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Politik

Kampf gegen Korruption oder Liberale?

Roman Goncharenko
15. November 2016

Überraschende Korruptionsvorwürfe gegen den Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew schlagen in Russland hohe Wellen. Er galt als einer der wenigen pro-westlichen Liberalen in der Regierung, die zuletzt unter Druck waren.

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Russlands Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew
Bild: picture alliance/dpa/Y. Kochetkov

Das Wort des Tages in Russland lautet: Seltsam. Man hört es oft, wenn Journalisten, Politiker und Experten über die jüngsten Ereignisse um den Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew rätseln. Mitten in der Nacht verkündete eine russische Ermittlungsbehörde überraschend seine Festnahme. Uljukajew soll beim Verkauf der staatlichen Ölfirma "Baschneft" an den ebenfalls staatlich kontrollierten Ölkonzern "Rosneft" zwei Millionen US-Dollar Schmiergeld erhalten haben. Nach Medienberichten soll Uljukajew bereits seit Monaten überwacht worden sein. Der Minister selbst bestreitet die Vorwürfe. Es handele sich um eine Provokation, ließ er über seinen Anwalt mitteilen. Die Reaktionen auf seine Festnahme schwanken von Ratlosigkeit bei Kollegen und Experten bis zur Freude bei radikalen Nationalisten.

Alexander Rahr, Deutsch-Russisches Forum, Forschungsdirektor
Alexander Rahr vom Deutsch-Russischen ForumBild: DW

"Ich konnte es kaum glauben, dass ein so hoher Minister mit solchen Vorwürfen konfrontiert und festgenommen werden konnte", sagte Alexander Rahr, Projektkoordinator beim Deutsch-Russischen Forum und Berater des russischen Konzerns "Gazprom", im DW-Gespräch. "Noch überraschender war, dass Uljukajew lange überwacht wurde und weitermachen durfte." Über die Hintergründe könne man nur spekulieren. Es könne ein Versuch sein, "unter jemandem zu graben, der noch höher" als Uljukajew stehe. Andere vermuten einen Machtkampf diverser Sicherheitsstrukturen oder einen Versuch, die Wirtschaftspolitik zu ändern, so Rahr.

Schmiergeld von Putin-Vertrauten?

Der 60-jährige Alexej Uljukajew ist einer der erfahrensten Minister in der Regierung des Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedew. Anfang der 1990er  Jahre war er einer der Weggefährten des liberalen Ökonomen Jegor Gajdar, der den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft gestaltete. In den 16 Jahren der Herrschaft Wladimir Putins war Uljukajew zunächst stellvertretender Finanzminister, dann stellvertretender Leiter der Zentralbank und seit Juni 2013 Minister für wirtschaftliche Entwicklung.

Ob die Vorwürfe stimmen, ist schwer einzuschätzen. Der Anfang Oktober besiegelte Verkauf von "Baschneft" gilt als einer der größten Deals auf dem russischen Energiemarkt in diesem Jahr. Uljukajew sprach sich zunächst gegen "Rosneft" als möglichen Käufer aus, stimmte später aber zu. An der Spitze von "Rosneft" steht Igor Setschin, ein enger Putin-Vertrauter.   

Das staatliche Fernsehen berichtet über den Fall Uljukajew unter der Überschrift "Kampf gegen Korruption" und erinnert an andere brisante Fälle. Als Wladimir Putin 2012 zum dritten Mal Präsident wurde, erklärte er den Kampf gegen die grassierende Korruption zur Chefsache. Seitdem gab es mehrere spektakuläre Rücktritte und Festnahmen. Der Fall des Gouverneurs von Kirow, Nikita Belych, erinnert besonders an die Ereignisse rund um Uljukajew. Der liberale Politiker Belych wurde im Sommer festgenommen, weil er angeblich 400.000 Euro an Schmiergeld angenommen hat. Auch er bestreitet die Vorwürfe. 

Name in Panama Papers erwähnt

Uljukajew hatte bisher den Ruf eines Saubermanns, allerdings mit einer Ausnahme. Sein Name sorgte im Frühling im Zusammenhang mit den sogenannten Panama Papers für Schlagzeilen. Nach Medienrecherchen wurde auf den Britischen Jungferninseln eine Offshore-Firma registriert, an deren Spitze zunächst Uljukajews Sohn und später möglicherweise seine zweite Ehefrau standen. Damals bestritt der Minister, etwas falsch gemacht zu haben. 

Wirtschaftsbeziehungen Russland - Deutschland in der Krise

Das Wirtschaftsministerium spielt eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise in Russland. Der Abschwung begann noch vor der Krim-Annexion von 2014 und wurde durch westliche Sanktionen und niedrige Ölpreise verschärft. Uljukajew, der fließend Englisch und Französisch spricht, reiste zuletzt besonders viel um die Welt und warb um Investitionen. Erst vor wenigen Tagen war er in Italien und Österreich und plädierte für die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen seitens der EU. 

Kritik der Nationalkonservativen

Uljukajew betonte immer wieder, der Höhepunkt der Krise sei überwunden. Kritiker spotteten über seine Äußerung "der Boden ist erreicht". Die neue Langzeitprognose seines Ministeriums fiel jedoch wenig optimistisch aus und sah Russland vor einer Stagnation.    

Außerdem galt Uljukajew zusammen mit dem Finanzminister Anton Siluanow und der Zentralbankchefin Elwira Nabiullina als Vertreter des wirtschaftsliberalen Flügels in einem Russland, in dem der Einfluss der Konservativen immer größer wurde. Aus der Ecke der Ultranationalisten gab es Aufrufe, die Liberalen aus der Regierung zu werfen. Sie wurden als "die fünfte Kolonne des Westens" beschimpft und für Probleme in der Wirtschaft verantwortlich gemacht.

Julius von Freytag-Loringhoven
Julius von Freytag-Loringhoven, Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-Naumann-StiftungBild: privat

"Ich glaube, dass eher ein persönlicher Loyalitätskonflikt dahinter steckt", meinte Julius von Freytag-Loringhoven, Leiter des Moskauer Büros der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, zum Fall Uljukajew. Das Ganze nutze in der russischen Wirtschaft jenen, "die nicht an systematische Regeln, den Liberalismus und Reformen glauben", sagte der Politologe. Uljukajew sei jedenfalls ein Partner gewesen, der "die Sprache des Westens" sprach. 

Nun freuen sich russische Nationalisten über die Festnahme von Uljukajew. Manche fordern den Rücktritt der gesamten Regierung. Bei einer pro-Kreml-Demonstration Anfang November in Moskau fiel vielen Beobachtern ein Plakat mit einem Aufruf an Putin auf, "Verräter an der Macht zu säubern". Nach der Festnahme von Uljukajew sehen sich manche seiner Kritiker bestätigt.