UN: Waffenruhe in Nahost nur erster Schritt
21. Mai 2021Angesichts der vereinbarten Waffenruhe im Gaza-Konflikt hat das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) vor übergroßen Hoffnungen gewarnt. Die Waffenruhe sei ein erster Schritt, löse aber die eigentlichen Probleme nicht, sagte NRWA-Direktor Matthias Schmale in Genf. "Es wird wieder ein Krieg ausbrechen, solange die fundamentalen Ursachen nicht angegangen werden."
"Mit Job und Geld weniger geneigt, sich Hamas anzuschließen"
Mit Blick auf die Lage vieler Palästinenser im Gazastreifen fügte Schmale hinzu: "Wenn man einen Job hat, eigenes Geld verdient und selbst Essen kaufen kann, statt auf die UN zu vertrauen, dann ist man weniger geneigt, sich Gruppen wie der Hamas anzuschließen."
Nach einem elftägigen Schlagabtausch zwischen militanten Palästinensern und der israelischen Armee war in der Nacht zum Freitag eine Waffenruhe in Kraft getreten. Seitdem wurden keine neuen Raketenangriffe auf Israel mehr gemeldet. Auch dessen Militär stellte seine Luftschläge gegen Ziele im Gazastreifen ein. Sowohl die israelische Regierung als auch die radikalislamische Hamas sprachen allerdings eine Warnung aus: Sollte sich die Gegenseite nicht an die von Ägypten eingefädelte Waffenruhe halten, sei diese umgehend hinfällig.
Neue Zusammenstöße auf dem Tempelberg
Ungeachtet der Feuerpausenvereinbarung ist es auf dem Tempelberg in Jerusalem wieder zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der israelischen Polizei gekommen. Palästinenser hätten Steine auf israelische Sicherheitskräfte geworfen, die daraufhin mit Gegenmaßnahmen begonnen hätten, sagte ein Polizeisprecher. Die heftigen Zusammenstöße nach dem Freitagsgebet dauerten nach Berichten von AFP-Korrespondenten an.
Netanjahu: "Hamas kann sich nicht mehr verstecken"
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von "geänderten Spielregeln" gegenüber der Hamas. Sein Land werde auf neue Raketenangriffe aus dem Gazastreifen mit aller Härte reagieren, warnte Netanjahu bei einem Besuch im Militärhauptquartier in Tel Aviv. Er sprach von großen Erfolgen im Kampf gegen die Hamas.
Eine unterirdische Mauer entlang des Gazastreifens, die schon vor dem Einsatz fertig gestellt worden sei, habe die Möglichkeit von Angriffstunneln der Hamas komplett unterbunden. Man habe aber auch Verteidigungstunnel zerstört, das sogenannte Metro-System unter Wohngebieten in dem Küstenstreifen selbst. Netanjahu: "Die Hamas kann sich nicht mehr verstecken." Zudem habe die Armee viele führende Mitglieder der Hamas wie auch der Organisation Islamischer Dschihad getötet.
Dank an Ägypten und Katar
International löste die Vereinbarung große Erleichterung aus. US-Präsident Joe Biden bezeichnete sie als "wirkliche Chance" für Fortschritte hin zum Frieden in der Region. Er werde sich für diesen Fortschritt engagieren, versicherte Biden. Palästinenser wie Israelis verdienten es, "in Sicherheit zu leben" und das "gleiche Maß an Freiheit, Wohlstand und Demokratie" zu genießen. Dem ägyptischen Staatschef Staatschef Abdel Fattah al-Sissi sprach Biden seinen "aufrichtigen Dank" für seine Vermittlungsbemühungen aus. US-Außenminister Antony Blinken wird in Kürze zu Gesprächen in der Region erwartet.
Auch Netanjahu dankte dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi für dessen Bemühungen bei der Vermittlung der Waffenruhe. Al-Sisi habe eine wichtige Rolle bei der Wiederherstellung von Ruhe, Sicherheit und Stabilität in der Region gespielt, twitterte Netanjahu.
UN-Generalsekretär António Guterres appellierte an Israelis und Palästinenser, nun in einen "ernsthaften Dialog" über die Wurzeln ihres Konflikts einzutreten. Die Staatengemeinschaft rief er auf, zusammen mit den Vereinten Nationen ein "zügiges" und "robustes" Hilfspaket für den Wiederaufbau auf den Weg zu bringen.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell dankte den UN und USA wie auch Ägypten und Katar für ihre "vermittelnde Rolle" in dem Konflikt. Er sprach sich dafür aus, die Bemühungen um eine langfristige "politische Lösung" in Nahost nun zu verstärken. Die Europäische Union sei bereit, die israelischen und palästinensischen Behörden dabei zu unterstützen, erklärte Borrell weiter.
Berlin unterstreicht Zwei-Staaten-Lösung
Die Bundesregierung hofft auf die mit der Waffenruhe vebundenen Erleichterungen. "Wichtig ist jetzt, dass die humanitäre Hilfe für die Bevölkerung im Gazastreifen nun rasch weitergehen kann", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Zudem müsse weiter an einem substanziellen politischen Dialog gearbeitet werden. Nur eine politische Zwei-Staaten-Lösung könne die Ursachen der Auseinandersetzung beheben. Dieses Ziel sollten alle Seiten weiter im Auge behalten, so Seibert weiter.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Abend auf einer Pressekonferenz in Berlin auf die Frage, ob sie sich vorstellen könne, noch als Bundeskanzlerin mit US-Präsident Joe Biden eine größere Friedensinitiative für den Nahen Osten zu starten oder anzustoßen: "Wenn es Initiativen gibt, dann müssten die natürlich zum Beispiel von den Vereinigten Staaten von Amerika ausgehen." Die USA hätten hier ja schon eine sehr wichtige Rolle gespielt. "Frankreich und auch Großbritannien werden bei so etwas eine wichtige Rolle spielen, und auch Deutschland ist dazu natürlich bereit. Eine konkrete, über den jetzigen Waffenstillstand hinausgehende Initiative gibt es aber noch nicht."
Merkel erläuterte zudem ihre Aussage über die Unverzichtbarkeit indirekter Gespräche mit der radikalislamischen Hamas. "Premierminister Netanjahu hat heute zum Beispiel dem ägyptischen Präsidenten gedankt, der eben gerade auch im Hinblick auf den Gazastreifen sehr initiativ war, um den Waffenstillstand mit zu befördern. Das war mit meinen Worten gemeint", sagte die Kanzlerin der Deutschen Welle.
Der Konflikt war am 10. Mai mit zahlreichen Raketenangriffen der im Gazastreifen herrschenden Hamas auf Jerusalem eskaliert. Israel reagierte mit massiven Angriffen auf das Küstengebiet. Seit Beginn des Konflikts sind nach Angaben des israelischen Militärs mehr als 4000 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert worden, wobei zwölf Menschen getötet wurden. Bei mehr als 1000 israelischen Luftangriffen starben nach palästinensischer Darstellung mindestens 230 Menschen.
Lufthansa fliegt von Sonntag an nach Tel Aviv
Angesichts der Waffenruhe nehmen die Fluggesellschaften wieder ihre Flüge in die Region auf. Lufthansa, Austrian Airlines und Swiss würden von Sonntag an wieder den Flughafen von Tel Aviv ansteuern, teilte ein Konzernsprecher mit. Auch andere Unternehmen wie British Airways, American Airlines und der Billigflieger Wizz Air hatten in den vergangenen Tagen Flüge nach Israel gestrichen.
sti/wa/mak/kle (dpa, rtr, afp, DW)