Ukraine zwischen den Stühlen
2. Februar 2014Zbigniew Brzezinski war in Kampfeslaune. Er sage es ganz offen, bekannte der ehemalige US-Sicherheitsberater ganz zu Beginn der Diskussion zu Mittel- und Osteuropa: Im derzeitigen Konflikt in der Ukraine sei er parteiisch. Er stehe voll und ganz auf Seiten der Demonstranten auf dem Maidan-Platz. Jenseits der Sympathiebekundungen gab er aber auch umgehend seine politische Einschätzung der Lage in der Ukraine ab.
Strategische Bemühungen um eine Lösung des Konflikts seien schwierig, erklärte er. Denn der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch sei im Wesentlichen ein Kleinkrimineller. "Solche Menschen zeichnen sich durch zweierlei aus: Sie sind recht dumm. Sie suchen immer nach einer Gelegenheit zu stehlen. Und sie sind unfähig, die langfristigen Folgen ihrer Handlungen zu übersehen." Und das, schloss Brzezinski seinen Angriff, mache strategische Planung für seine Gegner schwierig.
Bedeutung Russlands für die Ukraine
Von Korruption und der Sehnsucht nach einem Rechtsstaat sprach dann zwar auch der aus dem umkämpften Kiew angereiste Oppositionsführer Vitali Klitschko (Artikelbild). Aber in die Diskussion über die tatsächlichen oder behaupteten persönlichen Eigenschaften des ukrainischen Präsidenten mischten sich dann bald auch komplexere politische Motive. Es war aber nicht Klitschko, der sie aufgriff - das taten der ukrainische Außenminister Leonid Koschara sowie Leonid Slutsky, Mitglied der russischen Duma.
Im Kern drehten sich ihre Einwände um eine in der derzeitigen Diskussion oft übersehene Frage: Wer eigentlich ist das ukrainische Volk, das sowohl die Regierung als auch die Opposition zu vertreten vorgeben? In der Ukraine, erklärte Koschara, lebten acht Millionen ethnische Russen. Was, fragte er in die Runde, würden die wohl von den derzeitigen Kommentaren aus dem Westen halten? Die acht Millionen ethnischen Russen machten es der Regierung unmöglich, sich von Russland abzuwenden, erklärte Koschara. "Jede Regierung wird sich dieses Problems annehmen müssen."
EU-Mitgliedschaft wäre kein Affront
Damit tat sich die nächste Frage auf: Muss eine Hinwendung der Ukraine zur EU und irgendwann vielleicht sogar die Zugehörigkeit zu ihr zwangsläufig ein Affront gegen Russland sein? Impliziert die Partnerschaft zur Ukraine eine Feindschaft zu Russland? Niemand auf dem Podium sah das so, auch Duma-Mitglied Leonid Slutsky nicht. "Die politische Zukunft der Ukraine entscheidet sich weder in Brüssel noch in Moskau, sondern in Kiew", erklärte er. Selbstverständlich wolle Russland weiterhin enge Beziehungen zur Ukraine. Darum habe man auch die Eurasische Wirtschaftsunion ins Spiel gebracht. In sie würde im Übrigen auch das EU-Mitglied Rumänen gerne eintreten. In Moskau sehe man diese Union auch nicht als Konkurrenzinstitution zur EU. Darum plädiere der russische Präsident Putin auch für eine einheitliche Handelszone beider Staatenverbünde - die EU und die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft sollten einander unterstützen.
Koschara erkärte, Russland nütze der Ukraine. Kiew habe nun im Hinblick auf Gasimporte ein sehr attraktives Angebot aus Moskau erhalten. Dieses bringe Einsparungen von monatlich 400 Millionen US-Dollar. Hinzu komme ein russischer Kredit von 15 Milliarden US-Dollar. Er habe nichts gegen Abkommen in beide Richtungen, erklärte er. "Aber wir müssen auch sehen, dass das tägliche Brot auf den Tisch kommt."
"Verlorene Jahre"
Eben dieser Verantwortung sei die Regierung Janukowitsch nicht gerecht geworden, wandte Vitali Klitschko ein. Nach dem Umbruch von 1991 hätten die Ukrainer große Erwartungen gehabt. "Wir haben davon geträumt, dass die Ukraine bald die Möglichkeit hat, ein stabiles und modernes Land zu werden." Seit jener Zeit hätten andere Staaten in der Region wie etwa Polen oder Tschechien sehr viel erreicht - die Modernisierung der Infrakstruktur sowie politische und Verwaltungsreformen -, die Ukraine hingegen nicht. Stattdessen habe es "gescheiterte Reformen" und mangelnden politischen Willen der Regierung gegeben. Viele Beobachter bezeichneten die Zeit seit 1991 als verlorene Jahre. "Und es ist so", bekräftigte Klitschko.
Kurz vor der Entscheidung gegen das EU-Assoziierungsabkommen habe Präsident Janukowitsch dann erklärt, das Land gehe einen eigenen Weg. "Die letzten Ereignisse haben gezeigt: Es ist der Weg von Terror und Gewalt." Und dagegen wendeten sich all jene Ukrainer, die einen anderen Staat wollten als den, in dem sie derzeit lebten. Klitschko erhielt am Ende großen und demonstrativen Applaus. Vielleicht hätten ihn auch die anderen ukrainischen Demonstranten verdient.