Unentdeckt nach Thailand: Flucht vor Wehrdienst in Myanmar
13. März 2024In der Ortschaft Wale sind Thailand und Myanmar mit einer kleinen Holzbrücke verbunden. Der schmale Fluss darunter ist die Landesgrenze. Die Dörfer auf beiden Seiten teilen sich den gleichen Namen, das Leben dort ist eng verwoben. Über den Steg tragen Einheimische Reis und Gemüse hin und her. Im Wasser darunter tollen Kinder herum. Der thailändische Grenzbeamte in seinem Beobachtungsposten schenkt seinem Handy weit mehr Beachtung als dem Pendlerstrom.
Der Großteil der Grenzgänger stammt aus den umliegenden Dörfern. Doch in den letzten Wochen passieren außerordentlich viele junge Menschen aus anderen Regionen Myanmars die Grenze in dem beschaulichen Dorf. "Ich erkenne sie sofort an ihren dicken Rucksäcken", sagt Tungsa, die auf der myanmarischen Seite vor ihrem Gemischtwarenladen Domino spielt.
„Wenn sie es bis hierhin schaffen, sind sie in Sicherheit"
Es sind junge Menschen, die vor der Zwangsrekrutierung des Militärs in Myanmar fliehen. Tausende versuchen noch vor April auszureisen, bevor die obligatorische Wehrpflicht für Männer zwischen 18 und 35 Jahren und Frauen zwischen 18 und 27 Jahren in Kraft tritt. Wer sich nicht versteckt, muss damit rechnen, als Soldatin oder Soldat an Menschenrechtsverbrechen beteiligt zu werden. Und wer die Militärpflicht verweigert, dem drohen mehrjährige Haftstrafen.
"Wenn sie es bis hierhin schaffen, sind sie in Sicherheit”, sagt Tungsa. Denn die myanmarische Seite von Wale steht unter der Kontrolle der Karen National Union (KNU). Sie ist eine der ethnischen Milizen, die in Myanmar an vielen Fronten gegen die myanmarische Armee kämpfen. In den vergangenen Monaten hat die Militärjunta herbe Verluste erlitten.
Die verbündeten Widerstandsgruppen drängen die Generäle immer weiter ins Landesinnere zurück und weiten gleichzeitig ihre Territorien in den Randgebieten Myanmars aus. Das United States Institute of Peace (USIP) schätzt in einer Analyse, dass die myanmarische Armee nur noch über maximal 130.000 Soldaten verfügt, wovon nur etwa die Hälfte kampfbereit sei. Die angekündigte Zwangsrekrutierung sei ein verzweifelter Versuch, ihre geschrumpfte Truppenstärke gewaltsam aufzustocken, glauben Beobachter.
Nun drängen in den thailändischen Grenzbezirk Phop Phra, zu dem auch das Dorf Wale gehört, immer mehr junge Menschen, die der Wehrpflicht entkommen wollen. Hunderte wurden in den letzten Wochen von patrouillierenden Grenzpolizisten verhaftet.
Das Schicksal der gefassten Flüchtlinge ist oft ungewiss. Je nach Grenzpolizist oder Behörde werden sie inhaftiert, zurück über die Grenze geschickt oder auch mal nach Erhalt von Bestechungsgeldern freigelassen, berichten Menschenrechtler.
Durchlässige grüne Grenze
Doch die meisten schaffen es unentdeckt ins Königreich, indem sie entweder über die durchlässige, kaum kontrollierte Dschungel-Grenze schleichen oder sich unter den Pendlerverkehr mischen. An der Flussgrenze "Ban Mun Ru Chai", westlich von Wale, ist der thailändische Grenzposten sogar unbewacht. Ein paar Ziegen haben stattdessen im Wachhäuschen Quartier bezogen und beobachten die vielen Grenzgänger, die den Fluss ungehindert zum thailändischen Ufer überqueren.
Die thailändische Regierung scheint auf die Situation in Myanmar völlig unvorbereitet zu sein, meint Professor Panitan Wattanayagorn, der an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok lehrt. Der Sicherheitsexperte geht davon aus, dass sich die Kämpfe zwischen der Militärjunta und den Widerstandsgruppen in den kommenden Monaten intensivieren und die angekündigte Zwangsrekrutierung fortwährend Menschen ins Land treiben wird. Bangkok müsse schleunigst Maßnahmen ergreifen, um mit dem drohenden Flüchtlingsstrom aus Myanmar umzugehen, fordert Wattanayagorn im Fernsehsender ThaiPBS.
Das thailändische Außenministerium kündigte an, an der Westgrenze eine humanitäre Sicherheitszone einzurichten, um Geflüchtete mit Nahrungsmitteln und medizinischer Hilfe zu versorgen. Informationen darüber, wo die Schutzzone genau liegen wird und wann diese eingerichtet werden soll, blieben die Behörden jedoch schuldig.
