Schatten auf Arktiskooperation
19. Mai 2014Als Kanada, das offiziell den Vorsitz über den Arktischen Rat innehat, ein für April geplantes Arbeitstreffen der Organisation in Moskau boykottierte, war das für Umweltministerin Leona Aglukkaq ein "klarer Protest" gegen die russische Intervention in der Ukraine. Die Absage eines für Juni in Kanada geplanten Treffens der "Senior Arctic Officials" (SAO) geschah dagegen nach Aussage des ständigen Sekretariats des Arktischen Rats in Norwegen "nur aus logistischen Gründen". Das Treffen werde durch Telekonferenzen und einem schriftlichen Austausch ersetzt, erklärte das Sekretariat auf Anfrage der DW.
Auf anderen Ebenen sind die Akteure weniger bemüht, die politischen Auswirkungen der Ukrainekrise auf die Arktis herunterzuspielen. So teilte das US-Außenministerium mit: "Aufgrund der anhaltenden Missachtung der souveränen und territorialen Integrität der Ukraine hat die US-Regierung mehrere Aktionen unternommen. Unter anderem werden offizielle Regierungskontakte und Treffen einzelfallbezogen eingeschränkt".
Das betrifft auch die Arktis. So berichtet Yereth Rosen im Nachrichtenportal "Alaska Dispatch" von der Absage eines für Juni geplanten Russland-US-Workshops zum Thema Gefahrenreduzierung, nachdem das Außenministerium die Finanzmittel zurückgezogen hatte. Der Leiter des russischen Katastrophenschutzes sei außerdem einem internationalen Treffen in den USA im April fern geblieben.
Da der Westen vor dem Hintergrund der Ukrainekrise eine Ausweitung von Sanktionen gegen Moskau plant, sind Schwierigkeiten zwischen den Parteien in einer Region, wo der Klimawandel ein Rennen um Öl, Gas und andere Ressourcen entfacht hat, so gut wie vorprogrammiert.
Russlands Interessen in der Arktis
Für den Fall, dass Moskau in die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine am 25. Mai interveniert, drohen die USA mit weiteren Sanktionen, die allerdings ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen in der Arktis nicht beeinträchtigen dürfen. Sie wollen den Export von Öl- und Gastechnologien blockieren, insofern diese für neue Projekte von staatlichen russischen Firmen verwendet werden sollen. Dazu schreibt Ed Crooks in der "Financial Times" vom 14. Mai: "Rosneft und Gazprom die modernste Technologie zu verweigern wäre ein herber Rückschlag für ihre Pläne in Regionen, die die Zukunft der russischen Industrie repräsentieren, darunter die Arktis."
Lange vor der Annexion der Krim hatte Russland seine Absicht klar gemacht, seine Energie- und anderen wirtschaftlichen Interessen in der Arktis zu verteidigen. Präsident Putin hat der Region höchste strategische Priorität gegeben. Luftstützpunkte aus der Sowjet-Zeit werden reaktiviert und Häfen ausgebaut. Bis Ende 2014 soll ein strategisches Militärkommando in der Arktis entstehen.
Territoriale Ansprüche
Russland, der einzige Arktisanrainer, der nicht Mitglied der NATO ist, besitzt mehr Territorium in der Arktis als jedes andere Land. Moskau erhebt auch Anspruch auf den Lomonossow-Rücken im Arktischen Ozean als Teil seines Kontinentalschelfs. Darüber muss die UN-Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels entscheiden. Kanada, Dänemark, Norwegen und die USA haben ebenfalls Teile des arktischen Meeresbodens für sich beansprucht.
Im März diesen Jahres sprach die Kommission Russland weitere 52.000 Quadratkilometer Meeresboden im Ochotskischen Meer in der Nordpazifik zu. Damals sagte der russische Minister für natürliche Ressourcen und Umwelt Sergey Donskoy diese Entscheidung sei "der erste Schritt in unserer Bewerbung um die Arktis, die in Kürze fertig sein wird".
Eine Angelegenheit für die NATO?
Die ehemalige US-Außenministerin Hilary Clinton rief während eines Kanadabesuchs im März den nordamerikanischen Nachbar auf, eine gemeinsame Haltung einzunehmen, um auf die russische Militarisierung der Arktis zu antworten.
Nach Einschätzung des Verteidigungs- und Strategiefachjournals "TTU" wächst der Druck auf den kanadischen Premier Stephen Harper, seinen Widerstand gegen die Einbeziehung der Arktis in die offizielle NATO-Agenda aufzugeben. Harper möchte lieber die bilaterale Luftverteidigungsallianz NORAD auf Streitkräfte auf dem Meer und an Land ausweiten. Die kanadische Regierung versucht nach Meinung des Fachblatts den Ukrainekonflikt auszunutzen, um auf die wachsende russische Präsenz in der Arktis zu kontern und ihre eigene geostrategische Bedeutung zu stärken.
Für die internationale Risikoberatungsagentur "Polarisk Analytics" wäre eine Ausweitung der NORAD-Allianz keine gute Lösung, da dies die alte Blockmentalität verstärken würde. In einem französischen Online-Artikel erteilen die Experten auch dem NATO-Vorschlag eine Absage. Das würde die Region destabilisieren und zu Konfrontationen führen. Die beste Lösung wäre, sie im Arktischen Rat zu diskutieren, sagt Polarisk. Das bleibt aber außerhalb des Mandats der Organisation, die sich vornehmlich mit Umweltschutz, gesundheitlichen Fragen und Sicherheit beschäftigt.
Für Lawson Brigham, Professor an der University of Alaska Fairbanks und ehemaliger Vorsitzender des Arctic Marine Shipping Assessment des Arktischen Rats sollten diese Themen ausreichen, um für Zusammenhalt unter den Arktisländern zu sorgen. "Alaska Dispatch" gegenüber äußerte er die Hoffnung, dass die USA genügend diplomatisches Geschick hätten, um einen vom Weißen Haus für 2016 angeregten "Arktischen Gipfel der Präsidenten" zustande zu bringen.
Zunächst muss das nächste wichtige Treffen des Arktischen Rats im Herbst in Yellowknife, Kanada, ohne Zwischenfälle stattfinden. Da die USA 2015 den Vorsitz übernehmen, erscheint es unwahrscheinlich, dass der lange Schatten der Ukrainekrise in nächster Zeit kürzer werden wird.