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Ungenutztes Potenzial

Thomas Bärthlein 10. März 2003

Auf Wunsch Indiens sollte beim Staatsbesuch von Bundespräsident Johannes Rau auch über eine mögliche deutsche Hilfe bei erneuerbaren Energien verhandelt werden. Doch die Rahmenbedingungen dafür stimmen noch nicht.

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Johannes Rau in IndienBild: AP

Bundespräsident Johannes Rau ist noch bis zum 6. März in Indien. Er wird unter anderem begleitet von Hermann Scheer (SPD), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Dieser ist - zum Beispiel in seiner Funktion als Chef von Eurosolar - seit Jahren ein Vorkämpfer erneuerbarer Energien. Indien ist das einzige Land der Welt mit einem eigenen Ministerium für erneuerbare Energien. Aber Indien ist bekanntlich ein Land mit großen Widersprüchen. Ein Land, das stolz auf seine Mega-Staudämme und Atomkraftwerke ist. 70 Prozent der Energie, so die offiziellen Statistiken, stammt aus fossilen Brennstoffen.

Schwache Statistik

Wind, Sonne, Biogas und kleine Wasserkraftwerke - auch das die offizielle Statistik - tragen nur zu 3,5 Prozent zum indischen Energieverbrauch bei. Hermann Scheer hält die tatsächlichen Zahlen allerdings für beträchtlich höher. Millionen von Biogas-Anlagen oder Sonnenkollektoren auf dem Land sind nur für den Eigenverbrauch. Dieser wird niemandem berechnet und findet daher keinen Eingang in die Statistiken.

Scheer glaubt allerdings, dass das Potential noch deutlich ausgebaut werden könnte. Bei seinen Treffen mit indischen Industriellen hat er großes Interesse entdeckt, nur die Politik setze noch die falschen Akzente: "Die Rahmenbedingungen sind völlig ungenügend. Man stützt sich - und das ist eine politische Fehlentwicklung in der gesamten Dritten Welt - immer dann, wenn es um Umweltinitiativen geht, auf Entwicklungshilfe." Und wenn keine komme, fühle man nicht für sich die Notwendigkeit, eigene politische Initiativen zu ergreifen. "Das ist das große Problem. Das heißt, man erkennt zu wenig, dass es im elementaren Eigeninteresse liegt."

70 Prozent der ländlichen Haushalte in Indien sind zum Beispiel nicht ans Stromnetz angeschlossen. Für die dezentrale Energieversorgung gibt es darum keine günstigere Lösung als Sonne, Wind und Biogas.

Marktlogik

Doch auch in Indien setze sich die Marktlogik im Zuge der Globalisierung immer weiter durch, sagt Scheer. Erneuerbare Energien, so werde argumentiert, sollten sich doch auf dem Markt durchsetzen. Das Problem sieht Scheer nicht darin, dass erneuerbare Energien auf Dauer nicht wettbewerbsfähig sind, sondern darin, dass die Bedingungen auf dem Markt nicht fair seien: "Für Nuklearforschung, und zwar nicht nur für militärische, wird hier wesentlich mehr Geld aufgewendet als für erneuerbare Energien, obwohl die Gesellschaft längst von erneuerbaren Energien redet." Aber zu einem Prioritätenwechsel sei es in der Praxis noch nicht gekommen. Schaue man sich die Strukturen in den ländlichen Räumen Indiens an, dann stelle man fest, dass dort Diesel subventioniert werde, erneuerbare Energien nicht, berichtet der Politiker.

Hermann Scheer sieht nicht ein, unter solchen Umständen die Entwicklungshilfe für Solar- und Windkraft in Indien auszubauen. Dies habe er in Indien klar gesagt. Man gerate sonst in die Situation, dass Entwicklungshilfe in erneuerbare Energien gepumpt werde, und die Regierung Geld für fossile Energien ausgebe. "Das ist ein Missverhältnis, das geht nicht."

Deutsche Unternehmen engagieren sich dennoch bereits in Indien und hoffen auf noch bessere Zeiten. Der größte deutsche Windkraftanlagenhersteller Enacon, der auch der zweitgrößte der Welt ist, hat nach Worten Scheers in Indien bereits eine Produktionsfirma. Das schaffe eine engere Bindung an das Land, als wenn man lediglich die Technik aus dem Ausland dorthin liefere.