Fehleranalyse in der Ukraine
7. April 2016Es war vorhersehbar und doch habe man "auf ein etwas besseres Ergebnis gehofft", räumte der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin am Donnerstag in Tokio ein, wo er den Präsidenten Petro Poroschenko auf dessen Japan-Besuch begleitet. Noch vor wenigen Tagen radelte Klimkin medienwirksam durch niederländische Städte und warb für ein Ja beim Referendum über das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union. Das Ergebnis am späten Mittwochabend war für die Ukraine niederschmetternd. Mit einer klaren Mehrheit (rund 61 Prozent) stimmten die Niederländer gegen das Abkommen, das vor allem die Gründung einer Freihandelszone vorsieht und von allen EU-Staaten bereits ratifiziert wurde. Die Befürworter kamen auf rund 38 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei rund einem Drittel und damit knapp über der Mindestgültigkeitsgrenze.
Poroschenko will weitermachen
Der Präsident kritisierte in einer ersten Stellungnahme das niederländische Referendum als "einen Angriff auf die Einheit Europas". Er verwies darauf, dass das Referendum von euroskeptischen Initiativen erzwungen wurde und rechtlich nicht bindend sei. "Ich bin sicher, dass dieses Ereignis strategisch kein Hindernis auf dem Weg der Ukraine nach Europa sein wird", sagte Poroschenko. Die Ukraine werde das Abkommen weiterhin umsetzen. Das Assoziierungsabkommen wurde 2014 unterzeichnet und wird seit Anfang 2016 angewandt.
Der Parlamentsvorsitzende und Poroschenkos enger Vertrauter Wolodymyr Hrojsman sprach von einem "Besorgnis erregendem Signal" für die Ukraine. Die Regierung müsse nun Fehler analysieren und der eigenen Bevölkerung sowie der Weltgemeinschaft "klare Signale senden, dass wir weiter den Weg europäischer Reformen gehen werden", so Hrojsman.
Die Opposition dagegen gab der ukrainischen Regierung die Schuld am Ergebnis des Referendums in den Niederlanden. Das "Nein" sei eine Bewertung der "Pseudoreformen und der Korruption", hieß es in einer Erklärung des prorussischen "Oppositionellen Blocks", der aus früheren Anhängern des 2014 nach Russland geflüchteten Präsidenten Viktor Janukowitsch besteht.
Kritik am Präsidenten auch aus eigenen Reihen
Doch auch aus den eigenen Reihen gab es Kritik an Poroschenko. Das Ergebnis des Referendums in den Niederlanden sei "ein Urteil gegen Petro Poroschenko persönlich", schrieb in seinem Profil bei Facebook Mustafa Najem, stellvertretender Fraktionsvorsitzende der Poroschenko-Partei im ukrainischen Parlament. Poroschenko habe alte Eliten und Oligarchen statt Zivilgesellschaft und die neue Generation als seine Partner gewählt. Dabei ist der 34-jährige ehemalige Journalist Najem selbst ein Vertreter der jungen Generation ukrainischer Politiker, die Poroschenko nach dem Machtwechsel in Kiew in seine Partei holte.
Najem brachte auch die jüngsten Enthüllungen über Poroschenko in den sogenannten Panama Papers über Briefkastenfirmen in Verbindung mit dem Ergebnis des Referendums in den Niederlanden. Das Image der Ukraine in den Augen einfacher Europäer sei dadurch beschädigt worden.
Olexander Palij wiedersprach Najem. Man könne das Referendum nicht als eine Niederlage der Ukraine interpretieren, sagte der Kiewer Politikexperte in einem Gespräch mit der DW. Auch ein Urteil gegen Poroschenko sei es nicht. "Die Ukraine war kein Subjekt bei diesem Referendum, also trägt sie auch keine Verantwortung für das Ergebnis", sagt Palij.
Opposition bringt Neuwahlen ins Gespräch
Wie die Ukraine weiter mit dem EU-Assoziierungsabkommen umgeht, ist noch unklar. Der Ball sei auf der Seite der niederländischen Regierung, so der Tenor der Regierung. Kiew will weitermachen wie bisher und das Abkommen faktisch anwenden, auch wenn es formell noch nicht in Kraft getreten ist. "Das Abkommen wird angewendet, vielleicht mit Einschränkungen in den Niederlanden", prognostiziert der Experte Palij.
Doch ganz ohne Folgen dürfte es nicht bleiben. Die hitzigen Diskussionen in sozialen Netzwerken zeigen, wie gespalten die Ukrainer sind. Während die einen in der Ablehnung des Assoziierungsabkommens vor allem niederländische und europäische Gründe sehen, geben die anderen - wie der junge Politiker Najem - dem Präsidenten und der Regierung eine Mitschuld. Die prorussische Opposition wittert ihre Chance und bringt vorgezogene Wahlen ins Gespräch.
Ansporn für neue Reformen
Unklar ist auch, wie sich das Nein der Niederländer und eine mögliche Verzögerung bei der Umsetzung des Abkommens auf die bisher starke proeuropäische Stimmung in der Ukraine auswirkt. Viele Aktivisten, die im Winter 2013/2014 für das damals vertagte Assoziierungsabkommen in Kiew monatelang bei eisiger Kälte protestiert hatten, empfinden das als einen persönlichen Rückschlag. Najem, der damals als einer der ersten zu Protesten aufgerufen hatte, bleibt einen Tag nach dem Referendum optimistisch. "Ich glaube, in der historischen Perspektive werden wird siegen", schrieb er.
In Kiew mehren sich die Stimmen derer, die im Signal aus den Niederlanden einen Ansporn für neue ukrainische Reformen sehen. "Man muss endlich in den Spiegel schauen", sagte der Politikexperte Wassyl Filiptschuk der DW. "Ohne Reformen wird uns keine europäische Integration helfen." Die Führung in Kiew müsse endlich handeln.