Umweltschädlich oder lebensgefährlich?
2. Oktober 2012Kaum ein Neuwagen wird heute ohne Klimaanlage verkauft. Für das angenehme Binnenklima am Steuer braucht es aber ein Kühlmittel. Das bislang eingesetzte Tetrafluorethan, ein Fluorkohlenwasserstoff (FKW), gilt als umweltschädlich. Es wird unter dem Handelsnamen R134a vertrieben und ist als Klimakiller verschrien. Fluorkohlenwasserstoffe tragen zum Treibhauseffekt bei, indem sie die Ozonschicht zerstören, die unseren Planeten schützt.
Es gibt inzwischen ein Kühlmittel, das deutlich umweltverträglicher ist: Tetrafluorpropen, das unter dem Namen R1234yf verkauft wird. Das soll nun bei Neuwagen verwendet werden, so hat es die EU in einer Richtlinie im Jahr 2011 festgelegt. Volkswagen hat das bei seinem neuen Golf allerdings noch umgehen können. Und Mercedes lehnt das neue Mittel mit der Begründung ab, es sei gesundheitsgefährdend.
Allein auf weiter Flur
Das ist erstaunlich, weil der Verband der Automobilindustrie bereits vor zwei Jahren entschieden hat, das alte durch das neue Kühlmittel zu ersetzen. Dass Neuwagen von Mercedes jetzt weiter mit dem alten, klimaschädlichen Kühlmittel ausgestattet werden sollen, wird teilweise hart kritisiert. Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) wirft dem Autobauer "offenen Rechtsbruch" vor, weil er eine EU-Richtlinie umgehe. Der DUH-Geschäftsführer forderte "eine sofortige Verhängung von Strafzahlungen".
Mercedes will Tetrafluorpropen nicht einsetzen, weil der Stoff einen aus ihrer Sicht entscheidenden Nachteil hat: Wird er entzündet oder kommt er mit heißen Materialien in Kontakt, setzt es einen Giftstoff frei: Fluorwasserstoffsäure, besser bekannt als Flusssäure. Die ist so aggressiv, dass sie sogar Glas verätzt und wenn sie eingeatmet wird, kann sie auch in geringen Mengen zum Tod führen. Daher wollen die Stuttgarter das Mittel nicht verwenden. "Das ist mit unseren Sicherheitsmaßstäben nicht vereinbar", so ein Unternehmenssprecher.
Mercedes verweist dabei auf Studien und Versuchsreihen verschiedener anderer Hersteller. Außerdem hätten sie ein eigenes Prüfverfahren angewendet, das über die gesetzlichen Vorgaben hinausginge und das die kritischen Werte bestätigt habe. Mercedes steht mit seinen Zweifeln aber allein auf weiter Flur. Viele andere Autobauer verwenden das neue Kühlmittel bereits, es wird derzeit in etwa 15 Automodellen eingesetzt.
Die Gefahr ist unbestritten
Das "manager magazin" berichtet, dass die amerikanischen Hersteller von Tetrafluorpropen, Honeywell und DuPont, selbst auf die Gefahren des Gases hingewiesen hätten. Honeywell soll einen entsprechenden Hinweis auf seiner Internetseite veröffentlicht haben, der Eintrag ist aber inzwischen entfernt worden.
Olaf Reichelt vom "Berufsverband Feuerwehr" bestätigte dem Magazin, dass Feuerwehrleute Schutzanzüge tragen müssen, wenn der Verdacht besteht, bei einem Brand könnte Tetrafluorpropen giftige Flusssäure freisetzen. Das bedeutet: Feuerwehrleute, die einen Verletzten aus einem Unfallauto befreien sollen, wären also gegen das Gas geschützt, Autofahrer und Passagiere im Unfallauto aber nicht.
Air-Alarm für Autofahrer
Auf die Frage, wie den Gefahren von R1234yf, also Tetrafluorpropen, beim Einsatz in einer Autoklimaanlage, begegnet werden kann, gibt es bereits einen Lösungsvorschlag. Der Kölner Klimatechniker und Automechaniker Axel Holler hat eine elektronische Sicherheitseinsrichtung erfunden, den sogenannten Air-Alarm. Sollte Kühlmittel im Motorraum austreten und somit die Gefahr entstehen, dass sich Flusssäure bildet, schließt Air-Alarm sofort alle Fenster und Lüftungsklappen und schaltet die Klimaanlage ab. So würden die Autoinsassen mit dem Gift nicht in Berührung kommen.
Dass seine Erfindung, die in der Serienproduktion etwa 30 Euro kosten würde, ein Verkaufsschlager wird, glaubt Holler allerdings nicht. Die Autoproduzenten seien an seiner Erfindung offenbar nicht interessiert. Hollers Vermutung: Sollte ein Auto mit dem Alarm ausgerüstet werden, gäben die Autohersteller damit indirekt zu, "dass das neue Kühlmittel gefährlicher ist, als sie es der Kundschaft Glauben machen".