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Politik

Ungarn hebt Corona-Notstandsgesetz auf

16. Juni 2020

Nach zweieinhalb Monaten und über 100 Verordnungen wird der ungarische Regierungschef Viktor Orban seine Sondervollmachten abgeben. Regierungskritische Organisationen sprechen von einer "optischen Täuschung".

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Budapest Parlament Ungarn
Das Parlamentsgebäude in BudapestBild: DW/G. Saudelli

Alle 192 anwesenden Abgeordneten im Parlament in Budapest votierten einstimmig für die Aufhebung des Gesetzes, das von der Opposition in Ungarn und von den europäischen Partnern scharf kritisiert worden war. Es wird erwartet, dass die Regierung den Notstand im Laufe der Woche formell beenden wird.

Die Abgeordneten stimmten allerdings auch einem Gesetzentwurf zu, der es der Regierung nach Ansicht von Kritikern ermöglichen würde, einen weiteren so genannten "medizinischen Krisennotstand" auszurufen. Damit könnte Orban in Zukunft erneut per Dekret regieren - möglicherweise auf unbestimmte Zeit. Mehrere bekannte regierungskritische Organisationen warnen in einer gemeinsamen Erklärung davor, dass der Entzug der Sondervollmachten eine "optische Täuschung" sei. Die Behörden hätten immer noch erweiterte Befugnisse.

"Unvereinbar mit europäischen Werten"

Das Notstandsgesetz war am 30. März inmitten der Corona-Krise vom Parlament verabschiedet worden. Orban konnte seither per Dekret regieren und den Notstand wegen der Pandemie ohne Zustimmung des Parlaments beliebig verlängern.

Ungarn Parlament in Budapest
Das Parlament in Budapest: 192 Abgeordnete stimmten für die Aufhebung der Corona-NotstandsgesetzeBild: Getty Images/AFP/A. Kisbenedek

Während die Regierung argumentierte, derartige Vollmachten seien nötig, um die Pandemie wirksam bekämpfen zu können, warfen Kritiker Orban vor, sich unter dem Vorwand der Pandemie-Bekämpfung mehr Macht verschaffen und die Demokratie in Ungarn aushöhlen zu wollen. Das Europa-Parlament bezeichnete die Maßnahmen Budapests im April als "unvereinbar mit den europäischen Werten".

Tatsächlich machte der Regierungschef von den bisherigen Vollmachten reichlich Gebrauch, auch in Bereichen, in denen sich kein Zusammenhang zur Pandemie erschließt. Im Laufe von mehr als 100 Verordnungen hat der machtbewusste Regierungschef nach Ansicht von Kritikern den Datenschutz, die Informationspflichten der Ämter und das Arbeitsrecht ausgehebelt. Den Kommunen, die er bei den Lokalwahlen im Vorjahr an die Opposition verloren hatte, entzog er viel Geld und etliche politische Gestaltungsmöglichkeiten.  

Alle Verordnungen bleiben auch der Aufhebung der Notstandsgesetze in Kraft.  

Viktor Orban, Ministerpräsident Ungarn
Viktor Orban: Kritiker haben jetzt die Gelegenheit, sich zu entschuldigenBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Kurz vor der Aufhebung des Gesetzes sagte Orban, Kritiker würden nun die Gelegenheit erhalten, "sich bei Ungarn für unbegründete Anschuldigungen bezüglich des Gesetzes zu entschuldigen".

565 Ungarn starben an Corona

Orban steht seit Jahren wegen der Einschränkung von Bürgerrechten, der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Medien- und Meinungsfreiheit in der Kritik. Von einem Rechtstaatlichkeitsverfahren der EU und mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs ließ er sich bislang aber nicht beeindrucken.

Ungarn ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern weniger schwer von der Corona-Krise betroffen gewesen. Die Behörden meldeten mehr als 4000 Infektionsfälle. 565 Menschen starben an den Folgen des neuartigen Coronavirus.

nob/rb (afp, rtr)