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Waffenruhe in Ostukraine

Erik Albrecht28. Februar 2015

Im Osten der Ukraine ziehen Separatisten und Armee ihre schweren Waffen zurück. Dennoch starben erneut drei ukrainische Soldaten. In Kiew glaubt kaum jemand an eine lange Waffenruhe. Erik Albrecht berichtet.

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Ukraine Rückzug der Armee aus Ostukraine
Bild: Reuters/G. Garanich

„Ja, bitte? Ja, Denis. Kein Problem.“ Die Gespräche sind kurz, dafür klingelt Julija Gontscherowas Telefon pausenlos. Am anderen Ende der Leitung bitten Armeeoffiziere oder Freiwilligenverbände an der Front um Nachschub. "Alle wenden sich an uns," sagt Gontscherowa. Die Armee komme mit der Versorgung der Truppen einfach nicht nach. Deshalb beschaffen Freiwillige des Narodny Tyl für die Einheiten alles, was ihnen fehlt. Gontscherowa ist für Feldapotheken und Medikamenten verantwortlich. Auch die Soldaten im Kessel von Debalzewe haben von ihr in den vergangenen Wochen Verbandsmaterial bekommen.

Nun schweigen die Waffen weitgehend.Die Freiwilligen nutzen die Zeit vor allem, um ihre Bestände wieder aufzufüllen. Kaum jemand hier glaubt an eine dauerhafte Waffenruhe. Dafür seien in der Vergangenheit viel zu viele Feuerpausen gescheitert, sagt Gontscherowa. „Wenn die Abkommen umgesetzt würden, wäre ich klar dafür. Aber bislang haben sie immer nur mehr Tod und große Gebietsverluste gebracht.“

Julija Gontscherowa
Julija Gontscherowa: ständig am TelefonBild: DW/A. Köhler

Schuhe und Thermounterwäsche

Ein paar Meter weiter hilft Tetjana Sergij, einen Karton zuzukleben. Auf keinen Fall soll die wertvolle Ladung auf dem Weg nach Osten verloren gehen: Warme Schuhe und Thermounterwäsche für die Front. In der kleinen Lagerhalle im Zentrum Kiews stapeln sich Uniformen, Schlafsäcke, Feldapotheken, aber auch Duschgel und Zahnbürsten. "Die Autoreifen draußen, die müssen auch an die Front", sagt Tetjana. Der ukrainischen Armee fehlt es am Nötigsten. Vor dem Krieg war Tetjana Managerin in einer Schmuckfirma. Dass sie bald in ihr normales Leben zurückkehren kann, glaubt auch sie nicht.

Mit der Metro geht es zur Redaktion der Internetzeitung Ukrainska Prawda. Wo die Wirtschaftskrise auf den langen Rolltreppen der Kiewer U-Bahn Reklameflächen freigelassen hat, strahlen die blau-gelben Farben der Landesflagge mit der Aufschrift "Einiges Land" in ukrainischer und russischer Sprache. Doch bis die Einheit der Ukraine wiederhergestellt ist, könne es noch Jahrzehnte dauern, hatte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag gesagt.

Ukraine Kiew Material- und Kleiderlager
Vom warmen Schuh bis zur Zahnbürste: Hilfsgüter für die ukrainischen EinheitenBild: DW/A. Köhler

Auch die Chefredakteurin der Ukrainska Prawda Sewgil Mussajewa-Borowik hat keine großen Erwartungen an die Vereinbarungen von Minsk. Zwar hätten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande sehr viel politisches Gewicht in Minsk II gelegt, so dass beide alles dafür tun würden, das Abkommen nicht scheitern zu lassen, glaubt Mussajewa-Borowik. Trotzdem ist sie skeptisch, ob die Waffenruhe hält. "Es wird weniger geschossen werden, aber es wird immer wieder zu Zwischenfällen kommen," so die Journalistin. Ohnehin sei die Politik des Kremls und der Separatisten in der Ostukraine nur schwer vorhersehbar. Ihre Redaktion versucht derzeit, die Berichterstattung aus den Gebieten Donezk und Luhansk noch zu verstärken. Denn der Konflikt werde die Ukraine noch lange prägen, vermutet auch Mussajewa-Borowik. "Das Ziel Russlands ist doch klar: Es will der Ukraine ständig Probleme bereiten, so dass die Menschen die Hoffnung verlieren, dass sich ihre Lage bessern könnte.“

Wieder drei tote Soldaten

Auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz, erinnern Kerzen und Blumen an die Toten der Revolution vor einem Jahr. Daneben stehen Plakate der Armee. Doch die Bilder darauf scheinen aus einer anderen Zeit zu stammen. Im Sommer vergangenen Jahres eroberten ukrainische Einheiten noch die Stadt Slowjansk von den Separatisten zurück. Heute fürchten die Menschen, dass nach Debalzewe auch die strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol fallen könnte. Nach zwei Tage Ruhe meldete die ukrainische Armee am Freitag wieder drei tote Soldaten. Die Separatisten hätten trotz Waffenstillstand an drei verschiedenen Stellen entlang der Waffenstillstandslinie angegriffen.

Ukraine Kiew Spendensammlung
Bilder aus einer anderen Zeit: Plakate der ArmeeBild: DW/Erik Albrecht

Auch deshalb steht Wjatscheslaw weiter auf dem Maidan. Er sammelt Spenden für die Front. "Unsere Armee hat den Befehl gegeben, nicht mehr zu schießen. Und unsere Jungs werden getötet. Die Separatisten kennen das Wort Waffenstillstand doch überhaupt nicht" sagt Wjatscheslaw. Ein Stück weiter fotografiert Nina Olexijiwna das Blumenmeer. Die Rentnerin ist aus Saporischija für einen Tag nach Kiew gekommen. Die Stadt liegt nur 200 Kilometer von dem umkämpften Gebiet entfernt. "Natürlich haben wir auch Angst, dass die Kämpfe noch bis zu uns kommen", sagt sie.