Indiens und Pakistans 70. Jahrestag
14. August 2017Mit pathetischen Worten rief Jawaharlal Nehru in der Nacht vom 14. auf den 15. August 1947 die Unabhängigkeit Indiens aus. "Schlag Mitternacht, wenn die Welt schläft, wird Indien zum Leben und zur Freiheit erwachen. Die Seele einer Nation, die lange unterdrückt wurde, findet endlich zu ihrem Ausdruck." Diese Worte mögen für die Politiker angemessen gewesen sein, die jahrzehntelang um die Unabhängigkeit gekämpft hatten. Aber die Unabhängigkeit und gleichzeitige Teilung der früheren Kolonie in Indien und Pakistan brachte auch großes Leid. Sieben bis acht Millionen Menschen verließen unter chaotischen Bedingungen ihre Heimat in Indien und machten sich auf den Weg nach Pakistan, etwa die gleiche Zahl in umgekehrter Richtung. Hunderttausende kamen im Zuge entfesselter Gewalt zwischen den Religionsgruppen ums Leben.
Mahatma Gandhi, Galionsfigur der indischen Unabhängigkeitsbewegung, sah seinen Lebenstraum eines geeinten unabhängigen Indien zerstört. Gandhi hatte stets für ein gesamtindisches, überkonfessionelles und gewaltloses Vorgehen gegen die Kolonialherren geworben. Der langwierige Prozess der Unabhängigkeit Indiens, der von unbeschränkter Autokratie der Kolonialregierung zu einem parlamentarischen System führte, steuerte keineswegs von Anfang an auf eine Zwei-Staaten-Lösung zu. Dennoch lag über der indischen Unabhängigkeitsbewegung meistens der Schatten von Rivalität und Misstrauen zwischen der muslimischen Minderheit und der hinduistischen Mehrheit.
Beginn der Unabhängigkeitsbewegung
Der indische Nationalismus trat in organisierter Form zuerst im Jahr 1885 in Bombay, heute Mumbai, als Indian National Congress (kurz: Kongress) auf. Er war die politische Heimat Gandhis und Nehrus, des späteren ersten Ministerpräsidenten Indiens. Bei jener Kongress-Versammlung von 1885 waren 54 der 73 Delegierten Hindus, nur zwei Muslime. Eine bezeichnende Kräfteverteilung, die mit erklärt, warum der Fokus der muslimischen Politiker im Kampf um ein unabhängiges Indien vor allem auf Sonderrechten und Ausnahmeregelungen für ihre Volksgruppe lag. Erst bei den indischen Wahlen von 1946 sollte sich die Muslim-Liga als fast ebenbürtige politische Kraft neben dem Kongress etablieren. Und damit war der Zug in Richtung eines eigenständigen Staates für die indischen Muslime bereits abgefahren.
Beim ersten Treffen der indischen Muslim-Liga 1906 in Dacca (heutiges Dhaka) wurde noch bescheiden als Ziel formuliert: "Schutz und Förderung der politischen Rechte und Interessen der Muslime Indiens." Die Liga betonte (noch) die Loyalität zur britischen Regierung und verurteilte die massive Boykottkampagne gegen englische Waren, mit der der Kongress auf die Teilung der Provinz Bengalen reagiert hatte.
Sonderweg der Muslim-Liga
Es gab in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Versuche der Verbrüderung zwischen Kongress und Muslim-Liga, zwischen dem späteren Führer der Muslim-Liga Muhammad Ali Jinnah und dem von den Hindus verehrten Mahatma Gandhi. Aber die Kluft blieb bestehen. Ein Ereignis vom Beginn des Zweiten Weltkriegs ist dafür nur ein Beispiel von vielen: Als die Kongress-Politiker in den indischen Provinzen 1940 geschlossen zurücktraten, womit sie gegen die Kriegserklärung Indiens an Deutschland protestierten, ohne dass sich der britische Statthalter zuvor mit den indischen Politikern abgesprochen hatte, rief Jinnah die Muslime zu einem "Tag des Dankes" auf.
Auf einem Treffen der Muslim-Liga im selben Jahr wurde erstmals die Forderung nach unabhängigen zusammenhängenden Territorien mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit innerhalb einer neuen indischen Verfassung erhoben. Die Presse nannte dies die "Pakistan-Resolution", obwohl auf dem Treffen die Forderung nach einem eigenen Staat noch gar nicht erhoben wurde.