Unterdessen wird an der über 2000 Kilometer langen Grenze zwischen Myanmar und Thailand nur stichprobenartig kontrolliert. "Ich überprüfe Leute nach dem Zufallsprinzip", sagt der Grenzwächter in Wale. In den vergangenen Wochen habe er sechs Geflüchtete, die der Wehrpflicht entkommen wollten, verhaftet. Aber "manchmal lasse ich sie auch einfach durch", gibt er zu und widmet sich wieder seinem Reisteller, während drei Personen aus Myanmar unbehelligt über die Brücke huschen.
Billige Arbeitskräfte aus Myanmar werden gebraucht
Angst vor einer Flüchtlingswelle scheint man in Wale nicht zu haben. "Lass die ruhig alle rein", meint Motorradtaxifahrer Pattanew auf dem Warteplatz neben der Grenzbrücke. Auf dem Rücksitz seines Rollers transportiert er Tagelöhner, die für wenig Geld thailändische Felder bestellen und Haushalte sauber halten. "Ohne die Gastarbeiter aus Myanmar wären wir in großen Schwierigkeiten. Sie sind sehr fleißig, ertragen die Sonne und den Regen, ohne zu murren." Seine Fahrgäste arbeiten meist in der umliegenden Grenzregion. Die neuen Flüchtlinge hingegen reisen meist weiter, in große Städte wie Bangkok, Chiang Mai, oder in die Migrantenviertel von Samut Sakhon, wo sie bei Landsleuten Unterschlupf finden.
Zwischen zwei und drei Millionen Menschen aus Myanmar leben schätzungsweise in Thailand. Wie viele genau, weiß niemand, weil sich viele illegal im Land aufhalten. Einer von ihnen, Anfang 20, möchte nur unter den Pseudonym "Mao Uh" erwähnt werden. Er befürchtet, andernfalls vom Radar der Behörden erfasst zu werden.
Hoffnung auf Arbeitserlaubnis
Knapp ein Monat sei vergangen, seit er seine Familie in Ayeyarwady in Myanmar zurückließ und Richtung Thailand aufbrach. Die Flucht sei ein Spießrutenlauf gewesen. An jedem Checkpoint der Junta lauerte die Gefahr, entdeckt und festgenommen zu werden. "Ich hatte großes Glück", sagt er. Schließlich schafft er es, über die grüne Grenze nach Thailand zu gelangen.
Seither sitzt er in einem muffigen Zimmer in einem Vorort von Bangkok, das er nur selten verlässt. Er macht sich Sorgen um seine Schwester in der Heimat. Wie ihm selbst, droht auch ihr die Einberufung zum Militärdienst. "Wir haben bereits abgemacht, dass sie nachkommt, sobald ich hier eine Arbeit gefunden habe", sagt Mao. Am liebsten würde er in der Sicherheitsbranche arbeiten und als Wachmann Menschen beschützen. Aber eigentlich sei er bereit, jede Arbeit zu erledigen, "egal was, egal wo".
Mao hofft auf die sogenannte Arbeiteramnestie der thailändischen Behörden. Viermal pro Jahr können illegale Migranten eine Amnestie beantragen, um für eine bestimmte Zeit legal im Land arbeiten zu können. Arbeitsrechtler kritisieren das Verfahren jedoch als zu kompliziert und korruptionsanfällig, weshalb viele Geflüchtete aus Myanmar einfach illegal arbeiten.
Thailändische Behörden drücken Augen zu
Die unsichtbaren Gastarbeiter aus Myanmar tragen laut der Internationalen Arbeitsorganisation ILO bereits heute bis zu 6,6 Prozent zum thailändischen Bruttoinlandsprodukt bei. Der Zustrom aus dem Nachbarland wird die Wirtschaft weiter stützen, ist Sompong Srakaew vom Netzwerk zur Förderung für Arbeitnehmerrechte (LPN) überzeugt: "Das ist gut für die thailändische Wirtschaft, da Unternehmer billige Arbeitskräfte brauchen, um konkurrenzfähig zu bleiben." Srakaew, der sich für die Rechte von Migranten einsetzt, schätzt, dass bereits über zehntausend Wehrdienstflüchtlinge die Grenze überquerten und tagtäglich weitere hinzukommen. "Es scheint, als ob die thailändischen Behörden die Augen zudrücken und viele inoffiziell einreisen lassen."
Eine Zunahme von Billiglohnarbeitern berge jedoch auch Risiken für die Modernisierung des Landes, mahnt Thitinan Pongsudhirak von der Bangkoker Chulalongkorn-Universität. "Der Anstieg billiger, ungelernter Arbeitskräfte könnte Thailand vor Herausforderungen stellen, da die thailändische Wirtschaft dadurch weiterhin stark von billigen Arbeitskräften abhängig und arbeitsintensiv bleiben könnte", sagt der Direktor des Instituts für Sicherheit und Internationale Studien gegenüber der DW.