Poroschenko und Klitschko unter Druck
31. Juli 2019Das ukrainische Verb "sadschaty" bedeutet "pflanzen", aber auch "hinter Gitter bringen". Das Wortspiel war Teil des Wahlkampfs des früheren TV-Comedian und jetzigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der so mehr oder weniger deutlich korrupten Politikern mit Strafverfolgung gedroht hatte. Wenige Tage nachdem seine Partei Diener des Volkes bei der vorgezogenen Parlamentswahl Ende Juli die absolute Mehrheit bekam, hat sich die ukrainische Justizmaschinerie in Bewegung gesetzt. Fast täglich kommen neue Berichte über Ermittlungen im Umfeld des früheren Präsidenten Petro Poroschenko. Der bisherige Höhepunkt war seine Vorladung am 25. Juli beim Staatlichen Ermittlungsbüro. Poroschenko, der nach seiner Abwahl als Präsident noch Parlamentsabgeordneter ist, sagte als Zeuge in einem Verfahren über mutmaßliche Steuerhinterziehung beim Verkauf seiner Schiffbaufirma aus. Poroschenko sprach von "Unterstellungen".
Portnow gegen Poroschenko
Angestoßen wurden die Ermittlungen von Andrij Portnow, ehemals stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung unter dem nach Russland geflüchteten Viktor Janukowitsch. Auch Portnow verließ die Ukraine 2014 Richtung Moskau, zog dann in den Westen und kehrte vor der Amtseinführung Selenskyjs zurück. Portnow betreibt eine Art Kreuzzug gegen Poroschenko und stellte beim Ermittlungsbüro mehrere Anzeigen gegen Poroschenko, darunter eine wegen Hochverrats.
Auch der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, ein ehemaliger Mitstreiter Poroschenkos, wurde Ende Juli vorgeladen. Es ging um angebliche Geschäfte mit kommunalen Grundstücken. Klitschko kam nicht und nannte die Anschuldigungen eine Lappalie. Fast gleichzeitig wurde bekannt, dass Präsident Selenskyj bei der Regierung die Entlassung Klitschkos aus dem Amt des Chefs der Kiewer Stadtverwaltung beantragt hatte. Der frühere Boxweltmeister vereint derzeit beide Posten. Auch im Nationalen Antikorruptionsbüro sollen Verfahren anhängig sein, in denen die Namen Poroschenko und Klitschko eine Rolle spielen.
Formal hat Selenskyj nichts damit zu tun. Der neue Präsident meidet direkte Drohungen gegen Poroschenko und seine Mitstreiter. Und doch wird in der Ukraine die Frage gestellt, ob es eine Verbindung mit Portnows Vorgehen gebe. In einem Interview nannte Andrij Bohdan, Präsidialamtschef unter Selenskyj, Portnow "einen langjährigen Freund". Auf die Frage, ob Portnows Vorgehen mit dem Präsidialamt abgesprochen sei, sagte Bohdan, das sei Portnows "selbständige Tätigkeit". "Ich kenne die Anträge nicht, doch ich denke, da ist viel Wahres dran", so Bohdan.
Strafverfolgung hochrangiger Politiker
Selenskyj ist nicht der erste ukrainische Präsident, der die Strafverfolgung von Eliten zum Wahlkampfthema machte. 2004 versprach etwa Viktor Juschtschenko "Gefängnisse für Banditen". Getan hat er wenig. Sein Nachfolger Viktor Janukowitsch drohte nicht, doch während seiner Amtszeit landeten zwei prominente Oppositionspolitiker hinter Gittern: Julia Tymoschenko und Juri Luzenko. Es gab Kritik aus dem Westen und Vorwürfe, dies sei politisch motivierte Justiz.
Während Poroschenkos Präsidentschaft verbrachte nur ein politisches Schwergewicht drei Jahre in Untersuchungshaft: Oleksandr Jefremow, ehemaliger Fraktionschefs der Janukowitsch-Partei. Der Vorwurf: Hilfe für die Separatisten in der Ostukraine. Im Juli kam Jefremow frei, blieb jedoch unter Hausarrest. Poroschenkos Versprechen, besonders hart gegen die Korruption in der Armee vorzugehen und "Arme abzuschlagen", blieb größtenteils unerfüllt.
Die Sehnsucht der Ukrainer nach Strafverfolgung
Der neue Präsident Selenskyj ist stärker als seine Vorgänger, denn er hat eine absolute Mehrheit im Parlament hinter sich. Diese Mehrheit will er nutzen, um bald die Abgeordnetenimmunität aufzuheben. Das würde den Weg für Strafverfolgung freimachen, auch gegen Poroschenko. Offenbar wollen jetzt viele Ukrainer Politiker auf der Anklagebank sehen.
"Eine Sehnsucht in der Gesellschaft gibt es und hat es immer geben", sagt Olexij Haran, Politik-Professor an der Kiew-Mohyla Akademie. Das habe auch mit der passiven Haltung der Justiz unter Poroschenko zu tun. "Ich glaube, Selenskyj wird in großer Versuchung sein, so etwas wie Schauprozesse zu veranstalten", so Haran. Die wichtigste Frage werde dabei lauten, "ob es im Einklang mit rechtsstaatlichen Normen passiert - oder ob es selektive Justiz sein wird". Ankündigungen im Wahlkampf und die Vorladungen von Poroschenko und Klitscko seien "ein Besorgnis erregendes Signal".
Warnung vor Schwachstellen in der Justiz
Poroschenko weist alle Vorwürfe von sich und hält sich mit Kritik an seinem Nachfolger Selenskyj auffällig zurück. Befürchtungen, es könne "politisch motivierte" Verfahren gegen ihn geben, äußerte bisher vor allem seine Partei "Europäische Solidarität".
Wilfried Jilge von der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik (DGAP) warnt vor einer "gefährlichen Tendenz". "Grundsätzlich ist es richtig, dass sich der Präsident Fragen der Korruptionsbekämpfung widmet. Die Frage ist, wie er das macht", sagt Jilge. "Auffällig ist, dass Selenskyj permanent die Vergehen von Poroschenko und anderer Politiker und Amtsträger kritisiert, die unter Poroschenko Posten besetzt haben. Andere blendet er aus." Außerdem werde der Kampf gegen Korruption "zum Teil wie ein öffentliches Theater" aufgeführt. Jilge erinnerte an einen Besuch Selenskyj in der Stadt Dnipro, bei dem er zusammen mit seinem Amtschef Bohdan medienwirksam den Kiewer Bürgermeister Klitschko angerufen hatte und fragte, warum die Stadt Kiew gekaufte Straßenbahnen nicht bezahlt habe.
Das Gerichtssystem in der Ukraine sei nicht vollständig reformiert, und es bestehe die Gefahr, dass "mit diesen öffentlichen Inszenierungen Gerichte nach dem Wind der Macht entscheiden", so der Experte. Sein Appell: Bei jedem Verdacht, dass der Kampf gegen Korruption politisiert würde, müsse man darüber reden, um es zum unterbinden.