Zweiter Weltkrieg und das Ende Britisch-Indiens
Letztlich waren es die strategischen Erfordernisse und wirtschaftlichen Belastungen des Zweiten Weltkrieges, die London zur Einsicht in die Unvermeidlichkeit der Unabhängigkeit Indiens brachten. Die von Ali Jinnah geführte Muslim-Liga hielt sich während der Verhandlungen zwischen London und den Kongress-Politikern bedeckt, setzte aber in London die Position durch, dass keine indische Provinz und Region gegen den Willen ihrer Mehrheit dazu gezwungen werden sollte, einer neuen indischen Verfassung zuzustimmen.
Nach dem Ende des Weltkrieges ging die neue Labour-Regierung unter Clement Attlee mit Nachdruck an die Gestaltung der Entlassung Indiens in die Unabhängigkeit. Verhandlungen zwischen den Vertretern Londons und von Kongress und Muslim-Liga, wie man die verschiedenen Anliegen in einem neuen föderalen Indien unter einen Hut bringen könnte, kamen aber nicht vom Fleck. Gleichzeitig entluden sich religiös-ethnische Spannungen gewaltsam, so in Kalkutta, am 16. August 1946 mit Tausenden Toten. In Punjab war die Provinzregierung Anfang 1947 angesichts des aufbrechenden Hasses zwischen Muslimen, Hindus und Sikhs zurückgetreten. Dem neuen - und letzten - britischen Statthalter Lord Mountbatten war klar, dass die Illusion eines neuen indischen Einheitsstaates nicht länger aufrechtzuerhalten war. Zu dieser Erkenntnis rang sich – gegen den Widerstand Gandhis und Nehrus – auch der Kongress durch.
Der "Mountbatten-Plan"
Der sogenannte "Mountbatten-Plan" wurde schließlich Anfang Juni 1947 von der Führung der Muslim-Liga, des Kongress und der Sikhs und von der Regierung in London gebilligt. Umgesetzt wurde er in nur zehn Wochen. Sein Leitprinzip war – wie erwähnt - die Berücksichtigung der Mehrheitsmeinung in den betroffenen Gebieten. In den beiden großen gemischten Provinzen Punjab und Bengalen wurde deshalb folgendes Verfahren angewandt: Im ersten Schritt stimmten ihre mehrheitlich muslimischen Parlamente für den Austritt ihrer ungeteilten Provinzen aus Indien. Im zweiten Schritt einer gesonderten Abstimmung unter dem muslimischen und dem nicht-muslimischen Teil der Abgeordneten stimmten letztere allerdings für die Teilung. Deshalb wurden Punjab und Bengalen geteilt und gehören heute teilweise zu Indien und Pakistan (Punjab) beziehungsweise Bangladesch (ehemals Ost-Pakistan).
Einfacher war die Entscheidung der mehrheitlich muslimischen Provinzen Sindh, Belutschistan und Nordwest-Grenzprovinz, die erwartungsgemäß für den offiziell noch nicht so genannten neuen Staat Pakistan fiel. Sein Staatsgründer Jinnah entwarf eine Zukunftsvision, die in der Folge tragisch an der Realität scheitern sollte: "Unser Ziel soll Frieden nach innen und außen sein. Wir wollen friedlich und in herzlicher Freundschaft mit unseren Nachbarn leben."
Ungelöste Kaschmir-Frage
Dass Kaschmir zum bis heute ungelösten Erbe und Zankapfel zwischen Indien und Pakistan wurde, hat seinen Ursprung in der Frage, wie bei der Teilung mit den 600 unabhängigen indischen Fürstentümern umgegangen werden sollte. Die meisten Fürsten konnte Mountbatten mehr oder weniger reibungslos zum Beitritt ins neue Indien bewegen. Im Falle Kaschmirs mit einer klaren muslimischen Mehrheit unter seinen vier Millionen Einwohnern bestand das Problem, dass dessen Herrscher, ein Hindu, mit Duldung Indiens und Pakistans seine Unabhängigkeit bewahren wollte. Die Bevölkerung aber begehrte gegen die autokratische Fürstenherrschaft auf, Stammeskrieger strömten mit pakistanischer Duldung zum Dschihad nach Kaschmir. Der Maharadscha floh nach Delhi und bot den Beitritt Kaschmirs zum indischen Staat an – gegen militärischen Beistand. Mountbatten – der noch für kurze Zeit als Generalgouverneur von Indien amtierte - stimmte dem zu, verlangte aber ein späteres Referendum in Kaschmir (das nie abgehalten wurde), welches über die Zugehörigkeit zu Indien oder Pakistan endgültig entscheiden sollte.
Unterdessen entwickelte sich ein unerklärter Krieg zwischen regulären Truppen Indiens und Pakistans in Kaschmir. Unter UN-Vermittlung wurde 1949 ein Waffenstillstand geschlossen, mit der "line of control" als faktischer Grenze, die bis heute von beiden Seiten nicht offiziell anerkannt wird.