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Ukrainischer Präsident Selenskyj besucht Deutschland

14. Mai 2023

Wolodymyr Selenskyj ist in Deutschland - zum ersten Mal seit Kriegsbeginn. Die Beziehungen zur Bundesregierung waren in der Vergangenheit oft angespannt.

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Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, (links) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Berlin
Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, (links) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sind sich seit Russlands Krieg gegen die Ukraine erst zwei Mal begegnetBild: Jesco Denzel/dpa/picture alliance

Das Verhältnis zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und Bundeskanzler Olaf Scholz ist kein einfaches. Erst zwei Mal seit Kriegsbeginn sind sich beide persönlich begegnet, das erste Mal im Juni 2022 in Kiew - lange nachdem andere Spitzenpolitiker dort waren.

Vorausgegangen war ein heftiger Streit zwischen Berlin und dem damaligen ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk. Der besonders undiplomatische Diplomat hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu große Nähe zu Moskau und Bundeskanzler Scholz zu langes Zögern bei Waffenlieferungen an die Ukraine vorgeworfen. Steinmeier wollte Kiew besuchen, wurde aber wieder ausgeladen. Als daraufhin Scholz eine Kiew-Reise absagte, nannte Melnyk den Kanzler eine "beleidigte Leberwurst". Es dauerte mehrere Wochen, bis die Wogen wieder geglättet wurden.

Ein Mann im Anzug mit Brille und Bart gestikuliert in einem Interview
Andrij Melnyk gab bei seiner Abberufung eine Erklärung heraus: "Viele emotionale Aussagen bedauere ich im Nachhinein"Bild: Susanne Hübner/Imago

"Das Verhältnis hat sich stark gebessert", analysiert Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Der Wechsel von Melnyk zu dem "viel ruhigeren, ausgeglicheneren" Oleksii Makeiev im Herbst habe dabei eine Rolle gespielt, sagt Hoff der DW. Aber auch der Führungswechsel im deutschen Verteidigungsministerium von Christine Lambrecht zu Boris Pistorius habe geholfen. "Mit Pistorius ist da jetzt ein Minister am Werk, der sehr klar sagt, sein Ziel sei ein Sieg der Ukraine." Er habe auch für eine "reibungslose und pünktliche" Lieferung der Leopard-2-Kampfpanzer an die Ukraine gesorgt. "Da ist ein ganz anderer Ton, ein ganz anderer Zug drin."

Schlüsselthemen für Selenskyj: Waffen, Panzer und Munition

Die Forderung nach mehr und effektiveren Waffen aus Deutschland dürfte auch von Selenskyj wieder kommen - neben der nach mehr Munition, für Selenskyj inzwischen ein "Schlüsselthema".

Deutschland war zögerlicher als andere Länder mit der Militärhilfe. Scholz wartete monatelang, bevor er die Lieferung von schweren Waffen wie Panzern und Artillerie genehmigte. Dann dauerte es weitere lange Monate, bis er auch Kampfpanzer auf die Liste setzte - und das erst, als die USA ebenfalls Kampfpanzer schicken wollten.

Ein ernst dreinblickender Mann mit Bart im olivfarbenem T-Shirt und ein lächelnder Mann mit Halbglatze im Anzug stehen sich in der Sonne gegenüber
Präsident Wolodymyr Selenskyj und Bundeskanzler Olaf Scholz vor knapp einem Jahr in KiewBild: Valentyn Ogirenko/REUTERS

Die Lieferung von Kampfflugzeugen kam für Olaf Scholz aber bisher nicht infrage. Es war "nicht besonders ratsam", sagt Henning Hoff, bestimmte Waffensysteme wie Kampfflugzeuge auszuschließen, "weil man nicht wissen kann, wie sich der Kriegsverlauf weiterentwickelt". Er rechne aber im Moment nicht damit, dass Scholz Flugzeuge anbieten wird.

Andere sind weiter. Die Niederlande beraten zur Zeit mit Dänemark und Großbritannien über die Lieferung von F-16-Maschinen. Das sei "kein Tabu", sagte Ministerpräsident Mark Rutte beim Besuch Selenskyjs vergangene Woche in Den Haag. Eine Einigung sei noch nicht erzielt worden, doch das sei eine Frage der Zeit.

Zuvor war Selenskyj in Finnland gewesen. Bei einer Pressekonferenz mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö gab sich der ukrainische Präsident überzeugt: "Bald werden wir in die Offensive gehen, und danach wird man uns Flugzeuge geben."

Zweifel am Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive

Selenskyj weiß, dass die Unterstützung aus dem Westen nicht unbegrenzt ist. Die lange Pause seit den erfolgreichen ukrainischen Militäroperationen im Herbst und die den westlichen Bündnispartnern mühsam abgerungenen Panzerlieferungen haben großen Druck aufgebaut. "Wir brauchen einen Erfolg", gestand der Präsident kürzlich ein. Doch wurden im Westen nach dem Durchsickern von Erkenntnissen des US-Geheimdienstes immer lautere Zweifel an einem Erfolg der bevorstehenden Offensive geäußert.

