Mängellisten beschäftigen die Staatsanwaltschaft
25. März 2011Bereits im Jahr 2007 berichtete ein Elektromonteur, der im Atomkraftwerk (AKW) Biblis in Hessen tätig war, über Sicherheitsdefizite. Seine Aussagen wurden der staatlichen Prüfstelle, der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit in Köln, vorgelegt. Daraufhin sollte das Öko-Institut in Darmstadt die Aussagen prüfen und bewerten.
100-seitiger Bericht
Laut dem 100-seitigen Bericht gab es erhebliche Mängel an Antrieben von Armaturen, an Klappen und Schiebermodulen, mit denen Kühl- und Dampfströme reguliert werden. Es sei schwierig gewesen, das Kraftwerk nach der jährlichen Wartung wieder in Betrieb zu nehmen. Kabel wären anders verlegt worden als ursprünglich geplant, Stecker seien fehlbelegt oder gar nicht angeschlossen gewesen.
Die Projektbeauftragte am Öko-Institut Simone Mohr sagt, dass es auch beim Ausfall der Stromversorgung erhebliche Probleme geben könnte. Der Grund: "Bei den älteren Anlagen sind die Notstromaggregate nicht ausreichend ausgebaut", so Mohr.
Qualität der Wartung umstritten
Beim Wartungspersonal gäbe es zudem häufig unterschiedliche Auffassungen darüber, ob notwendige Messungen auch richtig ausgeführt worden seien. Falsche Messmethoden an Isolationswiderständen von Leistungskabeln seien aber bei Störfällen und ihrer Analyse nicht entdeckt worden. Mohr vom Öko-Institut beschreibt die Störfallanalysen als sehr komplex. "Es ist sicherlich möglich, dass da auch mal was übersehen wird."
Das Öko-Institut berät die führenden Aufsichtbehörden für die Sicherheit von Kernkraftanlagen. Es berichtet, dass Auflagen, die den Kraftwerkbetreibern nach Sicherheitsanalysen zur Verbesserungen ihrer Anlagen auferlegt wurden, teilweise nicht einmal nach 20 Jahren erfüllt seien.
Die Vertreter der Atomkraftwerksbetreiber wollen Kritik an ihrem Betrieb nicht gelten lassen. Sie verweisen auf die Landesgenehmigungsbehörden, den Technischen Überwachungsverein (TÜV), sowie unabhängige Gutachter, die alle sagen: Die Wartungsarbeiten und die dabei festgestellten Mängel seien richtig behoben worden. Selbst wenn manche Kabel mal anders verlegt worden seien als in den Bauplänen vorgesehen, so drohe deshalb noch keine Katastrophe, meint Kraftwerksexperte Christopher Weßelmann vom Deutschen Atomforum.
Hoher Zeitdruck bei den Wartungen?
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft zu den Aussagen des Monteurs einer Wartungsfirma, der sagt, er habe bei den Prüfungsarbeiten am Kraftwerk Biblis zu wenig Zeit gehabt, um seine Arbeit ordentlich zu machen. Dem Öko-Institut Darmstadt entgegnete der TÜV, alles sei ordnungsgemäß gelaufen. Mohr stellt jedoch zu den Wartungszeiten allgemein fest: "Die sind sehr knapp bemessen, weil das Kraftwerk natürlich schnell wieder ans Netz gehen soll."
Die Atomindustrie bestreitet den Zeitruck. Weßelmann, der für die Fachzeitschrift "atw" des Deutschen Atomforums schreibt, vertraut der Eigenverantwortung der Betreiber: "Fehler bei der Instandhaltung werden irgendwann wieder auftreten und ihren Effekt haben. Dann würden sie die Zuverlässigkeit der Anlage beieinträchtigen. Das kann sich kein Betreiber erlauben."
Zusicherung von Fachpersonal fraglich
Offenbar ist es so, dass der Kraftwerksbetreiber die Personalauswahl bei den Wartungsfirmen nicht immer kontrolliert. Der Monteur, der in der Anlage im hessischen Ort Biblis im Einsatz war, gab gegenüber dem Öko-Institut zu Protokoll, seine Qualifikation sei lediglich die eines einfachen Elektromonteurs. Seine Kenntnisse über wesentliche Einrichtungen in Kernkraftwerken habe er sich in seiner Freizeit durch Eigenstudium erworben. Laut Bericht des Öko-Instituts hat dieser Monteur Arbeiten vor Ort alleine übernommen, die er gar nicht alleine hätte durchführen dürfen.
Der Stromversorger RWE und der TÜV Nord schreiben in einer Stellungnahme dazu, dass ausschließlich Wartungsfirmen mit Fachpersonal beschäftigt würden. Das Öko-Institut Darmstadt stellte in einer abschließenden Beurteilung fest: Es ist auch Angelegenheit des Betreibers, das Wartungspersonal zu kontrollieren.
Modernisierung von Kraftwerken wirft Probleme auf
Auch das Alter von Atomkraftwerken spielt bei der Mängelliste durch Wartungsfirmen eine Rolle, obwohl die Betreiber viel modernisiert haben. Aber genau diese Modernisierung ist das Problem, so Mohr vom Öko-Institut: Sie berichtet von der so genannten Schnittstellenproblematik. Weil Anlagen teilweise seit Jahrzehnten in Betrieb sind und keine neuen Kernkraftwerke ähnlichen Typs gebaut wurden, werden etliche Ersatzteile gar nicht mehr hergestellt. "Oftmals werden dann neuere Bauteile eingebaut und das führt dann zu Problemen mit der älteren Technik."
Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Klaudia Prevezanos