UN-Resolution zu Srebrenica: Genugtuung und Empörung
24. Mai 2024Üblicherweise wird über Gedenktage in der UN-Vollversammlung einstimmig entschieden. Diesmal war es anders: Von insgesamt 193 Ländern votierten 84 dafür, einen "Internationalen Tages des Nachdenkens und Gedenkens an den Völkermord in Srebrenica" einzuführen. Gegen die Resolution stimmten 19 Länder, 68 enthielten sich. Während fast alle EU-Länder und die USA dafür waren, stimmten unter anderem Serbien, Russland und China - sowie als einziges EU-Mitglied -Ungarn dagegen.
Entsprechend geteilt waren auch die Reaktionen in den Ländern des Westbalkans nach der Abstimmung. Für Denis Becirovic, das bosniakische Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, ist die Annahme der Resolution ein "Akt der Zivilisation", ein "Sieg für Wahrheit und Gerechtigkeit" und eine "Chance für Katharsis und Versöhnung in der Region". "Es gibt keine völkermörderischen Nationen, und Kriminelle dürfen sich nicht hinter Nationen verstecken", sagte Becirovic.
Und auch das kroatische Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums, Zeljko Komsic, glaubt, dass die Annahme der Resolution eine "Chance für alle gesellschaftlich verantwortlichen Menschen in Bosnien und Herzegowina ist, eine neue Haltung gegenüber Völkermord auf einer zivilisierten Ebene aufzubauen". "Bosnien und Herzegowina wird gestärkt daraus hervorgehen, und ein starkes Bosnien ist eine Garantie dafür, dass sich der Völkermord nicht wiederholt", sagte Komsic.
Bosnische Serben lehnen die Resolution ab
Anders sehen es serbische Politiker im Land. "Zwei Drittel der Weltbevölkerung haben die Resolution zu Srebrenica nicht unterstützt", sagte das serbische Mitglied im bosnischen Staatspräsidium, Zeljka Cvijanovic. "Viele Länder haben darauf hingewiesen, dass diese Resolution ohne Konsens zustande kam", fügte sie hinzu.
Auch der Präsident der Republika Srpska, der kleineren Entität in Bosnien und Herzegowina, Milorad Dodik, der schon lange eine nationalistische und separatistische Rethorik pflegt, verurteilte die Annahme der Resolution scharf. Ausgerechnet in Srebrenica sagte er den Journalisten, dass es "keinen Völkermord gegeben hat" - er tat damit genau das, was die Resolution verurteilt und was ein Gesetz in Bosnien und Herzegowina verbietet: Er leugnete den Völkermord.
Über die Initiatoren der Abstimmung sagte er, dass sie "nicht einmal eine Mehrheit hatten". Es sei eine gescheiterte Resolution. "Der Plan, den Serben Völkermord und moralische Disqualifikation aufzuerlegen, ist gescheitert", so Dodik. Wie schon so oft kündigte er erneut eine "friedliche Trennung" des serbischen Teil Bosniens und Herzegowinas vom Gesamtstaat an.
Serbiens Politiker greifen Deutschland an
Auch in Serbien wird von der offiziellen Seite die Resolution als ein Versuch dargestellt, das ganze Land und das serbische Volk kollektiv zu brandmarken. Ignoriert wird dabei die Tatsache, dass in dem Text der Resolution, die von Deutschland und Ruanda eingebracht wurde, an keiner Stelle die Rede von Serbien, von Serben oder von Kollektivschuld ist.
"Diese Resolution richtet sich nicht gegen das serbische Volk. Wenn, dann richtet sie sich einzig gegen jene, die den Genozid zu verantworten hatten", unterstrich Deutschlands UN-Botschafterin Antje Leendertse bei der Präsentation des Textes. "Es geht darum, die Opfer zu ehren, ihre Nachkommen zu unterstützen und das Leugnen dieses Völkermords und die Glorifizierung der Täter zu unterbinden."
Dennoch sah Serbiens Präsident Aleksandar Vucic in der Resolution einen Angriff auf sein Land. Er warf Deutschland vor "allen, die anderer Meinung sind, moralische Lehren zu erteilen" und betonte, dass diese Resolution nicht zu der Versöhnung und besseres Verständnis zwischen den Menschen in der Westbalkan-Region führen wird. Vielmehr werde es "die alte Wunden wieder aufreißen und für Chaos auf dem Balkan sorgen". Und dann fragte er mit Verweis auf den Holocaust: "Warum haben diese Leute nicht angefangen, über den Völkermord zu sprechen, den ihr Land beging?"
Nach der Abstimmung aber zeigte sich Vucic hoch zufrieden: Er fügte den "Nein" Stimmen die "Enthaltungen" hinzu, und stellte das Ergebnis der Sitzung als "großen serbischen Sieg" dar. "Leute, die das serbische Volk stigmatisieren wollten, haben versagt und werden es nie schaffen", sagte Vucic triumphierend.
Viele Bosniaken dürften den Auftritt als zynisch empfunden haben: Vucic war einst unter dem Diktator Slobodan Milosevic Informationsminister gewesen und hatte ausgerechnet in den Tagen des Völkermords von Srebrenica im Juli 1995 im Belgrader Parlament damit gedroht, dass Serbien "für jeden ermordeten Serben hundert Muslime töten" werde.
Serbiens mächtige Unterstützer
Im Gegensatz zum "zufriedenen" serbischen Präsidenten zeigte sich der stellvertretende Ministerpräsident Serbiens, Sinisa Mali, enttäuscht über die Entscheidung der UN-Vollversammlung. "Gegen Serbien wurde ein Verbrechen begangen, unserem Volk wurde ein Etikett aufgedrückt, das es nicht verdient. Und dies wurde von der modernen Welt getan, die so viel von der Demokratie und Entwicklung redet", sagte Mali.
In New York hatte Serbien einen mächtigen Unterstützer. Der russische Botschafter Wassili Nebensja betonte Deutschlands Vergangenheit als Aggressor in zwei Weltkriegen und die deutsche Verantwortung für den Holocaust sowie den Genozid an den Herero und Nama im heutigen Namibia Anfang des 20. Jahrhunderts durch das Deutsche Reich: "Wir sind davon überzeugt, dass Deutschland keine moralische Autorität hat, den Begriff Völkermord überhaupt zu erwähnen, um etwas anderes als seine eigenen grausamen Verbrechen zu beschreiben", sagte Nebensja.
Als einer der Mitunterstützer begrüßte Kroatien die Annahme der Resolution, und Slowenien bezeichnete sie als einen "historischen Moment". In Kosovo wurde das Ergebnis der Abstimmung in der UN-Vollversammlung erwartungsgemäß unterschiedlich bewertet. Der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti begrüßte die Annahme der Resolution ausdrücklich und unterstrich die Verantwortung Serbiens für den Frieden auf dem Balkan. Gleichzeitig mahnte er zusätzliche Anstrengungen an, alle Täter vor Gericht zu bringen. Während dessen protestierten im nördlichen Teil der nordkosovarischen Stadt Mitrovica Serben mit einem Konvoi aus Dutzenden Autos mit großen serbischen Flaggen gegen die Verabschiedung der Resolution.