UN in den Irak?
13. April 2004Feuergefechte, brennende Versorgungstanks, entführte Ausländer und allein in Falludscha seit Anfang April mehr als 600 Tote: Chaos und Tod beherrschten auch über Ostern die Nachrichten aus dem Irak.
UN sondieren die Lage
UN-Generalsekretär Kofi Annan äußert sich zunehmend besorgt über die jüngsten Anschläge, Entführungen und Gefechte im Irak. Da stellt sich die Frage: Könnten die UN helfen, die Lage zu beruhigen? Annans Vorgänger Boutros Boutros Ghali meint: ja. Er hat sich in diesen Tage in einem Interview mit DW-RADIO für eine stärkere Rolle der UN im Irak ausgesprochen. Bislang zögern die UN, auch wenn Annan bereits seinen Sonderberater Lakhdar Brahimi in den Irak entsandt hat.
Der lange Schatten von Vietnam
Immer deutlicher wird: Egal ob verhandelt, taktiert oder militärisch hart durchgegriffen wird - die Amerikaner und ihre Verbündeten bekommen die Lage im Zweistromland kaum noch unter Kontrolle. Das weiß auch George Bush. Mit jedem weiteren Tag Chaos im Irak und mit jedem weiteren toten US-Soldaten dürfte beim amerikanischen Präsidenten die Versuchung wachsen, die Verantwortung für Befriedung und Wiederaufbau im Irak auf breitere Schultern zu verteilen. Schon jetzt sprechen manche Kommentatoren von einem "zweiten Vietnam". Ein "zweites Vietnam" aber kann Bush sich nicht leisten. Schließlich will er Anfang November erneut ins Präsidentenamt gewählt werden.
Jeder Ausländer im Irak ist eine Zielscheibe
Bliebe als naheliegender Ausweg ein Einsatz der Vereinten Nationen. Doch die Weltorganisation zögert aus durchaus verständlichen Gründen: Erst im vergangenen August waren 22 Menschen bei einem Anschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad ums Leben gekommen. Die UN hatten sich daraufhin fast völlig aus dem Irak zurückgezogen.
Hinzu kommen die jüngsten Angriffe und Entführungen von Ausländern – auch sie dürften die UN eher von einem stärkeren Engagement im Irak abschrecken. Denn bei den Attacken und Entführungen zählen nicht nur Bürger aus den Ländern der Irakkriegs-Koalition zu den Opfern, sondern auch auch Chinesen, Russen und Deutsche. Die UN dürften daraus den Schluss ziehen, dass ein Einsatz im Irak derzeit grundsätzlich für alle Ausländer gefährlich ist, selbst für Bürger aus Ländern, die den Krieg vor einem Jahr deutlich abgelehnt hatten.
Unkalkulierbare Risiken bleiben
Tatsächlich sind die Gefahren immens: Mit einem Einsatz im Irak würden sich die Vereinten Nationen in ein Abenteuer mit fast unwägbaren Risiken begeben. Ein minder bewaffneter Blauhelm-Trupp würde gewiss keine Sicherheit stiften können, sondern geriete selbst in Gefahr. Aber selbst ein robustes militärisches Mandat, etwa mit Unterstützung der NATO, könnte die vorhandenen Risiken nicht verläßlich minimieren. Um es ganz deutlich zu sagen: Auch unter UN-Mandat wäre mit weiteren Anschlägen und weiteren Toten zu rechnen.
Nichtstun führt zu noch mehr Terror
Doch wie lautet die Alternative? Selbst wenn das Pentagon noch so viele neue Truppen anfordern sollte - die Mittel der amerikanischen Besatzungsmacht und ihrer Verbündeten scheinen erschöpft, ihr Vertrauensbonus in der Bevölkerung weitgehend dahin.
Neues Vertrauen zu gewinnen aber wäre den UN trotz aller Gefahren viel eher zuzutrauen. Untätigkeit und Häme über die überforderten Besatzer verbieten sich jedenfalls. Was jetzt im Irak passiert, erhärtet zwar die These, dass dort vor einem Jahr ein zweifelhafter Krieg mit zweifelhafter Begründung und ohne ausreichende Berücksichtigung möglicher Folgen geführt wurde. Aber inzwischen geht es um etwas anderes: Alle Bemühungen müssen darauf zielen, den Irakern nach Jahrzehnten brutaler Willkürherrschaft und internationaler Sanktionen ein Leben in Frieden, bescheidenem Wohlstand, Würde und nationaler Souveränität zu ermöglichen. Dies ist nicht etwa nur aus Solidarität oder Mitleid mit den Irakern geboten, sondern liegt im internationalen Interesse. Es muss verhindert werden, dass eine immer chaotischere Lage im Irak Terroristen im In- und Ausland zu weiteren Aktivitäten ermutigt und ihnen immer neue Symphatisanten zuführt. Wenn die USA hier versagen, sollten die Iraker wenigstens auf internationale Hilfe bauen können.