Leopard-2-Kampfpanzer fährt durch den Schlamm, in der Luke steht ein Mann in militärischer Tarnfleck-Kleidung
Späte Lieferung an die Ukraine: Verteidigungsminister Boris Pistorius auf einem Leopard-2-Kampfpanzer (in Deutschland)Bild: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Auch in Deutschland. Wolfgang Ischinger, früherer Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, sagte vor einigen Tagen in der ARD-Sendung "Anne Will": "Es ist eine falsche Vorstellung, dass es plötzlich einen Durchmarsch der Ukraine gibt." Es gehe nicht um Tage, sondern um einen langfristigen Prozess. Ischinger sieht hier "Gift für die langfristige Unterstützung". Denn: "In Russland wird man davon ausgehen, dass man das aushalten kann. Das ist noch lange nicht vorbei."

Keine konkreten Zusagen für EU- und NATO-Mitgliedschaft in Richtung Kiew

Was sich Selenskyj ebenfalls von der Bundesregierung erhofft, ist mehr Unterstützung für einen Beitritt seines Landes zur NATO und zur EU.

Im Juni 2022 wurde seinem Land offiziell der Kandidatenstatus zum EU-Beitritt zugesprochen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bei ihrem bereits fünften Besuch in Kiew am "Europatag", dem 9. Mai, gesagt: "Die Ukraine gehört zu unserer europäischen Familie." Schöne Worte, von denen sich Selenskyj aber nichts kaufen kann. Ein Problem sind ukrainische Getreideexporte. Bauern in östlichen EU-Staaten wie Polen oder Bulgarien sehen ukrainische Agrarprodukte wegen niedriger Preise als wirtschaftliche Bedrohung und haben sie untersagt, was Selenskyj im Beisein von der Leyens als "grausam" bezeichnet hat.

"Es wird nicht so schnell gehen, wie man sich das in Kiew wünscht", sagt Henning Hoff über die EU-Beitrittsaussichten, "aber wir können es uns nicht leisten, dass es ein Jahrzehnt dauert. Es ist kein leichter Weg."

"Noch komplizierter ist der NATO-Beitritt", sagt er. Im September 2022 reichte die Ukraine einen Antrag zur beschleunigten Mitgliedschaft ein. Noch während des Krieges werde es nicht soweit sein, sagte Selenskyj vor wenigen Tagen in Den Haag. "Aber während des Krieges wollen wir eine sehr klare Botschaft, dass wir nach dem Krieg in der Nato sein werden."

Ein Mann im Anzug und einer im Pullover schütteln sich lächelnd die Hände, im Hintergrund blau-gelbe ukrainische und blaue NATO-Flaggen
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (l.) macht Präsident Selenskyj keine konkreten BeitrittszusagenBild: Alina Yarysh/REUTERS

Auf eine solche klare Botschaft wartet er bisher vergeblich. Es gibt ermutigende Worte einzelner NATO-Länder und von Generalsekretär Jens Stoltenberg von der Art "Die Tür bleibt offen". Konkret wird es aber nicht, vor allem werden keine möglichen Termine genannt. Die Berliner Regierung halte eine NATO-Mitgliedschaft generell für keine gute Idee, glaubt Henning Hoff. "Die Idee ist eher, dafür zu sorgen, dass ukrainische Sicherheit garantiert wird durch die Abgabe von Sicherheitsgarantien. Wie die aber aussehen sollen, ist unklar."

Karlspreis für das ukrainische Volk

In Deutschland soll Selenskyj stellvertretend für das gesamte ukrainische Volk den renommierten Karlspreis der Stadt Aachen bekommen. Er wird seit 1950 an Persönlichkeiten verliehen, die sich um die Einheit Europas verdient gemacht haben.

Solidarität I EU-Beitritt der Ukraine
"Kein leichter Weg": Demonstration für einen EU-Beitritt der Ukraine vor dem Kanzleramt in BerlinBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

In der Ukraine wurde der Europatag am 9. Mai in diesem Jahr auf Initiative Selenskyjs offiziell begangen, während in Moskau Präsident Wladimir Putin am Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland Russland als Opfer eines Krieges des Westens gegen sein Land darstellte.

"Der Wunsch der Ukrainer, zur EU zu gehören, hat uns allen in Europa nochmal vor Augen geführt, welche große Bedeutung das europäische Einigungsprojekt hat und dass die Ukraine gerade unsere Freiheit und unsere Lebensweise verteidigt", sagt Henning Hoff. "Ich denke, er ist ein sehr würdiger Preisträger, weil er uns alle nochmal daran erinnert hat, was auf dem Spiel steht und was es zu verteidigen gilt."

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik