Kulturhauptstadt Umeå
1. Februar 2014Umeå hat ehrgeizige Pläne. Daran lässt Anna Olofsson keinen Zweifel. "Das übergeordnete Ziel des Kulturhauptstadt-Jahres ist Wachstum", sagt die Marketingchefin der nordschwedischen Stadt mit fester Stimme. Im Empfangsraum des Rathauses zeigt sie energisch auf einen Stadtplan an der Wand und erklärt, dass es darum gehe, Investoren anzulocken. "Wir müssen weiterwachsen, um die Angebotsvielfalt zu bieten, die von einer modernen Stadt erwartet wird", betont sie.
Schon jetzt ist Umeå eine der am schnellsten wachsenden Städte Schwedens. In den letzten 50 Jahren hat sich die Bevölkerung verdreifacht. Derzeit leben im Stadtgebiet 80.000 Menschen, in der Gemeinde sind es 116.000. Olofsson hofft, dass sich die Bevölkerungszahl auf 200.000 noch mal fast verdoppeln lässt.
Heimat des Krimiautors Stieg Larsson
Umeå profitiert von einer boomenden Industrie und staatlich geförderten Studienplätzen. Viele Bürger sind hervorragend ausgebildet, es gibt kaum soziale Probleme, die Kriminalitätsrate ist verschwindend gering. Zudem gilt die Heimatstadt des verstorbenen Krimi-Bestsellerautoren Stieg Larsson als kultureller Dynamo an der schwedischen Nordküste: Klein, aber leistungsstark. Die zwölftgrößte Stadt Schwedens in der Provinz Västerbotten vereint eine unberührte, oftmals unwirtliche Natur mit städtischer Modernität. Einerseits trotten immer wieder Elche durch die Straßen, es gibt Hundeschlitten- und Kajak-Touren. Andererseits verfügt Umeå über eines der schnellsten Internet-Breitbandnetze der westlichen Welt, hat eine lebendige Kulturszene und eine Universität von internationalem Ruf. Auf diesen Lorbeeren dürfe man sich aber nicht ausruhen, warnt Marketingchefin Olofsson.
Im Erdgeschoss des Rathauses wird heftig daran gearbeitet, die Wachstumsvisionen Umeås Wirklichkeit werden zu lassen. Hier hat sich das Organisationsteam des Europäischen Kulturhauptstadtjahres einquartiert. 37 Männer und Frauen wollen mit einem Gesamtbudget von rund 40 Millionen Euro dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit Umeå als weltoffene, zukunftsorientierte Stadt wahrnimmt. Fast überall an den Bürowänden hängen Poster mit einem lachenden roten Herz, dem Kulturhauptstadtsymbol. Auf den hellbraunen Parkettböden verstreut, liegen Dutzende von Kartons mit Broschüren, Heftern und Flyern. Es herrscht ein kreatives Chaos, das ganz im Gegensatz zur konzentrierten Ruhe steht, mit der hinter den Computern gearbeitet wird.
Die Bürde einer Kulturhauptstadt
Besonders auffällig ist eine weiße Holztür, die mit bunten Unterschriften fast voll gekritzelt ist. "Auf der Tür haben sich alle Künstler verewigt, die bei uns auftreten", erläutert Fredrik Lindegren. Mit seinem lockeren Umgangston und dem Streifenpullover zu Bluejeans wirkt Lindegren eher wie ein älterer Student als wie ein seriöser Künstlerischer Direktor eines Kulturhauptstadtjahrs. Dabei ist er zuständig für rund dreihundert Veranstaltungen: Festivals, Opernaufführungen, Ausstellungen, Literaturlesungen sowie Pop- und Rockkonzerte. 2010 hatte der Rat der Europäischen Union Umeå neben dem lettischen Riga zur Kulturhauptstadt Europas 2014 gewählt. Umeå liegt rund 650 Kilometer nördlich von Stockholm und damit nur 150 Kilometer vom Polarkreis entfernt. Sie ist die bisher nördlichste Europäische Kulturhauptstadt.
Mit ihrem Motto "Neugier und Passion", ihrer Bedeutung als Motor regionaler Entwicklung und dem Fokus auf die Kultur der samischen Ureinwohner, dem einzigen indigenen Volk der EU, überzeugte Umeå die Jury. Es werden bis zu 200.000 Besucher erwartet. "Mit dem Titel einer Europäischen Kulturhauptstadt sind eine Menge Herausforderungen verbunden", betont Kulturmanager Lindegren. Schließlich sei der Titel eine von der EU vergebene Förderung, der man sich würdig erweisen müsse.
Keine leichte Aufgabe, denn wie die schwedische Presse berichtete, stehen die Sponsoren nicht wie erhofft Schlange, so dass die Finanzierung einiger Projekte fraglich ist. Zudem äußerten sich einige Vertreter der Samen skeptisch über das Hauptstadtjahr. Sie wollen erstmal abwarten, ob ihre Kultur angemessen zur Geltung kommt. Es gibt auch Vorwürfe, Umeå sei mehr an Eigendarstellung interessiert als an innovativen Kulturveranstaltungen.
Dieser Kritik hält Fredrik Lindegren Höhepunkte des Programms entgegen. "Während der Mittsommerzeit, wenn es in Schweden fast 24 Stunden hell ist, gibt es eine ganze Reihe außergewöhnlicher Freiluftveranstaltungen." Auf keinen Fall solle man "Elektra" von Richard Strauss verpassen. Das Veranstaltungscenter NorrlandsOperan inszeniert die Oper in Kooperation mit der katalanischen Performancegruppe La Fura dels Baus als Open-Air-Spektakel. "Das wird eine Aufführung mit Feuer und Wasser, Blut und Drama", kündigt Lindegren an.
Im Zentrum des Programms stehen die acht Jahreszeiten des samischen Kalenders: die Zeit des Erwachens im Frühling, die Zeit der Rückkehr im Frühsommer, die Zeit des Wachsens im Sommer, die Zeit des Nachdenkens im Spätsommer, die Zeit der Ernte im Herbst, die Zeit der Tatkraft im Spätherbst sowie die Zeit des Wanderns im Winter und die Zeit des Pflegens im Spätwinter.
Ausstellungen mit Werken von Sami-Künstlern geben über das Jahr verteilt einen Einblick in die Lebensweise der Samen. Zudem wollen die Schweden mit einem Jugendfußballturnier sowie Heavy-Metal- und Punk-Konzerten die junge Seite der Stadt präsentieren. Denn in Umeå leben 34.000 Studenten aus allen Regionen Schwedens und dem Ausland.
Toleranz und Innovationsfreude
"Das Durchschnittsalter liegt bei 37 Jahren", sagt Marketingchefin Anna Olofsson mit sichtlichem Stolz. Die Fluktuation vor allem durch das Kommen und Gehen der Studenten sei so groß, dass die Bevölkerung der Gemeinde rein statistisch alle sieben Jahre komplett ausgetauscht werde. Durch diese Dynamik habe sich Umeå zu einer kosmopolitischen Stadt entwickelt, "die offen gegenüber neuen Ideen sowie verschiedenen Lebens- und Gestaltungsformen ist".
Die Wurzeln dieser Toleranz reichen tief in die Vergangenheit zurück. In Nordschweden seien die Bauern niemals Leibeigene gewesen, erklärt Olofsson, so dass sich schon ab dem 18. Jahrhundert eine fortschrittliche, gleichberechtigte Diskussionskultur entwickelt habe, aus der die Menschen ihre Bildung und ihr Selbstbewusstsein geschöpft hätten.
Dann kommt die Marketingchefin wieder auf ihr Hauptanliegen zurück: das Wachstum ihrer Heimat. Noch einmal rührt sie kräftig die Werbetrommel. Schweden sei ein fortschrittliches Land, "aber wenn Sie in einer Stadt die Essenz dieser Mentalität finden möchten, dann kommen Sie nach Umeå". Möglicherweise knackt die Kulturhauptstadt in einigen Jahren ja tatsächlich die 200.000-Einwohner-Marke.