UN: Ungleichheit auf der Welt wird immer größer
19. März 2024Die gute Nachricht präsentierte Achim Steiner, seit 2017 Leiter des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP), in Berlin ganz zu Beginn: Die weltweiten Lebensbedingungen, die seine Organisation jährlich misst, haben wieder das Niveau von vor der Corona-Pandemie erreicht. Aber Steiner benennt dann auch gleich, zu welchem Preis das erreicht wurde: Der Abstand zwischen den armen und den reichen Ländern vergrößere sich immer mehr.
"Viele Länder sind noch im COVID-Schock"
"Index für die menschliche Entwicklung" nennen Steiners Experten die Größe, die sie jedes Jahr messen. Und die nimmt neben dem Pro-Kopf-Einkommen auch Faktoren wie die Lebenserwartung, das Bildungsniveau und neuerdings auch die Umweltbedingungen mit auf. Mit anderen Worten: Führen die Menschen auf der Welt ein gutes Leben? Sind sie wirtschaftlich gut abgesichert, welche Sorgen plagen sie?
Und da fällt das Fazit ernüchternd aus; auch wenn die Pandemie überstanden scheint. Achim Steiner: "Nach dem COVID-Schock, der Wirtschaften und Gesellschaften aus dem Gleichgewicht geworfen hat, haben wir insgesamt wieder Fortschritte gemacht. Aber über die Hälfte der ärmsten Länder der Welt erholen sich nicht. Sie sind auf einem Vor-Krisen-Niveau steckengeblieben, teilweise noch zurückgefallen. Das verstärkt den Nährboden für Populismus und Radikalisierung."
Ja zur Demokratie, aber auch zum Populismus
Das ist die größte Sorge Steiners, der den aktuellen Report zusammen mit der deutschen Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) vorstellte. Darin heißt es: "Polarisierung und Misstrauen befinden sich auf Kollisionskurs mit einem kränkelnden Planeten." Überall auf der Welt, so Steiner, hätten die Menschen das Gefühl, dass die globalen Probleme wie der Klimawandel heftiger würden. Und vor allem nicht gelöst werden könnten.
Die Reaktion darauf ist laut Steiner: "In einer weltweiten Umfrage bekennen sich 90 Prozent der Befragten dazu, dass Demokratie die Form von Gesellschaft ist, die sie begrüßen. Aber gleichzeitig ist der Prozentsatz derer, die bereit sind, populistische Parteien zu wählen, auf über 50 Prozent gestiegen." In vielen Ländern, so auch die deutsche Ministerin Svenja Schulze, sei seit der Pandemie ein "Rückzug ins Nationale" zu beobachten, eine Skepsis gegenüber internationaler Zusammenarbeit. Das, so Steiner, obwohl sich bis zum Ausbruch von Corona die Werte der armen und reichen Länder 20 Jahre lang aufeinander zubewegt hätten.
Angst vor der Zukunft
An der Spitze des UN-Berichts stehen wenig überraschend die Schweiz, Norwegen und Island. Am Ende der Tabelle finden sich Somalia, Südsudan und die Zentralafrikanische Republik. In Staaten wie dem Sudan, Afghanistan, Myanmar oder der Ukraine verschlimmerten Konflikte die Lage zusätzlich, erklärten die Experten. Afghanistan beispielsweise ist bei der menschlichen Entwicklung um zehn Jahre zurückgefallen. Der Wert der Ukraine liegt auf dem niedrigsten Wert seit 2004. Insgesamt blickten sechs von sieben Befragen sorgenvoll in die Zukunft. Steiner: "Das ist eine erstaunliche Zahl. Und das erklärt auch, warum Angst zunehmend zu einem vergiftenden Element in der Politik geworden ist. Also die Angst vor der Zukunft und die Angst vor den Nachbarn." Die Hälfte der Menschen weltweit gibt an, keine Kontrolle über das eigene Leben zu haben.
Tech-Konzerne reicher als die meisten Volkswirtschaften
Was die Entwicklungspolitik jetzt vor allem leisten müsste, seien, so Steiner und Schulze: Investitionen in die digitale Entwicklung. Aber genau auf diesem Feld gehe die Schere zwischen arm und reich am stärksten auf. Steiner zitiert aus seinem Bericht: "Die drei größten Technologie-Unternehmen der Welt im Jahr 2021, jedes einzelne davon, war in seinem Umsatz größer als das Bruttoinlandsprodukt von 90 Prozent der Länder der Welt"
Schulze: "Deutschland darf bei der Entwicklung nicht mehr sparen"
Auch in Deutschland steht die Entwicklungspolitik stark unter Druck. Ministerin Schulze hatte zuletzt erhebliche Kürzungen in ihrem Etat zu verkraften. Statt 12,2 Milliarden Euro im Jahr 2023 stehen ihr dieses Jahr nur noch 11,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Weitere Streichungen will sie für das nächste Jahr aber verhindern: "Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt, und wir haben nicht nur eine moralische Verantwortung gegenüber Menschen, die hungern. Mehr Zusammenarbeit liegt auch in unserem eigenen Interesse. Wir sind ein rohstoffarmes Land, das seinen Wohlstand auf Weltoffenheit aufgebaut hat."
Die Ministerin berichtete von ihren Endrücken einerjüngsten Reise nach Afrika, nach Burkina Faso und Benin. Russland schüre auf dem Kontinent "mit seinen Trollarmeen" Ressentiments gegen den Westen. Wenn sich Deutschland aber aus der Region zurückzöge, habe Russland "freie Bahn für seine geopolitischen Machtinteressen", warnte Schulze. Auch deswegen seien weitere Kürzungen ihres Etats verantwortungslos.