Ukrainischer Filmemacher vor Gericht
24. August 2015In seiner Schlussrede zitierte Oleg Senzow den in Kiew geborenen russischen Schriftsteller Michail Bulgakow. "Die schlimmste Sünde auf Erden ist Feigheit", sagte der ukrainische Filmregisseur am vergangenen Mittwoch vor einem Militärgericht in der südrussischen Stadt Rostow-am-Don. Er wünsche Menschen in Russland, "keine Angst zu haben". Senzow ist in einem international kritisierten Prozess wegen Terrorismus angeklagt. Das Gericht wird am Dienstag (25.08.2015) sein Urteil verkünden. Dem Ukrainer drohen 23 Jahre Haft. Ein Mitangeklagter, Alexander Koltschenko, soll für 12 Jahre hinter Gitter.
Neben dem Prozess gegen die ukrainische Kampfpilotin Nadija Sawtschenko ist der Fall Senzow das zweite spektakuläre Gerichtsverfahren in Russland gegen ukrainische Aktivisten. Anders als Luftwaffenoffizierin Sawtschenko, die gegen prorussische Separatisten in der Ostukraine gekämpft hatte, hat Senzow keinen militärischen Hintergrund. Er war auch kein Kombattant. Der 39-jährige Senzow gilt als ein begabter Regisseur. Sein 2011 gedrehter Debütfilm "Gamer" über einen Computerspieler lief auf diversen Filmfestivals, darunter dem "GoEast " in Wiesbaden.
Pro-ukrainischer Aktivist auf der Krim
Senzow wurde im Mai 2014 auf der Krim festgenommen, keine zwei Monate nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel. Die Anklage wirft ihm Vorbereitung von Terroranschlägen vor. Außerdem soll er Mitglied der in Russland verbotenen rechtsextremen paramilitärischen ukrainischen Gruppierung "Der Rechte Sektor" sein. Senzow bestreitet alle Vorwürfe. Der Filmemacher berichtete über Folter, die er in Untersuchungshaft ertragen musste. Man habe ihn geschlagen, eine Erstickung mit einem Sack simuliert und gedroht, ihn zu vergewaltigen.
In Wirklichkeit sei er lediglich ein pro-ukrainischer Aktivist auf der Krim gewesen und habe ukrainische Armeeeinheiten, die von russischen Soldaten eingekreist waren, mit Lebensmitteln versorgt. Im Winter 2013/2014 unterstützte Senzow die pro-westliche Maidan-Bewegung in der Ukraine. Das sei ihm offenbar zum Verhängnis geworden, sagte Natalja Kaplan, Senzows Cousine, der DW . "Es kann gut sein, dass der Geheimdienst FSB einen Plan hatte, Terroristen aus dem "Rechten Sektor" zu schnappen. Da es keine gab, haben sie diejenigen festgenommen, die den Maidan unterstützt hatten", vermutet Kaplan.
Keine handfesten Beweise
Die renommierte russische Menschenrechtsorganisation "Memorial" stufte Senzow als politischen Häftling ein. Ähnlich sieht es Tetjana Masur, Leiterin der Kiewer Vertretung der internationalen Menschenrechtsorganisation "Amnesty International". "Senzow scheint für seine aktive zivilgesellschaftliche Haltung einen hohen Preis zu zahlen", sagte Masur der DW. Handfeste Beweise seiner Schuld jedenfalls habe die russische Staatsanwaltschaft nicht präsentiert.
Die Anklage stützt sich auf Aussagen von zwei anderen Krim-Aktivisten: Aleksej Tschirnij und Gennadij Afanasjew. Beide gaben im vergangenen Jahr ihre Schuld zu und wurden verurteilt. Sie bekamen dafür eine relativ milde Strafe – sieben Jahre Haft. Doch einer von ihnen, Gennadij Afanasjew, zog im Prozess gegen Senzow seine Aussage überraschend zurück. Er sagte, dass er sie unter Druck gemacht habe und er möge Senzow nicht belasten. Der weitere Zeuge hielt an seinen früheren Aussagen fest, wollte sie jedoch nicht vor Senzow wiederholen.
Prominente Unterstützung
Vor diesem Hintergrund gibt es immer mehr internationale Forderungen, Senzow freizusprechen. Neben dem EU-Parlament, dem Europarat und Regierungen westlicher Staaten, erheben auch Filmemacher weltweit ihre Stimme für Senzow. So hat die Europäische Filmakademie unter dem Vorsitz des deutschen Regisseurs Wim Wenders Mitte August an den russischen Präsidenten Wladimir Putin appelliert, Senzow freizulassen. Der Ukrainer sei "bestimmt kein Terrorist", wird Wenders vom Deutschlandradio Kultur zitiert.