - so hoch sind die Kosten für die Schäden, die bis Januar dieses Jahres an der Infrastruktur der Ukraine entstanden sind." Das machte die niederländische Außenministerin Hanke Bruins Slot bei der Eröffnungszeremonie der Konferenz zur "Wiederherstellung der Gerechtigkeit für die Ukraine" an diesem Dienstag in der niederländischen Hauptstadt Den Haag deutlich. Außerdem lägen mehr als 200.000 Gebäude, fast 4000 Schulen und um die 400 Krankenhäuser in Trümmern oder seien völlig zerstört.
Nach Angaben der Europäischen Union wird geschätzt, dass die Ukraine für den Wiederaufbau in den nächsten zehn Jahren rund 450 Milliarden Euro benötigen wird. Schwerer als die Frage der Zerstörung wiegt bei der Konferenz in Den Haag in den Niederlanden allerdings die Frage, wie Russland dafür zur Verantwortung gezogen werden kann. Eine Diskussion, die auch unter dem Eindruck des zweiten Jahrestages der Befreiung von Butscha stattfand. Nach dem Abzug russischer Truppen waren in der Stadt im Osten der Ukraine mehr als 400 Leichen gefunden worden, teils mit auf den Rücken gebundenen Händen.
"Vor zwei Tagen war ich in Butscha - in einer Stadt, die ein Symbol des russischen Bösen für den gesamten Krieg wurde. Sie alle erinnern sich, wie die Straßen Butschas aussahen, nachdem die russischen Besatzer von dort vertrieben wurden", richtete sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an die Teilnehmer per Videobotschaft. Die Anwesenden rief er dazu auf, bei ihrem Einsatz für die Ukraine und die Gerechtigkeit für sein Land nicht nachzulassen.
Insgesamt sind nach Angaben des ukrainischen Generalstaatsanwalts Andriy Kostin derzeit mehr als 125.000 Fälle mutmaßlich begangener Kriegsverbrechen anhängig. Darunter zahlreiche auch wegen der Vorfälle in Butscha vor rund zwei Jahren. Russland streitet die Vorfälle ab und behauptete, bei den Bildern habe es sich um Inszenierungen gehandelt.
Bei der Konferenz in Den Haag waren fast 60 Regierungsvertreter anwesend - viele aus europäischen Staaten, aber auch aus anderen Staaten wie den USA, Japan und Kanada. Sie kamen mit Vertretern des Europarates, der EU-Institutionen und des Internationalen Strafgerichtshofs sowie mit Vertretern des Justizwesens der Ukraine zusammen.
Am Ende des Tages stand eine politische Abschlusserklärung von 44 Staaten, nach der Russland für seine Handlungen zahlen und wegen seines Angriffskriegs auf die Ukraine zur Verantwortung gezogen werden müsse. "Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Ära russischer Straflosigkeit zu beenden", betonte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bei der abschließenden Pressekonferenz.
Schäden an Wohnhäusern können ab jetzt registriert werden
Als eines der Ergebnisse begrüßten die Konferenzteilnehmer, dass von nun an Ukrainerinnen und Ukrainer per Smartphone Schäden an Wohnhäusern melden können. Möglich ist dies mit einer App, die im Land bereits für elektronische Behördengänge genutzt wird.
Bereits vergangenes Jahr wurde bei einem Gipfel des Europarates das Schadensregister für die Ukraine ins Leben gerufen. Nach Angaben des Europarates wird erwartet, dass 300.000 bis 600.000 Ansprüche geltend gemacht werden. Eine Möglichkeit, weitere Schäden anzumelden, soll in weiteren Schritten folgen. Im Laufe des Tages seien bereits mehr als 100 Schäden registriert worden, teilte Gastgeberin Bruins Slot zum Ende der Konferenz mit.
Geklärt ist allerdings noch nicht die Frage, wie die Schäden kompensiert werden sollen. Der Kompensationsmechanismus muss nämlich noch geschaffen werden. Das Geld für Ausgleichszahlungen müsse - nach geltendem internationalen Recht - aus Russland kommen, sagte Markiyan Kliuchkovskyi der DW. Er ist Geschäftsführer des Schadensregisters für die Ukraine. Die Frage, wie das genau geschehen solle, sei noch offen.
Laut Bruins Slot habe die Konferenz weitere politische Führung gegeben, wie ein solcher Kompensationsmechanismus aussehen könnte. Es werde auch die Frage diskutiert werden, ob und inwiefern eingefrorene russische Vermögenswerte oder zumindest deren Erträge verwendet werden können, so die niederländische Außenministerin.
Sondertribunal für das Verbrechen der Aggression
Eine weitere offene Frage ist die Einrichtung eines sogenannten Sondertribunals für die Ukraine, bei dem das Verbrechen der Aggression - also das Beginnen eines Angriffskrieges - behandelt werden soll. Während der ukrainische Außenminister Kuleba am Morgen noch sagte, dass es bei dieser Frage derzeit keine Fortschritte gebe, freute er sich bei der Abschlusspressekonferenz über die Unterstützung der Teilnehmer. In der Abschlusserklärung erklärten die 44 Unterzeichner, dass sie weiterhin entschlossen seien, auf die Einrichtung eines Sondertribunals für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression hinzuarbeiten.
Didier Reynders, Justizkommissar der EU-Kommission, zeigte sich im Interview mit der DW zuversichtlich, dass ein solches Sondertribunal bis zum Ende des Jahres errichtet werden kann. Dies sei aber noch ein langer Weg. Laut Dmytro Kuleba gibt es derzeit noch unterschiedliche Auffassungen über die Frage, ob und wie man die Immunität der russischen Führungselite aufheben kann.
Laufende Verfahren wegen Kriegsverbrechen
Bereits jetzt werden Kriegsverbrechen in der Ukraine geahndet, wie der ukrainische Generalstaatsanwalt Andriy Kostin auf der Konferenz berichtete. 551 Personen, die für das Begehen von Kriegsverbrechen verdächtigt werden, seien identifiziert worden. Davon seien 374 angeklagt worden und 104 durch ukrainische Gerichte verurteilt wurden.
Auch der internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat bereits vier internationale Haftbefehle gegen russische Akteure erlassen, einen davon gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen.